Foto: Ronny (links) und Ralf Reinders vor Gericht
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Ronald »Ronny« Fritzsch ist tot
Szenen mit dem Exmitglied der »Bewegung 2. Juni« aus dem Jahr 1997 (Von Oliver Rast)
Anfangs ist es nur ein zarter Stupser. Gegen meine Kniespitze unterhalb der Kante des ovalen Tisches aus massivem Furnierholz. Ich reagiere nicht; ich bin schließlich im Redefluss. Wenige Augenblicke später noch einmal, heftiger. Mein Genosse rechts von mir rutscht auf seinem Stuhl mit porösem Stoffüberzug hin und her, hat längst gecheckt, starrt mich nun um so penetranter an. Ich ignoriere das geflissentlich. Ich bin schließlich im Redefluss. »Schön wär’s«, wiederhole ich gefühlt alle zwei Sätze, »wenn Exaktive vom 2. Juni mit in der Vorbereitung wären.« Wären?
Erst nach der illustren Runde habe ich ein offenes Ohr, mein Genosse klärt mich auf. Schräg gegenüber saß: Ronald »Ronny« Fritzsch. Ich Idiot. (Ein Beleg, alte Fotos auf Fahndungsplakaten sind irreführend.) Bei der üblichen kurzen Vorstellungsrunde meinte Ronny schelmisch und inkognito: »Ach, ich hab’ gehört, hier findet so’n Vorbereitungstreffen statt. Ich wollte nur mal gucken.«
Zwei, drei Monate zuvor hatten sich ein paar Linksradikale mit extralegalen Ambitionen in einer Spelunke im Berliner Wedding getroffen. Billige Fassplörre, stickige Restluft, dichter Kippenqualm unter dem Funzellicht nikotinvergilbter Lampenschirme mit Blümchenmuster. Ende Januar, vielleicht Anfang Februar muss das gewesen sein. Auf jeden Fall 1997. Der Anlass des halbklandestinen Treffs in subproletarischer Umgebung: der 30. Jahrestag des Todesschusses auf den braven Studi Benno Ohnesorg bei den Antischahprotesten vor der Deutschen Oper in der Westcity Westberlins. Uns interessierte nicht die kriminologische Rekonstruktion des Mordes am 2. Juni 1967. Uns interessierten die, die in Rage geraten waren. Und bewusst das Datum zum Gruppenlabel machten: die populären Politgangster der »Bewegung 2. Juni«. Ronny und Kumpane werden sagen: »Nicht vergessen, die Staatsmacht hat zuerst geschossen.«
Ein dunstiger Kneipenabend mit Folgen. Fest stand, wir wollten ein kompaktes Veranstaltungswochenende aus dem Boden stampfen. Der Ohnesorg-Mord als Aufhänger für eine kaum verklausulierte PR-Nummer im Berliner Mehringhof: »Bewaffneter Kampf ist machbar, Herr Nachbar!« Am Beispiel der »B2J«, wie wir den aktivistischen Haufen in Koseform oft nannten. Und noch etwas schien uns passend: Protagonisten, die aus dem subkulturellen Milieu des »Blues«, der »Haschrebellen« in der Frontstadt hervorgegangen waren. Purer Ernst samt Spaßfaktor: Banküberfälle mit Schaumküssen für verängstigte Kunden im Schalterraum, Kidnapping eines CDU-Bürgermeisterkandidaten als Akt der Gefangenenbefreiung, Knastkämpfe ohne exklusiven Politdünkel. Alles sympathisch, fanden wir. Nicht nur wir. Hunderte besuchten Workshops, die Podiumsdiskussion und »B2J«-Ausstellung mit Wandskizze des recht komfortablen »Volksgefängnisses« für den Aspiranten. Headline des Erlebniswochenendes: »Der 2. Juni rät: Etwas Bewegung kann nicht schaden.«
Immer mittenmang und doch unauffällig: Ronny. Einer, der die »Beamtenstadt Hannover«, wie er sagte, gegen das rotzige Westberlin eintauschte. Ende 1970 war das. Dann ging alles rasch. Gesucht, gefunden, die »Bewegung« wagte das Phantastische. Und zerfiel nach Festnahmen und Urteilen. 13 Jahre und ein paar Zerquetschte gab’s für Ronny. Im »Wendejahr« ’89 war Schicht. »Knast ist scheiße, aber nicht das tiefe schwarze Loch, wo nix läuft.« Ein Spruch, den ich Dekaden danach hervorkramte. Hat gutgetan in miesen Momenten auf der Moabiter Pritsche.
Und, ist mir wichtig: Nie haben Ronny oder Genossen ihr früheres Tun idealisiert. Sie wussten zu genau um die Zerwürfnisse untereinander. Die Niederlage in der Niederlage. Auch da, sie hatten uns militanten Jungspunden so vieles voraus. Was wir wissen wollten, vermittelten sie – allürenfrei, unpaternalistisch. Vielleicht das noch: Ronny war gewissermaßen der Chronist der »Bewegung 2. Juni«, und hat alles fein säuberlich gesammelt, in dickleibigen, stabilen Halbledereinbänden. Manches, Bekennerbriefe, Prozesserklärungen etwa, habe ich mir 1997 rauskopiert. Archivalien können Handlungsanleitungen sein … Selbst Jahre, Jahrzehnte später war Ronny auf seine Art für mich und für uns da.
Nur eines klappte nie richtig, blieb eine »Buchstabenlücke«. »Das mit dem ›Z‹ im Nachnamen kriegt die Hälfte schreibtechnisch nicht hin«, sagte er schmunzelnd. Ronald »Ronny« Fritzsch starb am vergangenen Donnerstag abend auf einer Palliativstation in einem Krankenhaus in Berlin-Friedrichshain.
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