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"Die Befreiung der Frau kann nicht getrennt gedacht werden von der Befreiung der Gesellschaft vom Diktat des Wirtschafts- und Arbeitslebens, in dem die Familie einerseits als „Privatvergnügen“ gilt, andererseits Grundvoraussetzung ist für die Reproduktion der Arbeitskräfte der Zukunft."

Muttertag | Was viele Männer, manche Feministin und die „Bild“-Zeitung aus der Mutter machen

Mal ist sie zu mächtig, dann wieder zu schwach, sie gilt als zu egoistisch oder zu fremdbestimmt: Es gibt ein überbordendes Bedürfnis, Mütter ständig zu klassifizieren, am liebsten zum Muttertag. Marlen Hobrack reicht es jetzt

Jetzt wollen sie uns auch noch die Mutter wegnehmen! Der Aufschrei war groß, als die Bild-Zeitung in, nun ja, gewohnt aufklärerischer Manier einen Tagesschau-Beitrag skandalisierte, in dem von „entbindenden Personen“ die Rede gewesen war. Eigentlich sollte es in dem Beitrag um den Rechtsanspruch auf einen 14-tägigen Sonderurlaub nach der Geburt eines Kindes gehen, der es Partnern – weiblich wie männlich – erlauben sollte, Sorgezeit für die Familie in Anspruch zu nehmen. Nicht mit der Bild, die eine Reihe von Männern in Stellung brachte, die betonten, wie wichtig das Wort „Mutter“ sei. Nun ist es leicht und mit der nötigen Gehässigkeit sogar allzu leicht, befragte Mutter-Experten wie Matthias Reim zu verlachen. Reim mag kein Ehe- oder Finanzexperte sein, aber über Muttergefühle weiß er Bescheid.

„Mutter“ bedeutet Zärtlichkeit. Mutti, Mama. Jeder hat da so seine sprachlichen Vorlieben. „Mutter“ ist ein mächtiges Wort. Heute sprechen wir in feministischen Kontexten oft von der Schwäche der Mütter, der Benachteiligung. Wir sehen Mütter in einer Opferrolle, dabei kehren wir (ich meine hier Mütter, vor allem feministische) die Macht der Mutter, den Einfluss auf die Entwicklung der Kinder, unter den Teppich. Beim letzten Satz zucke ich zusammen. Passt der Machtbegriff zur Mutter?

Rabenmutter, Latte-macchiato-Mutter, Helikopter-Mutter

Über Mütter lässt sich trefflich streiten, jeder hat eine Meinung zu Müttern, schließlich hat jeder eine. Dass die Mutter dabei immer wieder zwischen weltanschauliche Fronten gerät, verwundert nicht. Mater semper certa est, die Mutter ist sicher. Eine Mutter gehört zu ihren Kindern. Eine Mutter soll ihre Kinder bedingungslos lieben, nur verhätscheln darf sie sie nicht. Mütter sind mächtig, Mütter sind schwach. Die Mutter ist stets zu viel und zu wenig. Die Mutter wird beäugt, verlacht und kritisiert. An niemanden sonst tragen wir so maßlose Forderungen nach Güte und Freigiebigkeit heran, und doch – oder gerade deswegen – kann es die Mutter niemandem recht machen.

Ist sie zu fürsorglich und fokussiert auf ihr Kind, gilt sie als Helikopter-Mutter. Ist sie zu locker im Umgang mit den Kindern, behauptet sie gar die Ansprüche des eigenen Egos gegen die Kinder, dann ist sie, na klar, grenzenlos egoistisch. Allein die gesellschaftlichen Reiz- und Kampfbegriffe der vergangenen Jahrzehnte – von der Rabenmutter über die Latte-macchiato-Mutter bis eben zu jener Helikopter-Mutter – künden von dem überbordenden Bedürfnis, die Mütter zu klassifizieren und zu bewerten.

Über Jahrhunderte hinweg gingen solche Diskurse von Männern aus. Von Kirchenvätern bis hin zu Aufklärern und Pädagogen. Am Beispiel der Frau als Mutter ließ sich über die Erbsünde räsonieren oder über das Verhältnis von Natur zu Kultur. Im 19. Jahrhundert avanciert die Mutter bei Männern wie Jean-Jacques Rousseau zur natürlichen Ressource: Von der (männlichen) Kultur unbefleckt, garantiert die Mutter die Herzensbildung des Kindes, sie ragt wie ein Brückenkopf ins Reich der Kultur hinein. Es ist die Mutter, die das Kind sozialisiert und kulturalisiert, ohne ganz Teil der Kultur zu sein. Wer glaubt, solche Vorstellungen seien inzwischen passé, der irrt. Noch immer soll die Mutter als Subjekt all das verkörpern, was wir in unserer Gesellschaft vermissen: Selbstlosigkeit und Güte, grenzenlose Geduld und Wertschätzung, Wärme und Akzeptanz. Die Mutter ist das Antidot zur entfremdeten postpostmodernen Gegenwart.

Aber es gibt ja immerhin den Feminismus! Doch auch feministische Debatten trugen nicht immer zur Entspannung in der Mutterfrage bei. Bereits während der ersten feministischen Welle an der Schwelle zum 20. Jahrhundert diskutierten Feministinnen hitzig über die Mutter. Während die einen Feministinnen die Frau von ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau lösen wollten, wünschten die anderen die grenzenlose Mutterwärme auf die Gesellschaft auszudehnen. An öffentlichen Lernorten sollten Lehrerinnen eine symbolische Mutterrolle erfüllen. Und ein wesentlicher Grund dafür, dass das Frauenwahlrecht in großen Teilen der „westlichen“ Welt im Ersten Weltkrieg eingeführt wurde, war die Vorstellung, die Frau könne mit ihrem wärmenden Mutterpotenzial die von Männern verheerte Welt heilen und bessern.

Kollektive Mutter- beziehungsweise Elternschaft

Parallel träumten Marxistinnen und Kommunistinnen wie Alexandra Kollontai (der Freitag 23/2022) von der gänzlichen Loslösung des Kindes von der Mutter. Das Kind sollte nicht mehr familiäres Eigentum sein, sondern kollektiv erzogen werden. Das sollte die Mütter und die Gesellschaft befreien. In den 1970er Jahren lebten solche Vorstellungen von kollektiver Mutter- beziehungsweise Elternschaft erneut auf. Die bürgerliche Kleinfamilie mit ihrem Zentrum, der Mutter, galt eher als Geburtsstätte von Neurosen denn als Keimzelle der Gesellschaft. Und wenn schon Keimzelle, dann war die Kleinfamilie eben Quelle aller gesellschaftlichen Übel.

Im großen Systemstreit zwischen West und Ost, zwischen Sozialismus und vermeintlich freier Marktwirtschaft wurde der ideologische Blick auf die Mutter nochmals geschärft. Durfte die Mutter in der BRD voll und ganz Mutter sein (jedenfalls dann, wenn sie keine Arbeiterin oder Alleinerziehende war), so bewies sich die gute Mutter in der DDR zugleich in der Produktion. Spätestens mit der „Wende“ und dem vollmundig begrüßten „Ende der Geschichte“ hätte die Mutter also ideologisch befreit sein müssen? Keineswegs.

Das Debattenrad dreht sich weiter, dreht sich gar immer schneller. Immer kontraproduktiver geraten ausgerechnet feministische Mutterdebatten. Man denke nur an die französische Philosophin Élisabeth Badinter, die die Mutterrolle als Falle begreift, die droht, die Frau als Subjekt auszulöschen. Ihre Kritik gilt etwa dem Stillen, das die Mutter ans Kind binde. Die stillende Mutter könne eben nicht ohne Weiteres arbeiten und ausgehen. Das Stillen wirkt wie eine Honigfalle, die die Frau in der Mutterschaft gefangen hält – und man verkaufe ihr die Sache gar als Genuss. Dass es auch etwas anderes bedeuten könnte – etwa eine stets verfügbare, steril verpackte und kostenlose Nahrungsquelle fürs Kind –, schiebt Badinter beiseite. Warum die Befreiung der Frau just durch den Kauf teurer Babynahrung gewährleistet werden soll, die ethisch fragwürdig ist (Kälbern muss die Mutterkuh entzogen werden, damit sie Milch gibt), will nicht einleuchten.

Bei Badinter wie bei vielen Feministinnen ihrer Generation schien der Ausweg aus der Benachteiligung für die Frau nur darin zu bestehen, einen männlichen Lebensrhythmus zu adaptieren. Wenn man Kinder hat, dann soll man gefälligst rasch ins Erwerbsleben zurückkehren. Insbesondere für französische Frauen gilt, dass man dabei auch noch gut auszusehen hat (vielleicht hat man neben Kindern und Arbeit sogar Zeit für einen Liebhaber).
Befreiung heißt nicht, leben wie ein Single-Mann

Diese Art von „Lean-in-Feminismus“, den auch Sheryl Sandberg, ehemals Chief Operating Officer des Konzerns Meta, verkörpert, erscheint für viele junge Mütter nicht mehr erstrebenswert. Befreiung heißt nicht, wie ein Mann, womöglich gar wie ein Single-Mann zu leben. Die Befreiung der Frau kann nicht getrennt gedacht werden von der Befreiung der Gesellschaft vom Diktat des Wirtschafts- und Arbeitslebens, in dem die Familie einerseits als „Privatvergnügen“ gilt, andererseits Grundvoraussetzung ist für die Reproduktion der Arbeitskräfte der Zukunft. Wohl auch deswegen erleben marxistische Theoretikerinnen, die dezidiert über Care-Arbeit nachdachten – etwa Silvia Federici –, heute ein Comeback.

Womit wir dann doch noch zum Bild-Text zurückkehren. Dessen eigentliche Funktion war neben der Skandalisierung zum Zweck des Verkaufszahlen-Pushs (da ist Bild ohnehin auf dem absteigenden Ast) die Unsichtbarmachung einer wesentlichen Gesetzesneuerung. Für Partner oder Partnerin der mutternden Person soll es einen zweiwöchigen bezahlten „Sonderurlaub“ geben. Hätte ich mich echauffieren wollen über den Tagesschau-Text, hätte ich vermutlich darüber geschimpft, dass die Sorge um ein Neugeborenes als „Urlaub“ bezeichnet wird, aber mich fragt ja keiner. Das ist dann womöglich die grundlegende Differenz zwischen den Bild-Autoren und den zitierten Männern: Die, die da von Zärtlichkeit und Fürsorge reden, begreifen das Muttersein vermutlich als Ponyhof mit angeschlossenem Wellness-Hotel.

Die Bild-Mutterdebatte zeigte allerdings eine Bruchkante in jüngeren feministischen Debatten auf. Längst nicht alle Mütter, auch nicht die feministischen, wollen die Dekonstruktion der Mutter vorantreiben, das Wort durchstreichen und es durch Begriffe wie „gebärende“ oder „entbindende Person“ ersetzen. Die Skandalisierung durch die Bild wirkte deshalb so gut, weil sie nicht nur bei den „üblichen Verdächtigen“, den Erzkonservativen und Rechten, verfing. Auch als linke Feministin kann man Einwände haben gegen die Reduktion der Mutter auf eine Funktion wie das Gebären. Wir sind schließlich keine Gebärmaschinen.

Momfluencerinnen auf Instagram

Vergleichsweise niedlich wirken da schon die Mutterdebatten auf Instagram, bei denen sich telegene Mütter gegenseitig überbieten mit der Darstellung ihres Alltags als Frau, die alles stemmt: Kinder, Küche, Haushalt. Und dabei verflucht gut aussieht. Natürlich ist die ironische Brechung immer schon einkalkuliert, die Momfluencerinnen bieten einen Blick hinter die Kulissen, wo es schon mal „chaotisch“ zugeht. Zum Beweis sieht man dann Bilder von auf dem Boden verstreuten Spielsachen. Haha, Chaos, ja (zum Glück kann kein Leser den Wäscheberg neben meinem Schreibtisch sehen). Übrigens ist die schöne Pointe der gefilterten Idealmütter auf Instagram, dass ich sie unglaublich gerne betrachte, auch wenn ich die Bilder für inszeniert und geschönt halte.

Vielleicht lassen wir alle uns ab und an gerne einlullen von solch weichgezeichneten Bildern. Es ist, immerhin, eine schöne Fantasie. Es mag nicht die Wahrheit des Mutterseins abbilden, aber es ist womöglich Ausdruck des Begehrens, in einer heilen, schönen Welt mit Kindern zu leben, die keine Schokoladenflecken auf der beigefarbenen Bouclé-Couch hinterlassen. Für mich wird das für immer ein Traum bleiben.

Einstweilen muss ich mich mit der Realität begnügen, in der es ungewaschene Wäsche und ungespültes Geschirr gibt und das Wort „Mama!“ schrill intoniert aus den Kinderzimmern dringt. Das ist keine perfekte Welt, aber eigentlich eine ziemlich gute. Vielleicht könnte man sich ein wenig Mütterdebattenzeit sparen und statt der erhitzten Diskussionen um gute Mutterschaft, die wir in Feuilletons oder Online-Beiträgen führen, hier und da einer Mutter helfen, ihre verdammte Wäsche zusammenzufalten. Das wäre doch ein Anfang. Und das Ende der Mutter aller Debatten.