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Unterbelichtet von den Medien der westlichen Profiteure der Massaker im Auftrag von Peru's Eliten geht der Aufstand weiter

In Peru steht die Macht der Straße gegen die Macht überlebter Institutionen

Die Regierung in Peru von Präsidentin Boluarte greift inzwischen auf ein Ausmaß an Repressionen zurück, dass es an die Zeit des autoritären Staatschefs Alberto Fujimori nach 1990 erinnert

Seit Dezember nun schon wird Peru von nicht abreißendem Massenprotest erschüttert. Mehr als 50 Menschen sind gestorben, mehrheitlich Opfer von Polizeigewalt. Doch das Aufbegehren gegen die vom rechtsgerichteten Kongress eingesetzte Regierung unter Dina Boluarte bleibt ungebrochen. Jüngster Höhepunkt war ein Sternmarsch auf die Hauptstadt. Es kamen Zehntausende, teilweise aus abgelegenen Provinzen, um dem Motto „Einnahme von Lima“ zu folgen. Das führte zu Straßenschlachten, bei denen die Sicherheitskräfte auf Tränengas und Gummigeschosse zurückgriffen. Ein Gebäude ging in Flammen auf, zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt.
Die eigene Stimme

Zugleich wurde am vergangenen Wochenende auf brutale Weise die staatliche Universität San Marcos geräumt. Studenten hatten sie als Zeichen des Widerstands besetzt und wollten Tausenden der Demonstranten eine Unterkunft verschaffen. Die Polizei rückte mit gepanzerten Fahrzeugen an, setzte in menschenverachtender Weise Tränengas ein und misshandelte besonders indigene Frauen. Gut 200 Aktivisten blieben tagelang ohne Rechtsgrundlage in Haft. Die Polizei rechtfertigt das mit dem zuvor ausgerufenen Ausnahmezustand.

Zwar begann der Aufruhr mit der Absetzung des linksgerichteten Präsidenten Pedro Castillo, doch geht es nur oberflächlich um seine Person. Klar ist, dass Boluarte und die jetzige Besetzung des Kongresses nicht tragbar sind. Ebenso wenig würde freilich eine Rückkehr Castillos ins Präsidentenamt die politische Krise lösen. Im Vorjahr wurde er immer unbeliebter, war in Korruption verstrickt und schien zunehmend ohne politische Agenda. Dennoch hat er der verarmten und verachteten Landbevölkerung, die sich mehrheitlich als indigen versteht, eine Stimme gegeben. Nicht zuletzt deshalb war er bei den Eliten der Hauptstadt so verhasst. Plötzlich treten nun diejenigen, die seit Jahrhunderten keine Stimme und kaum Rechte haben, selbst ins Rampenlicht. Sie tun es mit Märschen, Straßensperren, Besetzungen und ungebrochenem Kampfesmut. Der Widerstand begann dort, wo die Zustimmung für Castillo stets am größten war und die fatalen Auswirkungen des Bergbaus – Motor der peruanischen Ökonomie – am schmerzhaftesten spürbar sind. Die Wut der marginalisierten Provinzen erreicht unerbittlich das noble Lima.

Dabei steht außer Frage, dass die Absetzung und Verhaftung Castillos sicherlich Katalysatoren für die Wut der Unzufriedenen waren, doch die latente politische Krise begann bereits 2018 mit dem Korruptionsskandal um den Baukonzern Odebrecht. Der damals amtierende Präsident Kuczynski trat zurück, ein Vorgänger erschoss sich, ein anderer floh in die USA. Die Korruption erfasst alle politischen Lager, dass es einleuchtet, wenn die Protestierenden immer wieder aufgebracht skandieren: „Alle sollen abhauen.“ Vorgezogene Neuwahlen sind unter diesen Umständen unabdingbar, um die Eskalation zu beenden, aber sie werden die rumorenden Konflikte nicht lösen.

Seit über 30 Jahren hat Peru statt eines stabilen Parteiensystems kurzlebige Wahlallianzen, bei denen oft die persönliche Bereicherung im Vordergrund steht. Institutionen wie die Verfassung sind durch den neoliberalen Zeitgeist der Fujimori-Ära (1990 – 2000) geprägt und verhindern Reformen in Richtung Umverteilung und Partizipation. Eine neue Magna Charta könnte den Status quo ändern und zumindest die Aussicht auf materielle Verbesserungen bringen. Auch deshalb war es die Forderung nach einer verfassunggebenden Versammlung, mit der Pedro Castillo 2021 angetreten ist. Dass es die geben muss, ist nun ständig auf den Straßen zu hören. Das Establishment hat viel zu verlieren.

Auch der Blick auf die Nachbarländer dürfte da nicht beruhigend wirken. In Bolivien haben 2019 von Indigenen-Verbänden getragene Proteste zur Absetzung der rechten Putschregierung von Jeanine Áñez geführt. In Kolumbien und Chile, bis dato Bollwerke des Neoliberalismus in Lateinamerika, haben 2022 nach monatelangen, teils gewaltsamen Massenprotesten linke Präsidenten die Regierung übernommen. In Chile wurde gar eine progressive Verfassung entworfen, die dann aber bei einem Referendum scheiterte.

Ein weiterer Faktor, der die Gewalt in Peru erklärt, sind die Verhaltensweisen bei Militär und Polizei, die bei den Strategien der Aufstandsbekämpfung aus den 1990er Jahren verharren, als die maoistische Guerilla „Leuchtender Pfad“ in Peru operierte. Wohl nicht zufällig ist gerade auf Internetvideos zu sehen, wie Polizisten bei der Räumung der Universität San Marcos verkünden: „Wir haben es geschafft. Wir haben alle Terroristen verhaftet.“ Dieses Narrativ dominiert die Titelseiten der großen Tageszeitungen, die sich in der Hand einiger weniger oligarchischer Familien befinden.

Schließlich steht Peru wirtschaftlich vor relevanten Entscheidungen, da viele Konzessionsverträge zur Ausbeutung seiner Bodenschätze 2023 oder in den Jahren danach erneuert werden müssen. Unter dem Staatschef Alberto Fujimori erhielten nach 1990 Privatunternehmen höchst attraktive Verträge, für die es eine „juristische Stabilitätsklausel“ gab. Nachfolgenden Regierungen war es per Verfassung untersagt, daran etwas zu ändern. Nun werden die politischen Kräfteverhältnisse in Regierung und Kongress entscheidend dafür sein, wie neue Übereinkünfte aussehen. Wird die Rohstoffförderung zu mehr Wohlstand beitragen oder kann sich eine kleine Elite bereichern, die Rohstoffe zu günstigen Preisen nicht zuletzt nach Europa liefert?
- https://www.freitag.de/autoren/axel-anlauf/in-peru-steht-die-macht-der-strasse-gegen-die-macht-ueberlebter-institutionen

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