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Gegen Krieg, neokolonialistische Vereinnahmung und Imperialismus

UN-Generaldebatte: Neuer Multilateralismus

Es lohnt, genau zuzuhören, wenn Subrahmanyam Jaishankar spricht. Indiens Außenminister wandte sich am Samstag kurz nach seinen Amtskollegen aus China und Russland an die UN-Generalversammlung in New York. Er erinnerte daran, dass sein Land erst vor einigen Wochen den 75. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiern konnte, und hob hervor, man werde weiter daran arbeiten, »uns von einer kolonialen Denkweise zu befreien«. Dazu gehöre freilich auch eine äußere Komponente: ein »reformierter Multilateralismus« – einer, so ist das wohl gemeint, in dem frühere Kolonien nicht zu Claqueuren der ehemaligen Kolonialherren degradiert werden, sondern mit eigener Stimme ihre eigenen Interessen vertreten und dabei eine eigenständige Position in der globalen Hackordnung einnehmen. Was Jaishankar da sagte, das waren keine hohlen Worte, es war eine präzise Beschreibung dessen, was gegenwärtig zumindest ansatzweise in den globalen Kämpfen rings um den Ukraine-Krieg geschieht.

Die ureigenen Interessen der einstigen Kolonien liegen klar zutage. Der Krieg und der Wirtschaftskrieg, mit dem der Westen auf ihn antwortet, treiben die Preise für Energie und Nahrungsmittel dramatisch in die Höhe. Das trifft am schlimmsten die Schwellen- und Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Lateinamerika. Jaishankar und Chinas Außenminister Wang Yi handelten in New York ganz in deren Sinne, als sie ein Ende der Kämpfe in der Ukraine sowie die schnelle Aufnahme von Verhandlungen forderten. »Krieg öffnet nur die Büchse der Pandora«, warnte Wang – und das richtete sich gleichermaßen an Russland wie an den waffenliefernden Westen. An beide: Der neue Multilateralismus, von dem neben Jaishankar auch Wang in New York sprach, wendet sich gegen jegliche Blockbildung, auch gegen eine starre Blockbildung auf seiten Moskaus gegen den Westen. Letztlich geht es um echte Multipolarität.

Ansätze zu solcher Multipolarität blitzten in den vergangenen Tagen in New York mehrfach auf. Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo lobte vor der UN-Generalversammlung Kwame Nkrumah, den ersten Präsidenten seines Landes, der einst, um dem ausgebeuteten Kontinent Gewicht und Stimme in der Welt zu verschaffen, die Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika vorgeschlagen hatte. Der Afrikanischen Union (AU) gelingt es bislang, in Sachen Ukraine-Krieg ihre eigene Position zu wahren. Akufo-Addo verlangt noch stärkere Geschlossenheit. US-Präsident Joseph Biden wiederum plädierte – damit um die nichtwestliche Welt werbend – dafür, neue, natürlich möglichst US-nahe Staaten als ständige Mitglieder in den UN-Sicherheitsrat aufzunehmen. Dem Vorstoß schloss sich Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow an und schlug konkret Indien, Brasilien sowie eine Repräsentanz Afrikas vor. Gelänge es diesen Staaten, den Klammergriff der einstigen Kolonialmächte auf Dauer abzuschütteln, dann wäre die westliche Mehrheit unter den ständigen Mitgliedern eines womöglich erweiterten UN-Sicherheitsrats dahin. Der hochkomplexe Kampf darum wird – mit offenem Ausgang – zur Zeit geführt.
- https://www.jungewelt.de/artikel/435402.neuer-multilateralismus.html

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