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Es gab eine Zeit, da wurde ernsthaft darüber diskutiert, die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaffen. Zugegeben, sie dauerte nicht lang und die Debatte war nicht sehr laut, aber: Die Grünen wollten sie abschaffen und das Bundesverfassungsgericht dachte auch sehr laut darüber nach, ob sie überhaupt verfassungskonform seien. Das war 2019, als Karlsruhe zu einem sehr abwägenden Ergebnis kam: Manche der Sanktionen seien durchaus verfassungswidrig, und zwar jene, die den Bürger:innen das Existenzminimum gänzlich entzögen. Das heißt: Sanktionen von 60 oder 100 Prozent sind verfassungswidrig. Wenn jetzt der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, darüber sinniert, nach Einführung einer Impfpflicht, Ungeimpften die Auszahlung von Hartz IV eine Zeitlang gänzlich zu sperren – dann sinniert er öffentlich darüber, gegen die Verfassung zu verstoßen. Damit ist der Chef der Arbeitsagentur eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz.
Vielleicht sollte sich der Verfassungsschutz aber auch mal mit dem Bundesverfassungsgericht selber befassen. Denn warum die Verfassungsrichter:innen zu dem Ergebnis kommen, dass Hartz IV zwar das Existenzminimum darstellt – eine Annahme, die von Sozialverbänden seit Jahren angezweifelt wird, und die mit den derzeit steigenden Preisen erst recht fragwürdig wird –, wenn also der Regelsatz von 449 Euro dazu führt, dass ein Mensch in Würde existieren kann, dann folgt daraus unweigerlich, dass er von weniger Geld nicht mehr in Würde leben kann. Jede Sanktion, wenn auch nur in Höhe von fünf Euro, müsste damit doch logischerweise gegen die Verfassung verstoßen. Aber dass die Würde des Menschen nur dann wirklich schützenswert ist, wenn dieser Mensch sich darum bemüht, seine Arbeitskraft gegen Geld zu verkaufen, damit scheint sich diese Gesellschaft mitsamt ihrer Verfassung schon abgefunden zu haben.
Noch gibt es keine allgemeine Impfpflicht, und noch hat die Ampel nicht verkündet, wie sie die Sanktionen neu regelt, und bald ist Dieter Scheele in Rente und Andrea Nahles neue Chefin der Arbeitsagentur, es ist also noch einiges offen. Vielleicht hat Herr Scheele der Impfpflicht-Debatte ja einen guten Dienst erwiesen: Indem er gezeigt hat, dass sie letztendlich, am armen Ende der Gesellschaft, die Würde des Menschen untergräbt.
- Die Würde des arbeitenden, geimpften Menschen ist unantastbar von Elsa Koester https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/corona-die-wuerde-des-geimpften-ist-unantastbar
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