#globaler-süden

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#politik #justiz #anklage #IGH #südafrika #nicaragua #wertewesten #deutschland #israel #globaler-süden

"Für Deutschland ist es ungewohnt, als Angeklagter in Den Haag zu stehen: Berlin hat – wie andere westliche Staaten – die internationale Justiz, darunter neben dem IGH vor allem auch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), immer wieder genutzt, um mit ihrer Hilfe gegen missliebige Staaten des Globalen Südens vorzugehen. Dass diese jetzt ihrerseits beginnen, westliche Staaten vor Gericht zu ziehen, um sich gegen ihre Übergriffe zur Wehr zu setzen, belegt einmal mehr: Die globale Dominanz der transatlantischen Mächte beginnt zu wanken..."

Zwei gute Artikel dazu:

Der Westen, der Süden und das Recht (II)

Nicaragua verklagt Deutschland wegen Unterstützung eines drohenden israelischen Genozids im Gazastreifen vor dem IGH in Den Haag: Der Globale Süden nimmt den Kampf gegen die doppelten Standards des Westens auf https://amerika21.de/blog/2024/03/268575/der-westen-der-sueden-und-das-recht-ii

Der Westen, der Süden und das Recht (I)

Die IGH-Anordnung gegen Israel widerlegt die Behauptung Berlins, Südafrikas Klage entbehre "jeder Grundlage", und bringt erstmals den Globalen Süden vor der Weltjustiz in die Offensive https://amerika21.de/blog/2024/03/267977/der-westen-der-sueden-und-das-recht

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#politik #israel #palästina #gaza #uno #eu #globaler-süden #doppelte-standards #wertewesten #völkerrecht

„Was wir über die Ukraine gesagt haben, muss auch auf Gaza angewandt werden. Sonst verlieren wir all unsere Glaubwürdigkeit. ... Die Brasilianer, die Südafrikaner, die Indonesier: Warum sollten sie jemals glauben, was wir über Menschenrechte sagen?“ „Vergesst das mit den Regeln, vergesst das mit der Weltordnung. Sie werden uns nie wieder zuhören.“
- G7-Diplomat im Gespräch mit der Financial Times, 18.10.2023

+++ UNO-Vollversammlung verabschiedet Resolution für sofortige humanitäre Waffenruhe

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mit breiter Mehrheit einen sofortigen humanitären Waffenstillstand zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas gefordert. Zudem wird in der von den arabischen Staaten verfassten Resolution die Lieferung von Hilfsgütern in den belagerten Gazastreifen sowie der Schutz der Zivilbevölkerung verlangt. Die Resolution wurde mit 120 Stimmen angenommen, 45 enthielten sich – darunter Deutschland – und 14 stimmten mit Nein. Dazu gehören Israel und die USA.

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#politik #israel #palästina #gaza #vertreibung #uno #eu #globaler-süden #doppelte-standards #wertewesten #völkerrecht

Die Glaubwürdigkeit des Westens

842 EU-Mitarbeiter protestieren gegen von der Leyens Gaza-Politik. Diplomaten warnen, der Westen habe im Globalen Süden wegen seiner Ignoranz gegenüber Ziviltoten im Gazastreifen jede Glaubwürdigkeit verloren.

BERLIN/BRÜSSEL/TEL AVIV (Eigener Bericht) – In einem beispiellosen Protestschreiben attackieren rund 850 EU-Mitarbeiter die eigenmächtige Politik von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Krieg im Gazastreifen. Hintergrund ist die Debatte, wie sich Brüssel nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober zu den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen und zum Abschneiden der Zivilbevölkerung von Nahrung und Wasser verhalten soll. Während eine EU-Mehrheit von Israel die Einhaltung des humanitären Völkerrechts fordert, hatte von der Leyen das zunächst unterlassen und damit faktisch die Position Berlins übernommen. Dazu heißt es in dem Protestschreiben, man sei „besorgt“ über „die scheinbare Gleichgültigkeit“ gegenüber Zivilisten in Gaza: „Die EU riskiert all ihre Glaubwürdigkeit.“ Schon vergangene Woche hatten Diplomaten gegenüber der Financial Times geurteilt, der Maßstab, den man gegenüber Russland im Ukraine-Krieg anwende, müsse auch im Gaza-Krieg gelten. Weil dies offenkundig nicht der Fall sei, müsse man jetzt davon ausgehen, dass die Staaten des Globalen Südens „uns nie wieder zuhören“. Schon bei der nächsten UN-Ukraine-Resolution werde man „eine große Explosion in der Zahl der Enthaltungen sehen“.

Die humanitäre Katastrophe

Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen weitet sich aus. Wie die WHO mitteilt, sind zwölf der insgesamt 35 Krankenhäuser nicht mehr in Betrieb, weil sie zerstört wurden oder nicht mehr über Elektrizität verfügen. Unter anderem sind rund tausend Dialysepatienten, 130 frühgeborene Säuglinge sowie viele Patienten, die in Intensivbehandlung sind oder operiert werden müssen, in akuter Gefahr. Krankenhäuser im Norden können nicht mehr versorgt werden, solange keine humanitäre Feuerpause gewährt wird; für die Krankenhäuser im Süden reichen die Hilfslieferungen an Medikamenten und anderem medizinischen Material, die in geringem Umfang inzwischen eintreffen, nicht aus.[1] Auch die Nahrung wird knapp. Bislang gelangten erst 54 Lkw in den Gazastreifen; vor Kriegsbeginn kamen Berichten zufolge 100 pro Tag. Dabei sind die Hilfslieferungen teils unbrauchbar: Reis und Linsen etwa können wegen des Mangels an sauberem Wasser und an Brennstoffen nicht gekocht werden. Immer mehr Menschen geht das Trinkwasser aus. Wassermangel und Massenflucht führen zu desolaten hygienischen Bedingungen; Ärzte registrieren bereits einen Anstieg einschlägiger Krankheiten. Bei israelischen Angriffen sind bereits mindestens 5.791 Menschen zu Tode gekommen, darunter 2.360 Kinder. 1.550 Menschen werden vermisst.[2]

Mehrfrontenkriege

Die Vereinigten Staaten drängen Israel unterdessen dazu, die schon lange angekündigte Bodenoffensive im Gazastreifen weiter zu verschieben. Bereits in der vergangenen Woche hatten sich zunächst US-Außenminister Antony Blinken, dann US-Präsident Joe Biden bei Besuchen in Tel Aviv für Mäßigung eingesetzt, insbesondere vor einem israelischen Angriff auf die libanesische Hizbollah gewarnt, der eine zweite Front eröffnen würde, aber auch auf größere Zurückhaltung im Gazastreifen gedrungen, um eine Eskalation des Kriegs zum Flächenbrand zu verhindern. US-Regierungsmitarbeiter ließen sich mit ihrer Einschätzung zitieren, ein Zweifrontenkrieg werde Israel wohl schwer zu schaffen machen und nicht nur die US-Streitkräfte, sondern womöglich auch Iran involvieren.[3] Käme es dazu, wäre Washington – zusätzlich zur militärischen Unterstützung für die Ukraine – erneut im Nahen und Mittleren Osten gebunden. Die machtpolitischen Folgen zeigen sich schon jetzt: Im Südchinesischen Meer ist am Wochenende der Streit zwischen China sowie den Philippinen um ein Riff eskaliert; zwar haben die Vereinigten Staaten mitgeteilt, sie würden Manila im Ernstfall auch militärisch unterstützen, doch gerieten sie damit im äußersten Fall in einen Dreifrontenkrieg, den sie laut Einschätzung ihrer Militärs nicht gewinnen können.[4]

Streit um die Feuerpause

Parallel spitzt sich in der EU der Streit um die Positionierung gegenüber dem israelischen Vorgehen zu. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Sonntag ihre Haltung, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, erstmals um den Zusatz ergänzt, dies müsse „im Einklang mit dem Völkerrecht“ geschehen.[5] Dass sie das bei einem Besuch in Israel unterlassen hatte, hatte zu heftiger Kritik in Brüssel und in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten geführt. Darüber hinaus hat sie sich inzwischen bereit erklärt, die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen, die die Kommission nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober zunächst komplett einstellen wollte, auszuweiten. Zu weitergehenden Kursänderungen ist sie jedoch ebensowenig bereit wie die Bundesregierung, deren Position von der Leyen ohne jede Legitimation durch EU-Beschlüsse übernommen hat. Außenministerin Annalena Baerbock lehnte am Montag auf einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen die Forderung nach einer „humanitären Feuerpause“ explizit ab und sprach sich für die Fortsetzung der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen aus.[6] Der Außenbeauftragte Josep Borrell und mehrere Außenminister verlangten hingegen explizit, die Waffen müssten wenigstens eine Zeitlang schweigen, um die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu garantieren. Die Vereinten Nationen fordern einen Waffenstillstand.

Bedingungslos gleichgültig

Von der Leyens Alleingänge lösen mittlerweile heftige Proteste nicht nur in mehreren EU-Mitgliedstaaten, sondern auch in der EU-Bürokratie aus. Ende vergangener Woche ging bei der Kommissionspräsidentin ein Schreiben ein, das von 842 EU-Mitarbeitern unterzeichnet wurde und scharfe Kritik an ihrer Position zu den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen übt. Die Unterzeichner verurteilen das Hamas-Massaker an mehr als tausend israelischen Zivilisten, kritisieren aber zugleich, dass von der Leyen – entgegen dem Stand der Debatte in der EU – mit ihrer „bedingungslosen“ Unterstützung des israelischen Vorgehens Tel Aviv praktisch „freie Hand für die Beschleunigung und Legitimierung eines Kriegsverbrechens im Gazastreifen“ gegeben habe.[7] Sie seien „besorgt“, schreiben die Unterzeichner weiter, über „die scheinbare Gleichgültigkeit, die von unserer Institution“ – der Kommission – „in den vergangenen Tagen gegenüber dem Massaker an Zivilisten im Gazastreifen zur Schau getragen wurde, in Missachtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts“.[8] Abschließend heißt es in dem Schreiben, das von Beobachtern als ein außergewöhnliches, vielleicht sogar präzedenzloses Aufbegehren eingestuft wird: „Die EU riskiert all ihre Glaubwürdigkeit.“

„Wir haben die Schlacht im Globalen Süden definitiv verloren. Was wir über die Ukraine gesagt haben, muss auch auf Gaza angewandt werden. Sonst verlieren wir all unsere Glaubwürdigkeit. ... Die Brasilianer, die Südafrikaner, die Indonesier: Warum sollten sie jemals glauben, was wir über Menschenrechte sagen?“

Doppelte Standards

Genau davor warnten – mit Bezug nicht nur auf die EU, sondern auf den Westen insgesamt – Insider schon in der vergangenen Woche. Hintergrund ist, dass sehr viele Länder im Globalen Süden im Nahostkonflikt auf Seiten der Palästinenser stehen, nun aber zum wiederholten Mal registrieren müssen, dass Kriegshandlungen, die der Westen bei seinen Gegnern – etwa im Falle Russlands im Ukraine-Krieg – auf das Schärfste kritisiert, beim Vorgehen Israels gegen die Hamas umstandslos toleriert werden. Dies gilt insbesondere für die Angriffe auf zivile Infrastruktur und für das Abschneiden der Zivilbevölkerung von Energie, Nahrung und Wasser. So zitierte die Financial Times einen hochrangigen G7-Diplomaten mit der Warnung: „Wir haben die Schlacht im Globalen Süden definitiv verloren.“[9] Der Diplomat fuhr fort: „Was wir über die Ukraine gesagt haben, muss auch auf Gaza angewandt werden. Sonst verlieren wir all unsere Glaubwürdigkeit. ... Die Brasilianer, die Südafrikaner, die Indonesier: Warum sollten sie jemals glauben, was wir über Menschenrechte sagen?“ „Vergesst das mit den Regeln, vergesst das mit der Weltordnung. Sie werden uns nie wieder zuhören.“

Nicht mehr folgenlos

Genau das tritt nun ein. Am vergangenen Samstag erklärte Jordaniens König Abdullah II. auf dem „Friedensgipfel“ in Kairo: „Die Botschaft, die die arabische Welt hört, ist laut und klar“: „Palästinensische Leben zählen weniger als israelische. Unsere Leben zählen weniger als andere Leben. Die Anwendung des internationalen Rechts ist nur eine Option, und Menschenrechte haben Schranken – sie enden an Grenzen, sie enden bei Rassen, sie enden bei Religionen.“[10] Bereits in der vergangenen Woche hatte Ex-NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer gewarnt, der Unmut, der sich in solchen Feststellungen äußere, sei nicht mehr folgenlos. „Wir, der Westen, haben nicht mehr das Sagen“, hielt de Hoop Scheffer fest, „und der Globale Süden sagt: ‘Bitte, wir haben auch eine Stimme, die ihr eine gewisse Zeit ignoriert habt‘.“[11] Anders als früher müsse man heute damit rechnen, dass der Globale Süden sich mit Russland oder mit China verbünde. „Es gibt ein Risiko“, hielt de Hoop Scheffer fest, „dass wir bei der nächsten Abstimmung in der UN-Generalversammlung über Unterstützung für die Ukraine eine große Explosion bei der Zahl der Enthaltungen sehen werden.“
- https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9385

[1] As Gaza’s health system disintegrates, WHO calls for safe passage of fuel, supplies for health facilities. emro.who.int 24.10.2023.
[2] Death toll in Gaza from Israeli airstrikes rises to 5,791 Palestinians according to Hamas-run health ministry. theguardian.com 24.10.2023.
[3] Edward Wong, Ronen Bergman, Julian E. Barnes: Biden and Aides Advise Israel to Avoid Widening War With Hezbollah Strike. nytimes.com 20.10.2023.
[4] Jochen Stahnke: Kollisionskurs im Südchinesischen Meer. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.10.2023.
[5] Hans von der Burchard: Von der Leyen doubles down on pro-Israel stance, lashes out at Iran. politico.eu 22.10.2023.
[6] Thomas Gutschker: Strategisches Händchenhalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.10.2023.
[7] Daniel Steinvorth: Protest gegen von der Leyens Gaza-Politik. Neue Zürcher Zeitung 24.10.2023.
[8] Aurélie Pugnet, Davide Basso: EU staff criticise von der Leyen over Israel stance. euractiv.com 20.10.2023.
[9] Henry Foy: Rush by west to back Israel erodes developing countries’ support for Ukraine. ft.com 18.10.2023.
[10] Vivian Yee, Matina Stevis-Gridneff: Peace Summit in Egypt Shows a Shift in Rhetoric but no Consensus. nytimes.com 21.10.2023.
[11] Henry Foy: Rush by west to back Israel erodes developing countries’ support for Ukraine. ft.com 18.10.2023.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #krieg #ukraine #russland #nato #usa #imperialismus #hegemonie #zeitenwende #kapitalismus #klimakatastrophe #ksze #brics #globaler-süden #friedensverhandlungen

Ukraine-Krieg: "Ist es auch Wahnsinn, so hat es Methode"

Versuch einer alternativen Erzählung des in eine mörderische Sackgasse geratenen Konfliktes um die Ukraine (von Wolfgang Herzberg)

Während weltweit Wälder und Felder vertrocknen und lichterloh brennen, Starkregen Städte und Dörfer verwüsten, Hurrikans Landschaften zerstören, Pole und Gletscher abschmelzen und Millionen Menschen aus Armuts- und Kriegsgebieten in westlichen Ländern Zuflucht suchen, halten die Falken in den USA und in der Nato sowie in der Ukraine und in den westlichen Leitmedien an einer längst gescheiterten Strategie der Blockkonfrontation fest, wie man sie aus der Zeit vor 1990 kennt. Diese Ideologie ist interessengesteuert, um ein profitgelenktes Gesellschaftssystem, in dem insbesondere Rüstungskonzerne immense Gewinne einstreichen, nicht infrage stellen zu müssen und es mit einer globalisierten militärischen Vorwärts-Strategie weiter zu behaupten und am Leben zu erhalten.

Wieder wird gleichsam wahnhaft eine russische und chinesische »Gefahr« für die »freiheitlich demokratische Grundordnung« des Westens, des »Wertewestens« beschworen. Und dies trotz der längst erkannten »Grenzen des Wachstums« des eigenen Wirtschaftssystems, zu der die Menschheit dringend eine solidarische Alternative bräuchte, um das Gemeinwohl für alle in Nord und Süd, West und Ost zu sichern und nicht nur für einige wohlhabende Schichten.

Der Kapitalismus beruht auf einer jahrhundertealten patriarchalischen DNA europäisch-amerikanischer Kolonialgeschichte: imperiale, militärische Landnahme, Ausbeutung globaler Boden- und Meeresschätze, Völkerversklavung und ethnische Säuberungen. Die koloniale Eroberung aller Erdteile mit Waffen und angeblich »christlichen Werten« war die Blaupause für Stellvertreterkriege und Putsche nach 1945 in Korea, Indonesien, Angola, Chile, Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien und Afghanistan bis hin zum blutigen Ukraine-Krieg.

Tausende Ukrainer und Russen sterben sinnlos durch moderne Waffen, ob durch Drohnen, Streubomben, Marschflugkörper; weite Landstriche werden zerstört. Die Folgen sind erneut global: weltweite Lebenshaltungskosten steigen; Lieferketten werden zerrissen; Sozialsysteme kollabieren; die Schere zwischen Arm und Reich wächst; Millionen Migranten flüchten; Staatshaushalte verschulden sich immer stärker zugunsten der Waffenprofiteure; der ökologische Irrsinn eskaliert immer schneller, auch durch diesen Krieg. Schließlich droht die Welt irreparabel in Scherben zu fallen, sei es durch die galoppierende ökologische Krise, sei es durch einen Dritten Weltkrieg – womöglich mit Atomwaffen.

Zugleich wird dadurch rechtsradikalen nationalistischen Kräften und dem internationalen Terrorismus massiv Zulauf beschert, was die bürgerlichen Demokratien gefährdet, unter anderem durch ungeheure finanzielle Militäraufwendungen, statt die Gelder zur Humanisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im In- und Ausland einzusetzen.

Bereits im Februar 1990 kündigte der US-Präsident Georg Bush sen. gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl de facto eine Fortsetzung der Strategie des Kalten Krieges an: »Wir haben gesiegt und sie nicht. Wir können nicht zulassen, dass die Sowjets ihre Niederlage in einen Sieg verwandeln … Wir werden das Spiel gewinnen, aber wir müssen uns dabei clever anstellen.« Und US-Außenminister James Baker formulierte: »Die KSZE ist die eigentliche Gefahr für die Nato.«

Während man gegenüber Michail Gorbatschow so tat, als werde die Nato nicht nach Osten erweitert, dachte man schon vor Auflösung des Warschauer Paktes über die Nato-Osterweiterung nach. Ohne die expansive Nato-Osterweiterung und spätere Ukraine-Politik der USA, ohne den in Kiew unterstützten Regimewechsel und die radikal-feindliche Separierung von Russland wäre es nicht zu diesem Krieg gekommen, hätte die Entwicklung nicht in diese irrationale friedenspolitische Sackgasse münden müssen.

Douglas Macgregor, ein bekannter Militärexperte, Autor sowie Regierungsberater in den USA, der bereits frühzeitig für die Beendigung des gescheiterten Afghanistan-Krieges plädiert hatte, schrieb über das jetzige Desaster in der Ukraine: »Der amerikanische Stellvertreterkrieg mit Russland hat die Ukraine in einen Friedhof verwandelt … Trotz der beispiellosen Versorgung der ukrainischen Streitkräfte mit modernen Waffen, Geld, ausländischen Kämpfern und wichtigen Geheimdienstinformationen ist Washingtons Stellvertreter am Boden zerstört. Die Krankenhäuser sind voll mit gebrochenen Menschen, und ukrainische Tote liegen auf den Schlachtfeldern. Kiew ist ein Herzpatient auf der Intensivstation.« Und am Schluss folgt der vor einem Weltkrieg warnende Satz:

»Schließt endlich Frieden, ihr Narren, bevor es zu spät ist.«

Auch ich frage mich schon lange, ob der Terminus vom »russischen Angriff« den Charakter dieses Konfliktes zutreffend beschreibt oder überwiegend der Legitimierung der gesamten westlich-ukrainischen Kriegsideologie entspringt. War es nicht so, dass die Zeitenwende von 1989/90, wie die Zitate von Bush und Baker nahelegen, die Nato-Osterweiterung, der von Anbeginn von russischer Seite widersprochen wurde, den jahrzehntelangen KSZE-Prozess, der die Konfrontationspolitik des Kalten Krieges überwunden hatte, fundamental infrage stellte und die kalte Kriegspolitik wieder aufleben ließ?

War es nicht so, dass die ein Regime-Wechsel in der Ukraine (seit dem Maidan) mit Unterstützung der USA zu einer zusätzlichen radikalen Konfrontationspolitik mit Russland führte und eine friedliche und sinnvolle Koexistenzpolitik zwischen beiden Ländern, mit ihrer jahrtausendelangen, gemeinsamen Geschichte, unmöglich machte? War es nicht so, dass die überwiegend russische Bevölkerung in der Ostukraine von einer solchen radikalen Kappung aller Bindungen zu Russland überrascht wurde, sich daher wehrte und von ukrainischer Seite unter Beschuss genommen wurde, wodurch laut OSZE, der Nachfolgeorganisation der KSZE, über 14 000 Russen getötet wurden?

War es nicht so, wie die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel später eingestand, dass das auch von ihr und Steinmeier ausgehandelte Minsker Abkommen nur dazu diente, die Ukraine mehr und mehr auf einen Krieg gegen die russische Seite vorzubereiten und zu bewaffnen, um die Ostukraine zurückzuerobern? Und war und ist es nicht so, dass die tonangebenden Kräfte in den USA und der Nato, trotz gegenteiliger Behauptungen, von Anfang an eindeutig Kriegspartei aufseiten der ukrainischen Regierungen waren und sind?

Ist es nicht so, dass diese Allianz dazu führt, dass die Ukraine in Schutt und Asche versinkt und auf Jahrzehnte, in jeder Beziehung, völlig am Tropf des Westens hängt, anstatt »selbstbestimmt« das Land friedlich weiterzuentwickeln, mit Hilfe und als Brücke zwischen der russischen und westlichen Seite? Und hat der Afghanistan-Krieg der unlängst für den Westen verloren ging, nicht bewiesen, dass selbst mit modernsten Waffen ausgerüstete militärische Einheiten aus annähernd 100 Staaten gegen einen viel schlechter bewaffneten Gegner unterlegen waren?

Anstatt sich diesen Fragen, die viele Menschen beschäftigen, zu stellen und die äußeren und inneren Ursachen dieses Konfliktes ernsthaft zu diskutieren und präventiv die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, dominiert in der öffentlichen Debatte eine verlogene Doppelmoral. Öffentliches Nachdenken findet allenfalls in einigen linken und sozialen Medien sowie in der leider viel zu schwachen Friedensbewegung statt. Absurderweise auch bei nationalistischen Rechtsradikalen, weil diese damit auf Stimmenfang hoffen und nicht, um das kapitalistische westliche Gesellschaftssystem in Gänze infrage zu stellen.

Die westliche Ideologie lebt im Irrglauben, die sozialen, demokratischen und ökologischen Grundprobleme unseres Planeten am besten lösen zu können. Aber auch diese Ideologie basiert letztlich auf einem konfrontativen Nationalismus und hat schon immer die Völker zum Kanonenfutter der Mächtigen gemacht und wahre Demokratisierung verhindert.

Es bleibt zu hoffen, dass immer größere Teile des Globalen Südens dieser westlich-imperialen Konfrontationspolitik wie die BRICS-Staaten entgegenwirken und auf eine diplomatische Lösung drängen, weil sie ihre eigene blutige Kolonialgeschichte nicht vergessen haben, die immer noch anhält. Es bleibt zu hoffen, dass der friedenspolitische Widerstand gegen diese sinnlose und kostspielige Kriegspolitik in den USA und Europa weiter wächst, angesichts der sich zuspitzenden ökologischen und sozialen Globalkrisen, weil auch die innenpolitischen sozialen Widersprüche und ökologischen Folgen sich in den westlichen Ländern immer schmerzhafter bemerkbar machen.

Es bleibt zu hoffen, dass in der Ukraine und Russland die Kriegsmüdigkeit überhandnimmt, weil die Opfer und Zerstörungen auf beiden Seiten viel zu hoch sind, Lebenschancen und -perspektiven zunichtegemacht werden, wie es im 20. Jahrhundert schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg geschah. Es bleibt zu hoffen, dass gerade in Deutschland ein Umdenken in der politischen Klasse und der Leitmedien um sich greift, angesichts dieser unsagbar leidvollen Geschichte, die zwei Mal von deutschem Boden ausging und erst durch die Entspannungspolitik, insbesondere ab 1989/90, für kurze Zeit überwunden wurde.

Es darf doch nicht sein, dass die Manipulation der Weltöffentlichkeit durch westliche Interessenpolitik so umfassend ist, dass es erst zu einer apokalyptischen Globalkatastrophe kommen muss, ehe eventuell eine solidarische Umkehr auf Grundlage der friedenspolitischen UN-Charta möglich wird, die zurzeit weitgehend außer Kraft gesetzt ist. Einseitige Schuldzuweisungen führen jedenfalls völlig in die Irre. Frei nach Shakespeare: Das ist Wahnsinn und das hat Methode.
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175716.ukraine-krieg-ist-es-auch-wahnsinn-so-hat-es-methode.html

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#politik #welthandel #welternährung #afrika #russland #brics #selbstbewusstsein #globaler-süden

Russland-Afrika-Gipfel: Mächtiger Weltteil

Äußerungen der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandors bringen Veränderungen im globalen Kräfteverhältnis zum Ausdruck. Der ganze Kontinent entzieht sich Diktaten, erst recht denen der Kolonialisten.

Sie hat es wieder getan. Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor setzte sich am Mittwoch für eine halbe Stunde in ein Studio des russischen Fernsehsenders RT und erklärte in verbindlicher, aber deutlicher Sprache, um was es aus ihrer Sicht in der Welt gegenwärtig geht und welche Rolle in ihr die afrikanischen Staaten spielen. Das vorläufig beendete Getreideabkommen spielte dabei nur eine geringe Rolle: Den Afrikanern werde gesagt, die westlichen Sanktionen gegen Russland seien nicht die Ursache für hohe Getreidepreise, weil sie sich nicht gegen Nahrungsmittel richteten. Pandor: »Das Problem ist nur: Wir bekommen das so zu spüren.«

Die arrogante Heuchelei des Westens gegen vermeintlich schwache Staaten stoppt so etwas nicht. Die deutsche »Entwicklungs«ministerin Svenja Schulze (SPD) meinte zum Beispiel ebenfalls am Mittwoch, den 49 von 55 Staaten Afrikas, die Delegationen zum Russland-Afrika-Gipfel geschickt hatten, erklären zu müssen, dass sie an einer »PR-Show Putins« teilnähmen. Ohne Belehrung aus Berlin begreifen die Schwarzen nichts.

Vorm Hintergrund des Geifers beschäftigte sich Pandor mit Wesentlichem. So seien etwa Völkerrecht und Vereinte Nationen in keinem guten Zustand, weil »sie zu einer Waffe gegen andere gemacht« worden seien: »Das müssen wir beenden.« Afrika sei ein »mächtiger Teil der Welt«, der lange kolonial unterdrückt worden sei. Die Unterdrückten selbst müssten das ändern, um die eigenen Ressourcen im Interesse ihrer Völker zu nutzen. Voraussetzung sei aber, »dass wir unsere eigene Macht erkennen«. Wehren könnten sie sich mit Hilfe der UN und solcher Staaten wie Russland oder China. Pandor wies an dieser Stelle darauf hin, wer Afrika in der Pandemie geholfen habe und wer nicht.

Einen Monat vor dem BRICS-Gipfel in Südafrika erklärte sie, der Moment für Änderungen der Weltordnung sei jetzt. Man wolle nicht mehr »Geisel« des US-Dollars sein, zumal wenn USA und EU einen offenen Handelskrieg gegen China und Russland führten.

Die Äußerungen Pandors, die auf dem Weg nach St. Petersburg in Beijing Station gemacht hatte, bringen die Veränderungen im globalen Kräfteverhältnis zum Ausdruck, die ein ungewollter Nebeneffekt des NATO-Krieges gegen Russland sind. Stänkereien einer deutschen Ministerin sind daneben lächerlich: Nichts begriffen, sondern immer noch auf dem Herrenvolktrip. Washington kritisiert, Südafrika und andere betrieben eine Politik der »aktiven Blockfreiheit«. Was besagt: Der ganze Kontinent entzieht sich Diktaten, erst recht denen der Kolonialisten.
- https://www.jungewelt.de/artikel/455722.m%C3%A4chtiger-weltteil.html

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#politik #kolonialismus #imperialismus #usa #nato #sanktionsregime #widerstand #globaler-süden #selbstbestimmung #menschenrechte #UNO

Der Westen gegen den Rest der Welt

Mit ihrem Wirtschaftskrieg isolieren sich die westlichen Staaten zunehmend. Der Widerstand im globalen Süden wächst (Von Sevim Dagdelen)

In der Auseinandersetzung mit Russland und China versucht die Biden-Administration eine Welt der neokolonialen Unterdrückung zu etablieren, um den Verlust ihres hegemonialen Status zu verhindern. Aktueller Ausdruck dieses Bestrebens sind die strikten Forderungen der USA und ihrer Verbündeten an die Länder des globalen Südens, sich am Wirtschaftskrieg gegen Russland und an Waffenlieferungen für den Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu beteiligen. Fast schon verzweifelt wird hier versucht, ein quasi koloniales Hörigkeitsverhältnis wieder herzustellen, um sich gegen die abklingende Weltgeltung zu stemmen. Doch die große Mehrheit der Länder und der Bevölkerungen dort folgen dem Kurs der USA und der NATO-Staaten nicht. Dem von Washington auf deutschem Boden ins Leben gerufenen »Ramstein-Format«, in dem man Waffenlieferungen an die Ukraine abspricht und koordiniert, bleiben drei Viertel aller Staaten weltweit fern. 87 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern des globalen Südens, die sich weigern, sich dem Wirtschaftskrieg gegen Russland und dem NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine anzuschließen.

Der Westen steht hier gegen den Rest der Welt: Der UN-Menschenrechtsrat in Genf hat gerade über eine Resolution abgestimmt, in der rechtswidrige einseitige Sanktionen als Menschenrechtsverletzungen verurteilt werden. Die Entschließung wurde mit 33 Jastimmen, 13 Neinstimmen und einer Enthaltung angenommen. Zu den Ländern, die den Text ablehnten, gehörten erwartungsgemäß die USA und mehrere NATO-Mitglieder, darunter Großbritannien, Frankreich, Belgien, Tschechien, Finnland und Deutschland sowie die Ukraine und Georgien. Der globale Süden steht dagegen vereint gegen die verheerende Politik der Wirtschaftssanktionen – mit Ländern wie China, Südafrika, Indien, Bangladesch, Argentinien, Bolivien, Chile, Kuba, Benin, Gambia, Malawi, Malaysia und Vietnam. Resolution A/HRC/52/L.18 betont, dass einseitige Zwangsmaßnahmen, Gesetze und Sekundärsanktionen eine Verletzung des Völkerrechts, der Normen und Grundsätze sowie der UN-Charta darstellen. Im Text wird »große Besorgnis« über die negativen Auswirkungen von Sanktionen auf die Menschenrechte geäußert, einschließlich des Rechts auf Entwicklung. Die Staaten sind aufgerufen, »keine einseitigen Zwangsmaßnahmen mehr zu ergreifen, beizubehalten, umzusetzen oder zu befolgen (…), insbesondere keine Zwangsmaßnahmen mit extraterritorialer Wirkung«. Die von den USA und der EU verfügten unilateralen Sanktionen werden als Angriff auf die Grundsätze der »souveränen Gleichheit der Staaten« und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten gewertet. Die am 3. April verabschiedete Resolution verurteilt den Einsatz von Sanktionen als »Druckmittel«, das insbesondere gegen die am wenigsten entwickelten Länder und Entwicklungsländer zum Einsatz komme, »um diese an der Ausübung ihres Rechts zu hindern, aus freien Stücken über ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme zu entscheiden«.

Neben dem aktiven Widerstand gegen den US-Wirtschaftskrieg kommt es zudem zu einer regelrechten Flucht aus dem US-Dollar als Welthandelswährung. In einer rasanten Entwicklung beschließen immer mehr Staaten weltweit, ihre Handelsbeziehungen zu entdollarisieren und schneiden damit das Vermögen der USA, ihre Kriege und Stellvertreterkriege weiter über die Notenpresse zu finanzieren, entscheidend.

Der frühere Präsident Ghanas, Kwame Nkrumah, beschreibt den Neokolonialismus als systemisches Problem des postkolonialen Staates im Verhältnis zu den vormaligen europäischen Kolonialimperien. Zwar haben, so Nkrumah, die ehemaligen Kolonien die Unabhängigkeit in der Theorie und formal vollzogen, ohne jedoch faktisch Souveränität zu erlangen. Und wir sehen, wie auch im 21. Jahrhundert weiterhin versucht wird, die neokoloniale Unterwerfung insbesondere des afrikanischen Kontinents zu organisieren, sei es durch die schonungslose Ausbeutung von Rohstoffen durch westliche Konzerne oder die Macht finanzpolitischer Organisationen, die die Geschicke afrikanischer Länder zu deren Nachteil bestimmen.

Die kollektive und selbstbewusste Weigerung der Staaten des globalen Südens, sich an dem westlichen Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu beteiligen, zeigt, dass dieses System zusehends ins Wanken gerät. Der rasante Aufstieg Chinas, die Entwicklungen von Ländern wie Indien oder Brasilien und die Ausweitung der Kooperation und Integration der Länder des Südens machen deutlich: Der Weg zu einer multipolaren Welt ist unumkehrbar, auch wenn er gegen die Regierungen der NATO-Staaten noch durchgesetzt werden muss.
- https://www.jungewelt.de/artikel/448712.kolonialismus-westen-gegen-rest.html

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#politik #medien #kultur #globaler-süden #ignoranz

"In der Tagesschau beispielsweise wurde in der ersten Jahreshälfte 2022 über die britische Königsfamilie umfangreicher berichtet als über den globalen Hunger und über den Sport mehr als über den gesamten Globalen Süden."

"Redaktionen haben einen blinden Fleck - den Globalen Süden"

Dieser blinde Fleck betrifft drei Viertel der Weltbevölkerung (Von Radio Corax/Halle)

So das Ergebnis einer vor kurzem veröffentlichten Analyse zu den Themen, die in Jahresrückblicken deutschsprachiger Medien Platz finden. Während circa 85 Prozent der Weltbevölkerung in den Ländern des Globalen Südens leben, entfielen auf sie in den hier untersuchten Jahresrückblicken im Durchschnitt lediglich etwa elf Prozent des Gesamtumfangs der Beiträge. Die Folge ist, dass bedeutende Themen hier keinen Raum finden. Über die Ergebnisse der Analyse und wie dieses Verhältnis verbessert werden könnte, sprachen wir mit dem Autor der Analyse, Ladislaus Ludescher.
- https://amerika21.de/audio/263071/redaktionen-haben-einen-blinden-fleck

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#politik #krieg #frieden #verhandlungen #klima #hunger #elend #siko-nachlese #brasilien #kolumbien #globaler-süden

Noch so ein Aspekt der SiKo in München, der in keinen wertewestlichen Medien Erwähnung fand:

Münchner Konferenz: Kolumbien und Brasilien definieren globale Sicherheit anders

Francia Márquez: "Alte Richtlinien zur Militarisierung des Lebens" passen nicht zu den Bedürfnissen der Welt. Brasilien für friedliche Lösung im Ukraine-Krieg (Von Hans Weber/amerika21)

Die kolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez hat sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) vom allgemeinen Tenor einer andauernden Militarisierung des Ukraine-Kriegs distanziert. Sie forderte einen entmilitarisierten Ansatz in Sicherheitsfragen. Der Außenminister von Brasilien, Mauro Vieira, bekräftige die Bereitschaft seines Landes, eine Verhandlungslösung für den Krieg in der Ukraine mit zu erarbeiten. Márquez sagte in einer Podiumsdiskussion über die 'Verteidigung der UN-Charta und der regelbasierten internationalen Ordnung': "Es ist nicht gut, weiter darüber zu streiten, wer in einem Krieg verliert und wer gewinnt. Wir haben alle verloren, und wer in einem Krieg verliert, ist die Menschheit".

"Ein großer Teil der Welt fühlt sich heute unsicher. Aber ich glaube, wir müssen weiter denken. Denn Sicherheit lässt sich nicht mit Waffen lösen", so die afrokolumbianische Vizepräsidentin. Es sei notwendig andere Wege zu finden, denn die "alten Richtlinien zur Militarisierung des Lebens", wie sie bislang umgesetzt werden, passten nicht zu den aktuellen Bedürfnissen der Welt. Sie seien "anachronistisch". Márquez rief zu "einer neuen Weltordnung" auf, "die das Leben in den Mittelpunkt stellt und nicht die Militarisierung". Es gehe nicht darum, sich an der Seite von einer der Kriegsparteien zu positionieren, also nicht dafür, Russland oder die Ukraine zu schlagen. "Wir sind gegen den Krieg, denn der Krieg hat die Menschheit immer zerstört", äußerte sie.

Laut Márquez muss die Welt ihre Aufmerksamkeit auf andere Faktoren lenken, die Unsicherheit verursachen. Dies seien die Migrationskrise, die soziale Ungleichheit und die Ungleichheit der Geschlechter, der Hunger und das Elend sowie der Mangel an Ernährungssouveränität. Die 42-jährige Politikerin verwies insbesondere auf die Klimakrise als Faktor der globalen Unsicherheit. Kolumbien erwarte Klimagerechtigkeit von Europa, von der Welt. Es reiche nicht, Finanzmittel von Europa zu bekommen. Es sei wichtig, dass die Welt sich wirklich um die Klimakrise kümmere. Der kolumbianische Staat gehöre zu den Ländern der Welt, die nicht für große CO2-Emissionen verantwortlich seien, aber trotzdem die Verluste und Schäden der Klimakrise erleiden. [...]

Andere Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion teilten den pazifistischen Ansatz von Márquez. Der Außenminister Brasiliens, Mauro Vieira, verurteilte die Invasion Russlands in die Ukraine, sprach sich aber für eine friedliche Lösung des Konflikts aus. "Wir können nicht weiterhin nur über den Krieg sprechen". Es sei notwendig, Schritt für Schritt die Möglichkeit der Verständigung und Verhandlung zu suchen.

Dies führte Vieira auf der Publikumsveranstaltung "Im Mittelpunkt des Interesses: Brasilien" weiter aus. Präsident Lula da Silva missbillige die Agression und die Invasion, die gegen internationales Recht sei. Er habe verurteilt, was geschehen ist. Auf der anderen Seite habe Brasilien sich nicht an den Sanktionen beteiligt. Sanktionen, die nicht vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen werden, seien illegal, so der Außenminister. Seine Regierung schlage vor, eine Reihe von Ländern zusammenzubringen, die bei Verhandlungen zur Wiedererlangung des Friedens helfen. Dies bevorzuge Brasilien, anstatt am Krieg teilzunehmen. Neben Márquez war aus Kolumbien auch Außenminister Álvaro Leyva zur Konferenz eingeladen. "Natürlich lehnen wir Invasionen ab und respektieren das Völkerrecht", sagte Leyva der Deutschen Welle. Kolumbien sei jedoch für eine friedliche Lösung des Ukraine-Russland-Konflikts und nicht für eine "ewige Verlängerung des Kalten Krieges".

Die Beiträge von Márquez und Leyva auf der Münchner Sicherheitskonferenz sind besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass Kolumbien das einzige Land in Südamerika ist, das den Status eines "globalen Partners der Nato" hat. Sie blieben in den deutschsprachigen Medien indes ebenso wenig erwähnt wie die Beiträge des brasilianischen Außenministers.
- vollständiger Artikel: https://amerika21.de/2023/02/262813/siko-muenchen-kolumbien-brasilien

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #wertewesten #lateinamerika #afrika #globaler-süden #multipolarität

Das Ende des postkolonialen Imperiums scheint eingeläutet

Munich Security Report: Der Globale Süden beginnt, sich westlicher Kontrolle zu entziehen

Die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz plädieren für eine stärkere Berücksichtigung der Interessen des Globalen Südens (Von German Foreign Policy)

Wie es im Munich Security Report heißt, der am 13. Februar veröffentlicht wurde, müsse man sich endlich der Tatsache stellen, dass immer noch kein einziges Land Afrikas und Lateinamerikas – sowie kaum ein Land Asiens – die westliche Sanktionspolitik gegen Russland unterstütze. Wolle man ernste Rückschläge im globalen Machtkampf gegen Russland und China langfristig vermeiden, müsse man wenigstens einige der Länder im Globalen Süden zurückgewinnen....

"Postkoloniale Dominanz"

Besonderes Gewicht messen die Autoren des Munich Security Report dem Globalen Süden bei. Die Motive dafür sind nicht etwa Armut sowie schwierige Lebensverhältnisse in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, sondern die Tatsache, dass die Staaten des Globalen Südens zwar mehrheitlich den russischen Überfall auf die Ukraine als einen Bruch des internationalen Rechts kritisieren, sich aber nicht am Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland oder gar an der Hochrüstung der Ukraine beteiligen.

Hieß es bisher in öffentlichen Stellungnahmen aus Politik und Denkfabriken wie auch im medialen Echo stets nebulös, eine höchst diffuse "internationale Gemeinschaft" bestrafe Moskau für den Krieg mit Sanktionen, so stellt der Munich Security Report erstmals in dieser Offenheit fest: "Kein einziger Staat Afrikas oder Lateinamerikas ist Teil der lockeren Koalition, die Sanktionen gegen Russland verhängt hat."2 Auch in Asien beteiligen sich nur drei Staaten3 plus die chinesische Insel Taiwan an der Sanktionspolitik – und damit am Bestreben, die alte, vom Westen dominierte Weltordnung zu stabilisieren.

Der Munich Security Report räumt ein, die "vom Westen geführte Ordnung" sei für viele Staaten im Süden durch "postkoloniale Dominanz, doppelte Standards und Vernachlässigung der Anliegen von Entwicklungsländern" charakterisiert. "In weiten Teilen der Welt" gebe es daher Sympathien für eine multipolare, "nachwestliche" Weltordnung....

...Konkret und eher hilflos plädiert der Munich Security Report für eine wirkungsvolle Entwicklungshilfe und dafür, dass "Europa und die USA ihre Versprechen erfüllen, globale öffentliche Güter bereitzustellen". Zugleich müssten sie vom "Geber-Empfänger-Verhältnis" loskommen sowie "Kooperation auf Augenhöhe" ermöglichen. Allerdings gehört etwa Letzteres seit Jahren zu den offiziell stets stolz vorgetragenen Zielen der deutschen Außenpolitik, ohne dass es jemals praktisch realisiert worden wäre.5 Dass die ehemaligen Kolonien den Aufstieg auf gleiche Augenhöhe mit den Ex-Kolonialmächten schaffen, lag in der Tat noch nie im Interesse westlicher Politik.

Der Süden opponiert

Während es im Munich Security Report heißt, man müsse den Globalen Süden einbinden, beginnen dortige Schwellenländer nicht nur passiv – durch die Verweigerung von Russland-Sanktionen –, sondern auch aktiv gegen die transatlantische Politik im Ukraine-Krieg zu opponieren. So hat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva anlässlich seines Besuchs in Washington am 10. Februar bekräftigt, er arbeite weiterhin daran, gemeinsam mit anderen Staaten jenseits des alten Westens eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg zu erreichen.6 Als Kooperationspartner komme dabei China in Frage. Lula hat angekündigt, in wenigen Wochen nach Beijing zu reisen und mit seinem dortigen Amtskollegen Xi Jinping Gespräche zu führen.

Chinas Regierung sei "eine der wenigen auf der internationalen Bühne, die Moskau nicht ignorieren kann", räumte gestern Wolfgang Ischinger, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, ein: "Allein oder mit anderen wäre China vielleicht imstande, einen Friedensvorschlag zu machen."7 Ischinger wies allerdings zugleich darauf hin, das werde "in den USA vermutlich nicht größte Freude auslösen". In der Tat wäre ein von China mit erzielter Verhandlungserfolg bloß ein weiterer Beleg für den historischen Abstieg des Westens, den dieser verhindern will – mit allen Mitteln.
- vollständiger Artikel: https://amerika21.de/analyse/262782/der-zusammenbruch-der-alten-ordnung

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #krieg #ukraine #russland #nato #globaler-süden #neutralität #verhanlungen #frieden

Herunter vom hohen Ross westlicher Werte. Wie wäre es mal auf die Vertreter:innen der Mehrheit der Menschheit zu hören.

Krieg in der Ukraine: Wie die Welt ihn sieht

Neutralität: China, Indien, Indonesien, Brasilien, Kolumbien und auch andere Länder lassen sich auch ein Jahr nach Kriegsausbruch von keiner Konfliktpartei vereinnahmen. Ein Blick über Europas Grenzen hinaus zeigt andere Perspektiven auf Russlands Krieg

  • von Lutz Herden, Christian Wagner, Sabine Kebir, Niklas Franzen

China: Verhaltene Parteinahme

Allzu sehr ist die chinesische Außenpolitik auf friedliche Koexistenz und Respekt vor der UN-Charta bedacht, als dass sie den russischen Krieg in der Ukraine anstandslos billigen würde. Im Gegenteil, sie tut sich schwer damit. Und das unverkennbar. Allein das Risiko eines ausufernden Konflikts mit der NATO beunruhigt, weil der bei einer nach oben offenen Eskalationsskala über die nukleare Schwelle driften könnte. Gilt die Formel von Präsident Xi Jinping von der „verantwortungsvollen Weltmacht“, wäre womöglich mehr Äquidistanz zu den Kriegsparteien angebracht.

Stattdessen lässt sich verhaltene Parteinahme für Wladimir Putin schwerlich leugnen. Dem dürfte die Annahme zugrunde liegen, dass eine russische Niederlage China in der systemischen Rivalität mit den USA schaden würde. Die Volksrepublik kann es sich nicht leisten, aus der Komfortzone eines Unbeteiligten heraus zu verfolgen, wie Russland verliert. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat denn auch Ex-Außenminister Wang Yi eine Friedensinitiative versprochen, die man zum ersten Jahrestag des Krieges verkünden werde.

Als sich Xi Jinping und Wladimir Putin Mitte September 2022 im usbekischen Samarkand während des Gipfels der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) trafen, dankte Russlands Staatschef für die „ausbalancierte Haltung der chinesischen Freunde in der ukrainischen „Krise“ und sprach von einem „außenpolitischen Tandem“, was sein Gegenüber so nicht zurückgeben wollte. Doch brachte Xi seine politische Fürsprache für Russland in einem Moment zum Ausdruck, als dessen Armee im Raum Charkiv an Boden verlor. Nach dieser Begegnung war in der Rhetorik Putins die Drohung mit einem Atomschlag seltener zu hören. Nun hieß es etwa in der Rede vor dem Verteidigungsministerium in Moskau am 21. Dezember: „Kernwaffen sind die Hauptgarantie für die Bewahrung unserer Souveränität und territorialen Integrität“.

Wie China seine Akzente setzt, wurde deutlich, als Li Zhanshu – Vorsitzender des Ständigen Ausschusses im Nationalen Volkskongress und so die Nr. 3 in der staatlichen Hierarchie nach Xi und Premier Li Keqiang – beim Moskau-Besuch am 11./12. September die russische Diktion übernahm und von einer „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine sprach, für die es Gründe gäbe. Während russische Medien dies wohlwollend zitierten, wurden Lis Aussagen in China zurückhaltender oder gar nicht wiedergegeben. Das Geschick der Biden-Administration – sei es bei der Taiwan-Frage oder der „Ballon-Affäre“ – hat Anteil daran, dass China Russland nicht fallen lässt.

Lutz Herden

Brasilien: Lula schickt keine Munition

Einen „Friedensklub“ will Brasiliens Präsident „Lula“ da Silva gründen und zusammen mit China im Ukrainekrieg vermitteln. Im Westen wurde darauf reserviert, teils mit Häme reagiert. Was viele nicht wissen: Während seiner ersten Amtszeit – sie währte von 2003 bis 2011 – war Lula durchaus gefragt, um Konflikte zu entschärfen, beim Atomstreit mit dem Iran ebenso wie zwischen den USA und Venezuela.

Im Mai 2022 hatte ein Interview mit dem US-Magazin Time für Aufsehen gesorgt, bei dem Lula zu verstehen gab, für ihn sei Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj „genauso verantwortlich“ für den Krieg wie Russlands Wladimir Putin. Man müsse mehr über Hintergründe des Konflikts sprechen. Während des Besuchs von Kanzler Olaf Scholz im Januar zitierte Lula ein brasilianisches Sprichwort: „Wenn einer nicht will, können zwei nicht streiten.“ Mit Blick auf Russland meinte er, das Land habe „den klassischen Fehler begangen, in das Territorium eines anderen Landes einzudringen“, deshalb verurteile er zusammen mit Scholz den russischen Angriff. Dies änderte jedoch nichts an der Absage an die NATO, die Artilleriemunition für die ukrainische Armee gefordert hatte. Bei einem Besuch in Washington Ende Januar verteidigte Lula seine Entscheidung. „Würde ich die Munition schicken, würde ich mich in den Krieg einmischen“, sagte er CNN. „Ich will in keinen Krieg eintreten. Ich will den Frieden.“ Auch andere südamerikanische Staatschefs halten sich in ähnlicher Weise gegenüber der Ukraine bedeckt. Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro erklärte, kein russisches Militärgerät, das von der eigenen Armee genutzt werde, in die Ukraine lotsen zu wollen. Ebenso verweigert sich Argentiniens Mitte-Links-Präsident Alberto Fernández einem Waffentransfer. Nur Chiles linker Regierungschef Gabriel Boric will Kiew Schiffe zu Verfügung stellen, um Minen im Schwarzen Meer zu räumen.

Trotz ihres Interesses an einem kooperativen Verhältnis zur EU wollen sich die meisten Staaten des Subkontinents im Ukraine-Konflikt auf keine Seite schlagen. Ihre Außenpolitik folgt einer multipolaren Agenda: Abhängigkeiten von den Großmächten verhindern, stattdessen einen gleichen Abstand wahren und beachten, dass es wirtschaftliche und politische Verbindungen mit Russland wie mit China gibt. Ganz abgesehen davon, dass in der lateinamerikanischen Linken aufgrund der eigenen Geschichte ein tiefes Misstrauen gegenüber den USA besteht. Während der Ukrainekrieg in Europa medial weiter Topthema ist, steht er in Südamerika nur selten im Fokus. Europa ist für viele weit weg.

Niklas Franzen

Algerien: Missverständnis vor der Garküche

Von Anfang an beharrt Algerien im Ukrainekrieg auf Neutralität. Als ich im November in die winzige Garküche „Chez Rebouh“ in Algier treten wollte, wo man aus siedendem Öl gehobene Knuspersardinen bekommt, wurde ich von zwei Passantinnen zurückgehalten. „Sind Sie Russin?“, wurde ich gefragt und kassierte mit meinem Nein eine leichte Enttäuschung. Selten war das seit der Unabhängigkeit 1962 mit Algerien verbündete Russland – früher die Sowjetunion – so angesehen wie heute. Die Bevölkerung ist vom Westen zutiefst enttäuscht, seit den Kriegen im Irak, in Syrien, Libyen und Afghanistan, die „failed states“ hinterließen. Ebenso stößt der westliche Unwille ab, etwas für die Lösung der Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern wie um die Westsahara zu tun. Dass Marokko die Westsahara und Israel die Golan-Höhen sowie Ostjerusalem annektiert haben, verhindert die offizielle Anerkennung der russischen Annexion ukrainischer Gebiete durch Algerien.

Als im Mai 2022 ein NATO-Gesandter Armeechef Said Chengriha nahelegte, Russland zu verurteilen, antwortete der, dass Algerien neutral bleibe und auf gleichen Maßstäben beim Umgang mit UN-Beschlüssen bestehe. Auf einer Konferenz der Mittelmeerstaaten im Dezember bekräftigte Außenminister Ramtane Lamamra, dass sein Land die russische Invasion weder billigen noch verdammen werde. Auch er beschuldigte die westlichen Staaten, bei der Annexion ukrainischer Gebiete andere Maßstäbe walten zu lassen als im Falle palästinensischer Territorien und der Westsahara, deren Inbesitznahme durch Israel beziehungsweise Marokko nicht einmal verbal verurteilt werde.

Wirtschaftlich profitiert Algerien von der in der EU entstandenen Energieknappheit. Hohe Preise für Öl und Gas spülen Devisen in die Staatskasse. Gehälter und Sozialleistungen wurden beträchtlich erhöht. Präsident Abdelmadjid Tebboun empfing im Januar Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, um ein Abkommen über eine schnell zu bauende weitere Gaspipeline Richtung Europa abzuschließen. Die Trasse wird mehrere EU-Länder beliefern, darunter auch Deutschland.

Die meisten Waffen, die Algerien kauft, stammen aus Russland. Am 22. Juli 2022 liefen Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte zum Freundschaftsbesuch in den Hafen von Algier ein. Auf das jährlich von den USA und sieben afrikanischen Staaten in Marokko, teilweise in der Westsahara, veranstaltete Manöver „African Lion“ reagierten Moskau und Algier mit einer Übung im Westen Algeriens.

Sabine Kebir

Indonesien: Das Erbe des „Dritten Weges“

Die Regierung in Jakarta hat Russland im Vorjahr wegen des Einmarsches in die Ukraine nie öffentlich kritisiert. Augenscheinlich galten wegen der Präsidentschaft bei den G20-Staaten Neutralität und Überparteilichkeit als erstrebenswert. Was allerdings Indonesiens UN-Botschafter Dian Triansyah Djani nicht daran hinderte, am 2. März sowie 12. Oktober 2022 in der UN-Generalversammlung für die Resolutionen A/RES/ES-11/1 bzw. A/RES/ES-11/4 zu stimmen, die den russischen Angriffskrieg verurteilten und einen Truppenabzug verlangten. In den Debatten zuvor hatte Triansyah Djani wie auch die Vertreter Südafrikas, Vietnams und Argentiniens moniert, dass in den Dokumenten nicht mit dem nötigen Nachdruck auf Friedensverhandlungen bestanden wurde. Eine Isolation Russlands sei wenig förderlich und trage eher zur Eskalation bei, so der Botschafter.

Ähnlich hat Außenministerin Retno Marsudi den Verzicht auf Sanktionen begründet. Am 7. April 2022 enthielt sich Indonesien wie 57 andere UN-Mitglieder der Stimme, als – wiederum in der UN-Vollversammlung – eine Mehrheit Russlands Präsenz im Menschenrechtsrat suspendierte.

Vor dem G20-Gipfel auf Bali Mitte November 2022 hatte es Forderungen aus den USA und anderen westlichen Ländern gegeben, Russland als Mitgliedsstaat von diesem Treffen auszuschließen. Präsident Joko Widodo lehnte das ab und lud den russischen Präsidenten ausdrücklich ein, der sich dann jedoch von Außenminister Sergej Lawrow vertreten ließ. Ende Juni hatte Widodo – in seiner Eigenschaft als G20-Präsident – erst Kiew und dann Moskau besucht, um sich, wie es hieß, „einen Eindruck von den Positionen beider Staaten“ zu verschaffen, ohne auf eine Verhandlungsmission bedacht zu sein.

Die außenpolitischen Positionen Indonesiens gründen in den Vorstellungen von einer friedlichen Koexistenz zwischen allen Staaten. Eine Auffassung, wie sie schon in den 1950er-Jahren regionale Anerkennung fand. Indonesien war im April 1955 Ausrichter der asiatisch-afrikanischen Friedenskonferenz in Bandung (Westjava), um Länder des „Dritten Weges“ zusammenzuführen. In der Regel erst kurz zuvor in die Unabhängigkeit entlassen oder zum Teil noch kolonisiert, lehnten sie jede Blockbindung strikt ab und sollten wie Ägypten, Indien, Pakistan oder Ceylon (heute Sri Lanka) zu den Wegbereitern der Nichtpaktgebundenen-Bewegung werden.

Indonesiens damaliger Präsident Ahmed Sukarno erregte Aufsehen, als er jede Diskriminierung der Volksrepublik China verwarf und deren Premier Zhou Enlai ebenfalls nach Bandung einlud.

Lutz Herden

Indien: Den geopolitischen Moment auskosten

Russlands Überfall auf die Ukraine hat für Indien einen geopolitischen Moment geschaffen, den das Land für seine außenpolitischen Ambitionen nutzt. Wie nie zuvor buhlen alle Großmächte um seine Gunst. Premier Narendra Modi hat sich zwar mittlerweile vom russischen Krieg distanziert, doch zugleich die wirtschaftliche Kooperation mit Russland ausgeweitet, das zu einem der wichtigsten Öllieferanten Indiens wurde. Zudem investieren russische Staatsfirmen weiterhin und entwickeln Möglichkeiten, anfallende Zahlungen direkt oder über Drittwährungen zu begleichen. Russland, der Iran und Indien haben den internationalen Nord-Süd-Transport-Korridor (INSTC) wiederbelebt.

Indiens überparteiliche Haltung sorgte in den westlichen Hauptstädten anfangs für viel Kritik und Unverständnis. Jedoch musste Delhi keine Sanktionen fürchten, profitiert es doch von den geopolitischen Gemeinsamkeiten mit den westlichen Ländern gegenüber China. Sie resultieren aus der Überlegung, dass Indiens Aufstieg ein wichtiges Bollwerk gegen chinesische Hegemonie im Indo-Pazifik ist. So sind – trotz der fortgesetzt hohen Abhängigkeit von russischen Rüstungseinfuhren – die USA, Frankreich und Israel für Indien mittlerweile die wichtigsten Partner bei der Modernisierung seiner Streitkräfte.

Die EU und die USA haben signalisiert, ihre Beziehungen mit Indien zu intensivieren. Bausteine hierfür sind der neue Handels- und Technologierat EU/Indien sowie die US-Initiative über kritische und Zukunftstechnologien (Critical and Emerging Technology). Selbst China bemüht sich nach dem Grenzzwischenfall im Sommer 2020 wieder um Annäherung, was Delhi als geopolitisches Moment für den eigenen internationalen Aufstieg zu nutzen versteht, um an einer strategischen Autonomie festzuhalten und sich als Pol in einem multipolaren Asien zu etablieren. Dazu zählt, dass die Regierung Modi von den westlichen Staaten einen Blankoscheck für den innenpolitischen Umbau erhält, bei dem Demokratie und Meinungsfreiheit erodieren, dazu die Rechte der Minderheiten zugunsten der Hindu-Mehrheit zurückgedrängt werden.

Indiens auf den ersten Blick komfortable Position ist nicht ohne Risiken. Erstens verursacht die militärische Kooperation mit dem Westen deutlich höhere Kosten als die mit Russland. Zweitens fürchtet Delhi eine allzu enge Anlehnung Russlands an China. Indien bleibt für die westlichen Staaten ein gleichermaßen unabdingbarer wie schwieriger Partner.

Christian Wagner

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #krieg #waffenlieferungen #widerspruch #diplomatie #frieden #lateinamerika #globaler-süden

Diplomatie statt "Gepardenfutter" (so bezeichnet die taz todbringende Munition). Der Globale Süden macht sich selbstständig von der "Welt- und Wertegemeinschaft" der absoluten Minderheit.

Brasilien: "Auf der Seite der Diplomatie"

Lula da Silva bemüht sich um Vermittlung im Ukraine-Krieg – gemeinsam mit anderen Staaten des Globalen Südens - Keine Waffen aus Lateinamerika

Lulas Bekräftigung, keine Waffen und keine Munition an die Ukraine liefern zu wollen, ist eine Schlappe nicht nur für Berlin, sondern auch für Washington. Die US-Regierung übt zur Zeit massiven Druck auf mehrere Staaten Lateinamerikas aus, Waffen aus sowjetischer bzw. russischer Produktion, die sich in ihrem Besitz befinden, der Ukraine zukommen zu lassen8. Vor Brasilien haben bereits weitere Staaten des Subkontinents das Ansinnen öffentlich zurückgewiesen.

So teilte zum Beispiel Kolumbiens Präsident Gustavo Petro in der vergangenen Woche mit: "Keine russische Waffe, die Kolumbien gekauft hat, wird im bewaffneten Konflikt in der Ukraine eingesetzt werden." Petro fügte hinzu, Lateinamerika solle sich, anstatt Kriegsgerät zu liefern, um Frieden bemühen. Argentiniens Präsident Alberto Fernández erklärte am Samstag bei einer gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz durchgeführten Pressekonferenz: "Argentinien und Lateinamerika denken nicht daran, Waffen zu schicken". Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador wiederum übte offene Kritik an der Entscheidung der Bundesregierung, Kiew Kampfpanzer zu liefern – eine klare Bestätigung, dass aus Mexiko trotz allen US-Drucks keinerlei Waffenhilfe, sondern Unterstützung für Vermittlungsversuche zu erwarten ist.

"Frieden diskutieren"

Beim Besuch von Kanzler Scholz ist Brasiliens Präsident Lula am Montag einen Schritt weiter gegangen und hat sich offen dafür ausgesprochen, endlich eine Vermittlungsinitiative zur Beendigung des Ukraine-Kriegs zu starten. Man müsse rasch "eine Gruppe von Ländern an den grünen Tisch bringen", um über "Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu diskutieren", erklärte Lula. Brasilien sei ohne weiteres "bereit, einen Beitrag zu leisten".

Weitere Vermittlungsbeiträge könnten etwa von Indien oder von Indonesien kommen; auch China könne "einen großen Beitrag leisten". "Die Chinesen müssen jetzt einmal auch mithelfen, um den Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu finden", äußerte Lula; das werde er "mit Präsident Xi diskutieren", wenn er "im März die Volksrepublik" besuche. Mit Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe er bereits darüber gesprochen – und in der kommenden Woche werde er es mit US-Präsident Joe Biden tun. Damit stellt sich der brasilianische Präsident in offenen Widerspruch zu den westlichen Mächten inklusive Deutschland, die – weit davon entfernt, ernsthaft mit Moskau und Kiew zu verhandeln – den Ukraine-Krieg mit immer neuen Waffenlieferungen stets weiter befeuern.

Ein Gegenpol

Eine Verhandlungslösung fordern Staaten im Globalen Süden schon lange und mit steigender Intensität ein. Im September etwa hatte Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar bekräftigt, sein Land stehe "auf der Seite" derer, die "Dialog und Diplomatie als den einzigen Weg aus dem Krieg" forderten. Die Türkei verhandelt schon lange und zum Teil – so etwa bei der Vermittlung einer Einigung über Getreidelieferungen über das Schwarze Meer – mit klarem Erfolg.

Erst am Dienstag hat Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry bestätigt, auch sein Land setze seine "Bemühungen bei der Suche nach diplomatischen Lösungen" für den Krieg fort. Am Mittwoch hat zudem Israels Premierminister Benjamin Netanjahu erklärt, grundsätzlich zur Vermittlung zwischen beiden Kriegsparteien bereit zu sein.

Damit wird vor allem im Globalen Süden ein Gegenpol gegen das westliche – explizit auch deutsche – Bestreben erkennbar, Russland eine klare Kriegsniederlage zuzufügen und diesem Ziel jedes Bemühen um Frieden unterzuordnen. Eine russische Kriegsniederlage wäre aus Sicht des Westens ein bedeutender Schritt bei der Verteidigung seiner überkommenen globalen Dominanz.
- https://amerika21.de/analyse/262576/lateinamerika-auf-seiten-der-diplomatie

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #globaler-süden #china #blockfreie #uno #mehrheit #antiimperialismus #bündnis

Das grösste Bündnis gegen die weiße Vorherrschaft!

Kuba übernimmt die Präsidentschaft der G77+China

Der 1964 von der Bewegung der Blockfreien Staaten gegründeten G77 gehören derzeit 134 Länder an. Sie repräsentiert 75 Prozent der Mitglieder der Vereinten Nationen und 80 Prozent der Weltbevölkerung.

Die sozialistische Republik Kuba hat erstmals den Pro-Tempora-Vorsitz der Gruppe der 77 + China, einem Zusammenschluss von 134 Ländern des Globalen Südens, inne. Die Übergabe erfolgte in einer virtuellen Zeremonie, an der Kubas Präsident Miguel Diaz-Canel, der Generalekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, der Präsident der UN-Generalversammlung Csaba Korosi und der pakistanische Außenminister Bilawal Bhutto Zardari teilnahmen.

Diaz-Canel rief in seiner Ansprache dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um "die Hindernisse für den wirklichen Fortschritt der Völker" zu überwinden: "Die Einheit ist ein Gebot und die größte aller Notlagen".

In diesem Sinne betonte auch der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez, dass die Bündnisse innerhalb der Organisation in schwierigen Zeiten gestärkt werden müssten. Er wies darauf hin, dass sein Land im Rahmen der G77-Präsidentschaft die internationale Zusammenarbeit fördern werde, um die wirtschaftliche Erholung der Entwicklungsländer nach der Pandemie zu beschleunigen. Die Präsidentschaft Kubas werde auch darauf abzielen, die Süd-Süd-Zusammenarbeit effektiver zu gestalten und die Nord-Süd-Zusammenarbeit zu fördern, damit die Industrieländer ihrer historischen Verantwortung gerecht werden. Innerhalb der G77 werde Kuba die Konsolidierung gemeinsamer Positionen, die Stärkung der Einheit der Gruppe und die Teilnahme an den wichtigsten laufenden multilateralen Prozessen fördern.

Sein Ministerium, so versprach Rodríguez, werde sich auch für die Konsolidierung eines "auf Regeln basierenden, transparenten, nicht diskriminierenden, offenen und integrativen multilateralen Handelssystems" einsetzen. Ebenfalls auf der kubanischen Agenda stehe die Verteidigung des allgemeinen Zugangs zu hochwertiger Bildung und Gesundheit.

Nach Ansicht des Präsidenten der 77. UN-Generalversammlung, Csaba Korösi, werde die kubanische Präsidentschaft in der G77+China bei der Forderung nach einer gerechteren Weltordnung erfolgreich sein. "Die Prioritäten, die Kuba gesetzt hat, sind sehr ermutigend. Ich hoffe, dass Fortschritte erzielt werden können, und ich zähle auf Ihre Führung", sagte er und ergänzte: "Ich bin zuversichtlich, dass ich auf G77+China setzen kann, um die Welt wieder auf den Pfad der Transformation zu bringen".

Der 1964 von der Bewegung der Blockfreien Staaten gegründeten G77 gehören derzeit 134 Länder an. Sie repräsentiert 75 Prozent der Mitglieder der Vereinten Nationen und 80 Prozent der Weltbevölkerung. Die Gründungsabsicht war, eine verstärkte gemeinsame Verhandlungskapazität des Globalen Südens innerhalb der Vereinten Nationen zu schaffen. Die Volksrepublik China begann ihre Kooperation mit der G-77 anlässlich der "UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung" im Jahr 1992, ist inzwischen aber Mitglied der G77. Die immer noch häufig verwendete Terminologie "G-77+China" geht auf die Anfangszeit der Kooperation zurück.
- https://amerika21.de/2023/01/262187/kuba-erhaelt-die-praesidentschaft-der-g77

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#politik #gesundheit #corona #impfen #sozialismus #globaler-süden #kuba

Krasser Gegensatz zum Impfstoffimperialismus: Cubas Strategie gegen Covid-19

„Über 500 Millionen Menschen haben sich bisher mit Covid-19 infiziert. Über sechs Millionen sind an oder mit dem Virus gestorben. Arme trifft es mehr als Reiche, Schwarze mehr als Weiße. Und das liegt nicht am Virus. Was sind die Ursachen dafür, was könnte die Lösung für eine gerechtere medizinische Versorgung sein? Der Traum des südafrikanischen Geistlichen und Menschenrechtsaktivisten Desmond Tutu war der „einer Welt, in der man stärker auf das Wohl des anderen bedacht ist, in der es mehr Mitgefühl gibt, in der Menschen mehr zählen als Dinge, in der sie wichtiger sind als der Profit“. Unter dieser Prämisse geben die kapitalistischen reichen Länder kein gutes Bild ab. Und das liegt auch am Impfstoffimperialismus, der im krassen Gegensatz steht zu einer gemeinwohlorientierten Medizin, wie sie in Cuba anzutreffen ist. (…)

Der Leitsatz „Wir sind nur sicher, wenn wir alle sicher sind“, eine humanitäre Grundeinstellung und die Übernahme von Verantwortung auch gegenüber den „Verdammten dieser Erde“ sind den Pharmakonzernen und unserer Politik fremd. Die USA mit Moderna, Deutschland mit BioNTech und England mit Astra Zeneca unterstützten ihre jeweiligen Platzhirsche bei der Impfstoffentwicklung mit Beträgen bis zu einer halben Milliarde Euro. Big Pharma schöpfte dann die Ergebnisse der mit hohen öffentlichen Mitteln geförderten Grundlagenforschung an Universitäten und medizinischen Forschungslaboren ab, benutzte und vermarktete sie. Schließlich konnten sie dann die Preise für die Impfstoffe weitgehend selbst festsetzen und auch die Riesengewinne realisieren. So wurden die Bürger*innen zweimal zur Kasse gebeten. Auch die COVAX-Initiative, ein Produkt der WHO und eines ihrer Hauptförderer, der Bill und Melinda Gates Stiftung, hat sich als neoliberales Feigenblatt erwiesen, da die angebotenen Dosen, die teilweise von ärmeren Ländern gekauft werden mussten, längst nicht ausreichten und die Monopolbildung der Topproduzenten noch ausgebaut wurde. (…)

Für Cuba war die Pandemie nicht nur eine „harmlose Erkältung“ wie in Trumps USA oder Bolsonaros Brasilien, sondern von Anfang an eine ernsthafte Bedrohung. Bereits im Januar 2020 ergriff Cuba auf allen Ebenen Maßnahmen und Schulungen im Hinblick auf die zu erwartende Pandemie. Cubanische Spezialist*innen reisten nach China, um zu helfen und sich zu informieren. Schon früh wurden Arbeitsgruppen eingerichtet wegen der notwendigen Labortests, Therapien und der Entwicklung von Impfstoffen. Zu allen Zeiten gab es in Cuba eine gute Informationspolitik zum Pandemiegeschehen, dann einen längeren Lockdown sowie tägliche Visiten durch Familienärzt*innen und Medizinstudierende in ihrem Bezirk. Cuba hat bisher fünf Impfstoffe aus zwei Linien entwickelt. Alle sind Proteinimpfstoffe und wurden in enger Zusammenarbeit der wichtigsten staatlichen Institute in einer großen Kraftanstrengung entwickelt. Es sind die einzigen Impfstoffe, die in einem lateinamerikanischen Land entwickelt worden sind und auch schon verimpft werden. (…)

Im August 2022 informierte die Leitung von BioCubaFarma über den Entwicklungsstand eines neuen Impfstoffkandidaten gegen die Omikron-Variante. Spikeproteinanteile als Antigene waren bisher an den Beta- und Delta-Stämmen von Covid-19 orientiert. Über 90 Prozent der Bevölkerung in Cuba sind drei Mal geimpft, auch Kinder ab zwei Jahren. Über 70 Prozent sind mindestens ein Mal geboostert. Die cubanischen Impfstoffe haben eine hohe Effektivität von über 90 Prozent und geringe Nebenwirkungen. Sie sind verantwortlich für sehr geringe Erkrankungsraten, trotz des wieder aufgenommenen Tourismus, und für eine ganz geringe Letalitätsrate durch Covid-19. Ein weiteres wichtiges Element im Umgang mit der Pandemie sind die über 20 Wirkstoffe zur Therapie, die auf Cuba zugelassen sind, darunter auch homöopathische und pflanzliche. (…)

Zum Einsatz kamen cubanische Impfstoffe bisher im Iran, in Nicaragua, Mexiko, Vietnam, Argentinien und Venezuela. Großes Interesse an diesen Vakzinen hat auch die WHO wegen ihrer Stabilität, der vergleichsweise günstigen Kosten und ihrer Wirksamkeit, auch bei der Omikron- und der Deltavariante. Cuba ist zu einem umfassenden Technologietransfer in die Länder des Südens bereit, einschließlich einer dortigen Impfstoffproduktion…“
- Artikel von Klaus Piel in der ila 459 vom Oktober 2022
https://www.ila-web.de/ausgaben/459/krasser-gegensatz-zum-impfstoffimperialismus

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #gesellschaft #revolte #soziale-bewegungen #globaler-süden #haiti

Haiti: Von Verzweiflung und Wut

Die Bevölkerung begehrt auf gegen ein korruptes System ‒ und gegen jede Art von Intervention der "Internationalen Gemeinschaft" (Von Frédéric Thomas)

.... In den internationalen Reaktionen auf die Rebellion in Haiti lassen sich drei Schrecken erkennen: vor den Schwarzen, vor den Bevölkerungen des Südens und vor dem "einfachen Volk". Sicherlich sollte man sich in 7.000 Kilometer Entfernung und mit vollem Bauch vor Aufstandsromantik hüten, aber noch mehr sollte man paternalistische Rhetorik oder falsches Mitgefühl, das die Revolte als Unfall oder Fehler sieht, ablegen.

Die derzeitige Erhebung hat die Positionen geklärt. Die Haitianerinnen und Haitianer haben den ihnen zugewiesenen Platz – den einer bevormundeten, "von oben" verwalteten Bevölkerung, dazu verurteilt, von sinnloser, auswegloser humanitärer Hilfe zu leben – verlassen. Sie haben damit das Schloss des Status Quo und der Beherrschung für einen Moment gesprengt. Gleichzeitig haben sie den internationalen Zynismus und die Doppelbödigkeit entlarvt.

Und sie haben die Optionen, vor denen sie stehen, auf den Punkt gebracht: Entweder sie erleiden die Angst vor Entführung und Vergewaltigung, die Gewalt der Verachtung und der Herrschaft isoliert in jeder Familie, oder sie stellen sich dem gemeinsam auf der Straße. Auf die Gefahr hin, sich einem neuen Massaker auszusetzen, das von den bewaffneten Banden organisiert und von den Machthabern ferngesteuert wird.

Man muss immer wieder sagen: Nicht nur haben die Haitianer und Haitianerinnen Recht, zu revoltieren, sondern einzig die Revolte eröffnet den Weg für einen Wandel, indem sie es ermöglicht, sich von der doppelten Unterordnung unter die Oligarchie und die Internationale Gemeinschaft zu lösen.
- vollständiger Artikel: https://amerika21.de/analyse/260460/haiti-von-verzweiflung-und-wut

Mehr: https://amerika21.de/geo/haiti

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #linke #opportunismus #identität #anerkennung #materialismus #marxismus #klassenfrage #sozialpolitik #globaler-süden #internationalismus

Hier in 3 Zitatblöcken die Auszüge aus einem sehr guten und wichtigen Artikel über Opportunismus und die Linke im globalen Norden:

Die Kunst des Umfallens - Zum Antrieb des Opportunismus, zu seiner jüngsten Form und zur Frage, wie zu kämpfen geht

  • Von Felix Bartels

1. Identitätspolitik und Opportunismus

"Es gibt in der Linken stets eine Menge von Leuten, die in das Ensemble der genuin bürgerlichen Ideologien zurückwollen. Diese Tendenz muss sich als eigenständige Strömung artikulieren. Da Opportunismus kein Wesen hat als die Suche der konvenienten Position in einer konkreten historischen Lage, hat er keine Form, die sich festhalten ließe. Er liefert die Haltung, die Form kommt von der Zeit. Womit sie deren Wandel unterliegt. Die dominierende Form unserer Periode ist die Abspaltung der »Liberals« von den Linken. Das allmähliche Ersetzen sozialpolitischer Fragen durch kulturelle und das zunehmende Messen des Fortschritts an den Kriterien des einzelnen unter Vernachlässigung kollektiver Kriterien – das also, was mit dem Etikett »Identitätspolitik« versehen wird. »Liberals« kompensieren ihre steigende Unlust am Klassenkampf mit einer Sorge um Minderheiten oder ausgestoßene einzelne. Es geht um Geschlechtsidentitäten, Hautfarben, Religion und sexuelle Neigungen. Alles löst sich auf in »Awareness«. Sie stehen ganz auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft, sie gehören in das Ensemble der oben aufgezählten partikularen Grundrichtungen, und zwar genuin, da sie reduzierte Linke sind, bei denen das, was diese Gesellschaft überschreitet oder grundlegend in Frage stellt, ausgetilgt scheint. Allen exzentrischen Posen zum Trotz sind sie Teil der Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Fraktion. Das englische »liberal« wird oft missverstanden. Ich schlage die Bezeichnung Commitmentlinke vor, weil es das ist, worum es dabei im Kern geht – einen Kampf um Anerkennung nämlich. [...] Wir sprechen von Linken, die keine Sorge mehr kennen, als Teil des Ganzen zu werden. Wo es um Anerkennung geht, wird das augenfällig, denn ich kann nicht bekämpfen, um wessen Anerkennung ich mich andererseits bemühe. Die Sorge um Randgruppen missrät zum Ersatz für Sozialpolitik, weil sie projektiv ist. In der Randgruppe erkennt die Commitmentlinke sich wieder. Missachtet, wir hatten das, fühlt auch sie sich, Teil der Mehrheitsgesellschaft möchte auch sie sein. Opportunismus ist also kein unerfreulicher Begleitumstand, sondern das eigentliche Ziel linksliberaler Teilhabepolitik. Das Elend beginnt, wo Linke sich den Kopf der Herrschenden zerbrechen. Wo sie gestalten statt kämpfen wollen. Wo sie anfangen, sich als Teil des Ganzen zu fühlen, haben sie aufgehört, links zu sein."

2. Bewegungslinke vs. Wagenknecht: Zwei Seiten des sozialdemokratischen Opportunismus

"Übrigens sind die Elemente des Widerspruchs einander nicht äquivalent. Das Konzept der Anerkennung liquidiert den Klassenkampf, aber das Konzept des Klassenkampfs schließt Anerkennung nicht aus. Die Politik der Anerkennung muss ihm untergeordnet und auf das utopische Ziel des Klassenkampfs bezogen werden. Sie verliert so nichts von ihrem Gehalt, lediglich ihren integrativen, opportunistischen Charakter. Damit ist zugleich eine Abgrenzung deutlich gemacht von Tendenzen, wie sie prominent besonders von Sahra Wagenknecht vertreten werden. Sie – nicht minder sozialdemokratisch und opportunistisch als ihre Gegenspieler der Commitmentlinken – gibt vor, eine Alternative zur Identitätspolitik zu haben. Was sie dann serviert, ist eine alternative Identitätspolitik. Das Problem scheint für diese Richtung nicht, dass das Bemühen um Anerkennung die Systemfrage und den Klassenkampf liquidiert, sondern dass die Interessen der falschen Gruppen vertreten werden. Von der Arbeiterklasse keine Rede, dafür von der Verteidigung der »Mehrheit« gegen vermeintlich mächtige Minderheiten. Linke Politik, zumal marxistische, hat sich gegen beide Richtungen abzugrenzen. Man kann die Kritik an der Identitätspolitik so überdrehen, dass sie mit den Sorgen der Rechten zusammenfällt. Umgekehrt wird Identitätspolitik, die nicht historisch-materialistisch basiert ist, immer zur Liquidation klassischer linker Haltungen führen, wobei die Preisgabe dieser Haltungen besser verkauft werden kann, wenn sie sich als linkeste Nothandlung darstellt. Entsprechend brüllt der gut trainierte Commitmentlinke, wie auch zur Stunde zu beobachten, praktisch jeden sozialen Protest nieder, weil sich immer ein Rechter findet, der mitgelaufen ist, oder eine Protestlosung, die so verwaschen formuliert war, dass sie auch vom rechten Lager benutzt werden könnte. Die zunehmende Besetzung sozialer Themen durch rechte Parteien – die neben anderen Gründen pikanterweise erst dadurch möglich wurde, dass die soziale Frage im linken Lager den zentralen Status verloren hat –, gerät der Commitmentlinken zur willkommenen Gelegenheit, das abzulehnen, was man ohnedies ablehnen wollte."

3. Unmöglicher Internationalismus?

"Links sein bedeutet wider die Klassengesellschaft wirken. Bedeutet nationale Opposition gegen die Regierung des eigenen Landes. International bedeutet es Solidarität mit der Arbeiterklasse und den mittellosen Schichten der anderen Länder. Diese Solidarität fordert ihre eigene Kampfform, sie lässt sich nicht durch die militärische Macht von Klassenstaaten herstellen. Weder die Streitkräfte Westeuropas noch die der USA oder Russlands können zum Instrument der sozialen Revolution oder Emanzipation werden. Globaler Kampf von links geht nur auf eine Weise, nur durch eine Methode: den Aufbau einer handlungsfähigen, organisierten Internationale.⁵ Der Opportunismus hat einmal die Internationale zusammenbrechen lassen. Unsere Frage lautet: Wie schaffen wir den umgekehrten Fall? Dass wir davon elend weit entfernt sind, bestreitet niemand. Aber allein aus dem Umstand, dass ein erprobter Weg verschüttet ist, folgt nicht, dass es einen anderen geben müsse. [...] Was dem Internationalismus im Weg steht, ist nicht allein der Graben zwischen der klassischen und der Commitmentlinken, der nicht bloß tief, sondern letzthin so breit geworden scheint, dass es keinen Sinn mehr hat, ihn zu überbrücken. Dieser Graben verläuft zugleich international zwischen der Linken des »globalen Nordens« und der des »globalen Südens«. Beide, geprägt durch unterschiedliche Welten, haben sich kaum etwas zu sagen. In den Trikontländern ist das Erlebnis der Not intensiver und allgemeiner. Man kann es nicht ausblenden, zumal in den meisten dieser Länder eine breite, im Wohlstand lebende Mittelschicht fehlt, die eine von den Erlebnissen der Unterschicht abtrennbare Blase bilden und das Selbstverständnis der Gesellschaft dominieren kann. Das fördert bei den linken Organisationen der betreffenden Länder einen intuitiven, unmittelbaren Materialismus, der in Verbindung mit kulturellen Rückständen tritt, sie integrierend oder gar ins Progressive kehrend. Die Linke des Nordens tritt dagegen mehr weltverbesserisch als kämpferisch auf, sie ist geprägt von Ländern, in denen selbst die ärmsten Schichten noch privilegiert leben, sofern man den Weltmaßstab anlegt. Sie hat ihren Frieden mit der Weltordnung gemacht, auch wenn sie die nach wie vor abzulehnen meint. Im Verhältnis zur Linken des Südens dominiert eine Kritik an jenen kulturellen Rückständen, an religiöser Gängelei, Misogynie, Homophobie, Antisemitismus und dergleichen. Aber diese Kritik ist selten solidarisch, sondern ebenso wie die Kritik an den hiesigen Sozialprotesten nur ein Vorwand, das nicht tun zu müssen, was man ohnehin unterlassen wollte. Eine Unlust am Kampf trifft auf die Angst, Privilegien zu verlieren. Man lebt recht gut in dieser Hälfte der Welt. Man will die Ordnung der Dinge erhalten, sie aber nach Feierabend auch ein bisschen unmenschlich finden können. Dem Trieb nachgeben und sich trotzdem gut dabei fühlen. Solange diese Haltung im Norden vorherrscht, wird ein handgreiflicher Internationalismus ebenfalls bloß ein schöner Wunsch zum Feierabend bleiben.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #UNO #globaler-süden #indien #ghana #china
Gegen Krieg, neokolonialistische Vereinnahmung und Imperialismus

UN-Generaldebatte: Neuer Multilateralismus

Es lohnt, genau zuzuhören, wenn Subrahmanyam Jaishankar spricht. Indiens Außenminister wandte sich am Samstag kurz nach seinen Amtskollegen aus China und Russland an die UN-Generalversammlung in New York. Er erinnerte daran, dass sein Land erst vor einigen Wochen den 75. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiern konnte, und hob hervor, man werde weiter daran arbeiten, »uns von einer kolonialen Denkweise zu befreien«. Dazu gehöre freilich auch eine äußere Komponente: ein »reformierter Multilateralismus« – einer, so ist das wohl gemeint, in dem frühere Kolonien nicht zu Claqueuren der ehemaligen Kolonialherren degradiert werden, sondern mit eigener Stimme ihre eigenen Interessen vertreten und dabei eine eigenständige Position in der globalen Hackordnung einnehmen. Was Jaishankar da sagte, das waren keine hohlen Worte, es war eine präzise Beschreibung dessen, was gegenwärtig zumindest ansatzweise in den globalen Kämpfen rings um den Ukraine-Krieg geschieht.

Die ureigenen Interessen der einstigen Kolonien liegen klar zutage. Der Krieg und der Wirtschaftskrieg, mit dem der Westen auf ihn antwortet, treiben die Preise für Energie und Nahrungsmittel dramatisch in die Höhe. Das trifft am schlimmsten die Schwellen- und Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Lateinamerika. Jaishankar und Chinas Außenminister Wang Yi handelten in New York ganz in deren Sinne, als sie ein Ende der Kämpfe in der Ukraine sowie die schnelle Aufnahme von Verhandlungen forderten. »Krieg öffnet nur die Büchse der Pandora«, warnte Wang – und das richtete sich gleichermaßen an Russland wie an den waffenliefernden Westen. An beide: Der neue Multilateralismus, von dem neben Jaishankar auch Wang in New York sprach, wendet sich gegen jegliche Blockbildung, auch gegen eine starre Blockbildung auf seiten Moskaus gegen den Westen. Letztlich geht es um echte Multipolarität.

Ansätze zu solcher Multipolarität blitzten in den vergangenen Tagen in New York mehrfach auf. Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo lobte vor der UN-Generalversammlung Kwame Nkrumah, den ersten Präsidenten seines Landes, der einst, um dem ausgebeuteten Kontinent Gewicht und Stimme in der Welt zu verschaffen, die Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika vorgeschlagen hatte. Der Afrikanischen Union (AU) gelingt es bislang, in Sachen Ukraine-Krieg ihre eigene Position zu wahren. Akufo-Addo verlangt noch stärkere Geschlossenheit. US-Präsident Joseph Biden wiederum plädierte – damit um die nichtwestliche Welt werbend – dafür, neue, natürlich möglichst US-nahe Staaten als ständige Mitglieder in den UN-Sicherheitsrat aufzunehmen. Dem Vorstoß schloss sich Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow an und schlug konkret Indien, Brasilien sowie eine Repräsentanz Afrikas vor. Gelänge es diesen Staaten, den Klammergriff der einstigen Kolonialmächte auf Dauer abzuschütteln, dann wäre die westliche Mehrheit unter den ständigen Mitgliedern eines womöglich erweiterten UN-Sicherheitsrats dahin. Der hochkomplexe Kampf darum wird – mit offenem Ausgang – zur Zeit geführt.
- https://www.jungewelt.de/artikel/435402.neuer-multilateralismus.html

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #krieg #ukraine #donbass #russland #nato #crashkurs #atomkrieg #wertewesten #hunger #armut #globaler-süden

Was für „unsere Werte“ alles sein muss – Zur Not auch ein Atomkrieg?

Nach etwas mehr als sechs Monaten Ukraine-Krieg haben sich alle an die Fakten und die dazu gehörenden „Narrative“ gewöhnt – was sie nicht richtiger macht.

Es gibt einen weiteren Krieg. Der ist unerträglich, im Gegensatz zu sonstigen Kriegen. Während normalerweise die USA, „wir“ oder unsere guten Verbündeten die Welt befrieden und ordnen – in Ex-Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, Libyen, Syrien, Gaza, Jemen oder sonstwo – wird dieser Krieg nämlich von Russland geführt. Deshalb ist er „brutal“, ein „Angriffskrieg“ und „völkerrechtswidrig“.

Dieser Krieg und das ganze Leid der ukrainischen Bevölkerung muss aufhören. Putin hat nämlich kein Recht, ihn zu führen. Der Krieg dient auch keinen Interessen, die „wir“ irgendwie nachvollziehen könnten, sondern ist einfach eine Ausgeburt des Bösen oder eines irren Machtwillens. Dass unsere Nato sich nach Osten erweitert hat, sind fake news. Russland ist da etwas überempfindlich nach zwei Weltkriegen, aber das muss man nicht so ernst nehmen. Dass es einen westlichen Aufmarsch mit entsprechenden Militärmanövern von Litauen bis Rumänien gibt, entspricht dagegen dem Sicherheitsbedürfnis dieser Länder, das wir sehr ernst nehmen.

Aufhören muss der Krieg allerdings zu unseren Bedingungen und die heißen „freie Ukraine“. Die Volksrepubliken, die Putin „befreien“ will (dieser Mann nimmt sich wirklich was raus! klaut sogar unsere Propaganda!) gehören nunmal zu einer freien Ukraine – egal, wie die Menschen das in Luhansk und Donetzk sehen nach dem von den USA finanzierten und orchestrierten Putsch gegen die gewählte Regierung. Und nach 8 Jahren Krieg ihrer Kiewer Zentrale mit 15.000 Toten. Einem Kompromiss in diesen Fragen kann der wertebasierte Westen wegen seiner Werte nicht zustimmen – da muss die Bevölkerung dort und im Rest der Ukraine schon weiter leiden. Die Krim muss übrigens auch zurückerobert werden. Ein separatistisches Referendum widerspricht nämlich dem Völkerrecht. Außer im Kosovo, im Südsudan und demnächst in Taiwan.

Frieden schaffen in der Ukraine heißt für „uns“ und unsere Werte deshalb: Lieferung von Waffen. Waffen, schwere Waffen, noch mehr schwere Waffen. Wieviel Milliarden inzwischen? Wer kann da noch mitzählen? Wer daran erinnert, dass damit der Krieg verlängert, die Zahl der Toten erhöht, die Ukraine mehr und mehr zerstört wird, verhält sich unsolidarisch mit den Helden, die für „unsere“ „Freiheit“ kämpfen. In der freien Ukraine kommt man für diese Äußerung sofort in den Knast; im freien Deutschland vorläufig nur auf die Liste der Vaterlandsverräter und Putinversteher.

Wenn Putin „uns“ jetzt daran erinnert, dass die fortlaufenden Waffenlieferungen und die westliche Hochrüstung der Ukraine zur drittstärksten Armee in Europa ein Angriff des Westens auf die russische Souveränität sind und er bereits zu Beginn des Kriegs darauf aufmerksam gemacht hat, dass sein Land über Atomwaffen verfügt, heißt das nur eins: dass Russland auf dem letzten Loch pfeift. Unsere Annalena bleibt standhaft: Die russische Atombombe ist ein Papiertiger. Kein Grund, eingeschüchtert zu sein. Kein Grund, über Kompromisse oder Verhandlungen nachzudenken. Das Volk mal fragen, wie es über Inflation und Bedrohungslage denkt? Auf keinen Fall – das wäre extrem populistisch, sprich undemokratisch. Schließlich hat es gewählt und die Regierung muss jetzt tun, was sie tun muss, egal was ihre Wähler denken.

„Wir“ (hier: die gewählte Regierung) halten also an „unserem“ Wirtschaftskrieg, den man im freien Deutschland nicht so nennen darf, und „unseren“ Waffenlieferungen fest – komme was wolle, „wir“ (hier: das Volk) haben schließlich schon Schlimmeres durchgestanden. Und unsere besten Freunde, die USA, können sich eine Drohung mit Atomwaffen durch Russland nicht bieten lassen – das würde ihre finale Oberhoheit über die Welt einschränken. Also ja: zur Not auch ein Atomkrieg!

PS: Wenn der Wirtschaftskrieg dazu führt, dass die Nahrungsmittel-Produktion auf der Welt nach unten kracht, weil Russland und Belarus bisher 20 Prozent der Düngemittel hergestellt haben, ist das bedauerlich, aber leider nötig. Auch wenn die UN dagegen ist. Die Hungerleider der Dritten Welt, die people of colour, denen wir unseren ganzen Respekt entgegen bringen, werden sich „trotz“ all unserer Entwicklungshilfe die Nahrungsmittel auf unserem schönen, regelbasierten Weltmarkt nicht mehr kaufen können – dumm gelaufen. Aber schuld daran an der laufenden wie der kommenden Hungerkatastrophe ist ja sowieso „der Russe“, „wir“ sollten uns von Horrornachrichten an dieser Front nicht beirren lassen.
- https://overton-magazin.de/krass-konkret/was-fuer-unsere-werte-alles-sein-muss-zur-not-auch-ein-atomkrieg/

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #medien #wertewesten #globaler-süden #hunger #krieg #umweltkatastrophen #klimakrise #qualitätsjournalismus

Medienuntersuchung: Nabelschau des Westens

Langzeitstudie beleuchtet Einseitigkeit in Berichterstattung der Leitmedien. Globaler Süden und dessen Notlage weitgehend ausgeblendet (Von Ralf Wurzbacher)

Von den 34 im ersten Halbjahr 2022 ausgestrahlten ARD-»Brennpunkt«-Sondersendungen beschäftigten sich 29 mit dem Krieg in der Ukraine, aber keine einzige mit dem Thema Hunger. Im gleichen Zeitraum spielte dieses bei der »Tagesschau« eine geringere Rolle als die britischen »Royals«, und dem Sport war mehr Raum gewidmet als sämtlichen Staaten des globalen Südens. Obwohl diese Weltregionen 85 Prozent der Bevölkerung der Erde beheimaten, entfielen auf sie nur etwa sechs Prozent der Sendezeit. Ludescher ist ein unermüdlicher Rechercheur. Seine Ursprungsstudie bringt er regelmäßig auf den neuesten Stand der Entwicklungen, etwa während der Pandemie und neuerdings im Licht des Ukraine-Kriegs. Beide Ereignisse haben die Unwuchten im Nachrichtengeschäft weiter zuungunsten des medialen Niemandslandes verstärkt. Dabei leiden gerade die armen und ärmsten Weltgegenden am stärksten unter den kapitalistischen Verwüstungen des globalen Nordens – Stichwort: Klimakrise.

Wobei: Auch ein Hurrikan kann das Zeug zum »Scoop« haben. Allerdings verpufft der akute Sensationswert sehr rasch, und die »Nachwehen« für Mensch und Natur sind später keine Meldung mehr wert. Und freilich gilt auch für Katastrophen ein Raster der Wichtigkeit. Für Wirbel in den Medien sorgen vornehmlich solche im »Freundesland« (z. B. Hurrikan Katrina, New Orleans), während jährlich Dutzende andere solcher Stürme, Überschwemmungen und Feuersbrünste unterbelichtet oder komplett außen vor bleiben. Nach Bangladesch und Indien stand zuletzt halb Pakistan nach heftigsten Regenfällen unter Wasser, wodurch Millionen Menschen obdachlos wurden und vielerorts Seuchengefahr besteht. In den Nachrichten fand und findet die »Jahrhundertflut« kaum Beachtung. Entsprechen langsam gehen bei den Hilfsorganisationen die Spenden ein....
- vollständiger Artikel: https://www.jungewelt.de/artikel/435207.medienuntersuchung-nabelschau-des-westens.html

Dr. Ladislaus Ludescher: Das Verschwinden der 85 %

Schätzungsweise 6,7 Milliarden Menschen leben in den Staaten des Globalen Südens. Das entspricht ungefähr 85 % der Weltbevölkerung. Dass der Globale Süden im Gegensatz hierzu in den Nachrichten konsequent und eklatant vernachlässigt wird, gehört zu den Konstanten der deutschen, aber auch ausländischen Berichterstattung.
- https://www.flurfunk-dresden.de/2022/08/30/das-verschwinden-der-85/

Dr. Ladislaus Ludescher: Vergessene Welten und blinde Flecken (Die Langzeitstudie)

Relevant für die öffentliche Meinungsbildung sind daher nicht nur die ausgestrahlten Berichte, sondern ist insbesondere auch das Fehlen von Nachrichtenbeiträgen. Medien sind aufgerufen, einen Diskurszirkel zu vermeiden, der tradierte, festgefahrene Strukturen der Berichterstattung, die dem subjektiv-emotional Aufsehen erregenden und vermeintlich oder mutmaßlich kulturell oder geografisch näher Stehenden eine höhere Bedeutung zuschreibt, als dem faktisch Bedeutsamen, möglicherweise aber kulturell oder geografisch Entfernten.

Dies schließt insbesondere die, wie die Untersuchung zeigt, höchst asymmetrische Berichterstattung über Katastrophen im „Westen“ und im Globalen Süden ein. Wenn Katastrophen, die sich in der sog. Dritten Welt täglich ereignen, für alltäglich genommen werden und daher ihren Status als „berichtenswerte“ Nachrichten verlieren, ist damit ein hohes Gefahrenpotential für die Ausgewogenheit der medialen Aufmerksamkeit verbunden, die im extremsten Fall in eine mediale Blindheit gegenüber bestimmten Ländern oder Themen führen kann.
- Die Studie selbst sowie eine Zusammenfassung können auf folgender Internetseite heruntergeladen werden: www.ivr-heidelberg.de/studie
http://www.ivr-heidelberg.de/studie

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#kunst #politik #documenta15 #ruangrupa #lumbung #kollektiv #globaler-süden #postkoloniale-perspektive #antisemitismus #zensur #deutschland #wertewesten

Documenta15: »Die Reise ist nach 100 Tagen nicht zu Ende«

Über die vorläufige Bilanz zur Documenta 15, gemeinsames Lernen sowie westlichen Umgang mit dem »globalen Süden«. Ein Gespräch mit Ruangrupa /Auszug (Interview: Ulrich Schneider)

Als die Documenta Mitte Juni eröffnet wurde, sprach man in den Festreden von der Perspektiverweiterung auf den »globalen Süden«. Gleichzeitig bedeutet das natürlich auch, die politischen und ökonomischen Ungerechtigkeiten in der Welt zum Thema zu machen.

I. H.: Das ist vollkommen richtig. In Erklärungen und auch symbolisch hat man den »globalen Süden« für wichtig erachtet, aber in der Realität haben sich die Offiziellen darauf nicht einlassen wollen. Wir haben in ihrem Verhalten und in ihren Reaktionen die realen Machtverhältnisse in dieser Welt erlebt, Druck auf die Schwächeren, Machtpolitik zur Durchsetzung eigener Interessen und Einschränkungen, wenn die eigenen Vorstellungen betroffen waren. Ein so arrogantes Verhalten mussten wir selbst bei zahlreichen Medien erleben. Nur wenige Journalisten haben sich bei der Betrachtung und Kommentierung der Ausstellung tatsächlich auf das Anliegen der Künstlerkollektive eingelassen. Natürlich gab es auch einige gute Erfahrungen, wenn Zeitungen tatsächlich intensiver nachgefragt haben.

Zudem gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der Reaktion der Medien und der politischen Akteure auf der einen Seite und den Besuchern und den einfachen Menschen auf der anderen. Während viele Offizielle ihre Vorurteile bestätigt sehen wollten, waren die Besucher weitgehend offen, haben nachgefragt, sich auf die Angebote eingelassen. Wir hatten den Eindruck, während manche Medien die Debatte um die Ausstellung für ihre Interessen instrumentalisierten, waren die Menschen in Kassel bereit, die tatsächlichen Aussagen dieser Ausstellung wahrzunehmen.

Gefallen hat mir Ihr Leitspruch zu Beginn der Documenta, der lautete: »We do not make art, we make friends« – »Wir machen keine Kunst, wir schließen Freundschaften.« Kann ein solcher Ansatz denn eine Weltkunstausstellung tragen?

I. H.: Unser Verständnis von Kunst hat viel mit der Frage zu tun, wie wir in unserem alltäglichen Leben auf politische, soziale und gesellschaftliche Herausforderungen reagieren. Wir versuchen Menschen und Künstler anzuregen, mit den historischen und sozialen Verhältnissen angemessen in Bildern, Plastiken, Installationen oder Projekten umzugehen, nicht in Form einer Hierarchie, sondern in einem kollektiven Prozess, den wir im Lumbung-Prozess umgesetzt sehen. Unsere Intention ist es nicht, mit dieser Documenta ein politisches Statement abzugeben, aber die gesellschaftlichen Verhältnisse erzwingen es in unserem alltäglichen Leben, dass wir sowohl Künstler als auch Aktivisten sind.

A. N.: Unsere Kunst – und das gilt auch für fast alle eingeladenen Künstlerkollektive – ist nicht nur für Museen, den Kunstmarkt oder Sammler gemacht. Kunst muss sich in der Realität beweisen. Auf diese Weise machen wir unsere Kunst lebendig.

R. A.: Wenn wir von zeitgenössischer Kunst sprechen, dann verstehen wir darunter Kunst, die auf die aktuellen Verhältnisse reagiert. Damit sind aus unserer Sicht keine künstlerischen und politischen Vorgaben verbunden, sondern ein Dialog, die gemeinsame Artikulation und ein gemeinsamer Ausdruck.

Natürlich müssen wir über Antisemitismus sprechen. Wenn man die deutschen Leitmedien verfolgte, gab es in diesen 100 Tagen fast kein anderes Thema. Wie habt ihr diese Debatte erlebt?

A. M.: Zuerst einmal waren wir vollkommen überrascht über die Vorwürfe, die schon lange vor der Documenta gegen uns erhoben worden waren. Es gibt gar keinen Zweifel, jeder von uns und auch die eingeladenen Künstlerkollektive stehen in klarer Gegnerschaft zu Antisemitismus, zu Rassismus, Diskriminierung oder Ausgrenzungsideologien. Es ist ärgerlich, dass wir dieses immer wieder betonen müssen.

Wir haben verstanden, dass das Thema hier in Deutschland in einer anderen Intensität und mit anderen Begrifflichkeiten verbunden ist, und waren bereit zu lernen. Wir mussten jedoch erleben, dass dieser Lernprozess kein ehrlicher Dialog war. Insbesondere die mediale Kampagne um das Banner »People’s justice« zeigte uns, dass man uns eine bestimmte Linie vorgeben wollte, aber nicht bereit war, uns zuzuhören. Die einen kritisierten, dass wir zuerst mit den Künstlern sprachen, also nicht schnell genug reagierten, viele ignorierten unsere Statements. Die anderen sahen in ihnen nur »Verteidigungen«, was dann wiederum uns zum Vorwurf gemacht wurde.

Natürlich wollen wir nicht generalisieren. Es gab einige Medien, die mit uns sprachen, die in der Überprüfung der Fakten zu ernsthaften Resultaten kamen, über die wir gemeinsam hätten reden können. Aber in der Mehrheit gab es pauschale Vorwürfe gegen uns. Selbst Tatsachen wurden nicht zur Kenntnis genommen.

Aber die Vorwürfe kamen ja nicht nur von den Medien. Auch eine Künstlerin, Hito Steyerl, zog sich aus der Ausstellung zurück.

R. A.: Das ist ein solches Beispiel, wo Fakten verdreht wurden. Hito Steyerl war nicht von Ruangrupa eingeladen worden, sondern ein Künstlerkollektiv hat sie in ihre Präsentation eingeladen. Die Medien behaupteten dennoch, sie sei der »Star der Documenta«. Was uns und auch das Kollektiv sehr enttäuscht hat, war, dass sie ihren Rückzug nur mit einer Twitter-Nachricht verkündet hat. Weder hat sie mit uns als Kuratoren noch mit dem Künstlerkollektiv darüber gesprochen. Wir kennen nur die Informationen, die über die Medien dazu zu lesen waren. Das ist ein sehr enttäuschendes Verhalten.

I. H.: Wir sind immer offen für einen Dialog, auch für Kritik, wenn sie denn konstruktiv vorgetragen wird. So befinden wir uns in einem intensiven Dialog mit Besuchern auch zu diesem Thema. Während wichtige Politiker es einfach ablehnen, die Ausstellung zu besuchen, hatten wir kürzlich eine Gruppe jüdischer Studenten aus Berlin zu Gast in Kassel. Nach ihrem Rundgang haben wir ausführlich miteinander gesprochen. Sie betonten zum Abschluss, sie hätten hier keinen Antisemitismus vorgefunden. Das sind Rückmeldungen, die für uns wichtig sind.

Anders verhalten sich bestimmte Politiker, wie uns ein Besucher erzählte. Vor einigen Wochen hat der Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck, das Fridericianum aufgesucht – nicht um die Documenta besichtigen, sondern um einen Fototermin bei den Exponaten des Kollektivs »Lutte des Femmes« abzuhalten. Zahlreiche Journalisten waren eingeladen, er blickte ernst auf eine DIN-A5-Broschüre, in der auf zwei Seiten acht Zeichnungen zum Israel-Palästina-Konflikt abgedruckt sind. Dann ließ er sich fotografieren, wie er die Kommentarzettel zu diesem Exponat in der Hand hielt, ohne sie jedoch zu lesen. Anschließend verließ er das Fridericianum, um vor der Tür »tief betroffen« einem bereitstehenden Fernsehteam ins Mikrofon seiner Empörung über den Antisemitismus auf der Documenta 15 Ausdruck zu verleihen. Wer nichts von der Ausstellung sehen will, wie kann der darüber urteilen?

Nach der Hälfte der Ausstellungszeit hat der Aufsichtsrat Ihnen ein »Expertengremium« zur Seite gestellt. Nun hat dieses eine »Empfehlung« abgegeben, auf die Sie mit einer heftigen Erklärung reagiert haben. Wie ist das zu verstehen?

I. H.: Wir haben verstanden, dass es im Interesse des Aufsichtsrates und der Shareholder der Documenta 15 war, ein solches Gremium einzusetzen. Es war für die deutsche Perspektive offenbar wichtig. Wir mussten jedoch erleben, dass diese »Experten« alle Standards wissenschaftlicher Recherche missachteten und einen Bericht und »Schlussfolgerungen« vorlegten, die diese Debatte instrumentalisieren.

Es ist für uns vollkommen unverständlich, dass sie für ihren Bericht weder ausführlich mit uns als Kuratorenteam noch mit den beteiligten bzw. kritisierten Künstlerkollektiven gesprochen haben. Man muss offen sagen, sie ignorierten bewusst die Perspektive der anderen bei ihrer Untersuchung. Das ist weder wissenschaftlich noch seriös. Das ist nur verrückt. Deshalb haben wir am Wochenende gemeinsam mit weiteren Künstlerkollektiven einen Brief an den Aufsichtsrat und die Shareholder unter dem Titel »We are angry, we are sad, we are tired, we are united« (Wir sind wütend, wir sind traurig, wir sind müde, wir sind vereint –
https://­werefuseweareangry.wordpress.com/, jW) geschickt, in dem wir ausführlich zu diesem Vorgang Stellung nehmen. Auch diesmal mussten wir erleben, dass die Medien unsere Aussagen weitgehend ignorieren.

R. A.: Dabei ist es doch hilfreich, von Experten begleitet zu werden, von Personen, die mit dem Gegenstand vertraut sind und zusätzliche Blickrichtungen einbringen können. Aber Experten sollten unterstützen und nicht denunzieren. Die Künstlerkollektive haben vielfach solche Experten genutzt, auch aus der Region Kassel. Das ergibt für uns Sinn, aber nicht dieses »Expertengremium« aus der Politik.
- Vollständiges Interview: https://www.jungewelt.de/artikel/434889.kunst-die-reise-ist-nach-100-tagen-nicht-zu-ende.html

Ruangrupa wurde 2000 als interdisziplinäres Kollektiv in Indonesien gegründet. Ausgewählt von einer internationalen Findungskommission, wurde das Kollektiv 2019 vom Aufsichtsrat mit der künstlerischen Ausrichtung der Documenta 15 beauftragt. Es vertritt ein Modell gemeinschaftlicher Nachhaltigkeit in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Dabei geht es um soziale Teilhabe und die Teilung von Ressourcen, Ideen oder Wissen. Vier Mitglieder von Ruangrupa traf jW in Kassel zum Gespräch, im Bild: Andan Mirwan, Ajeng Nurul Aini, Iswanto Hartono, Ulrich Schneider (Autor jW), Reza Afisina (v. l. n. r.). Die Documenta 15 läuft noch bis zum 25. September.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #wirtschaftskrieg #g7 #russland #globaler-süden #ressourcen #getreide

Politische Ökonomie: Über den Getreidepreis

...Die zum G7-Gipfel geladenen Gäste aus dem globalen Süden haben die Gelegenheit genutzt, der »Wertegemeinschaft führender Demokratien« (G7 über G7) klarzumachen, dass sie über die globalen Wirkungen der Russland-Sanktionen höchst besorgt sind. So waren und sind die westlichen Sanktionierer bemüht, den Schaden für die eigenen Volkswirtschaften gering zu halten. Die negativen Auswirkungen für den globalen Süden aber spielen keine Rolle. Der Versuch, Russland eine »erhebliche Verantwortung« für explodierende Agrarpreise und die drohende Hungerkrise zuzuschreiben, wie in der Erklärung der G7 zur Ernährungssicherheit formuliert, dürfte angesichts der objektiven Zahlen die Vertreter des globalen Südens nicht überzeugt haben: Wer auch immer für die Blockade von 20 Millionen Tonnen Getreide in den ukrainischen Schwarzmeerhäfen verantwortlich ist – bei einer weltweiten Getreideproduktion von 2,8 Milliarden Tonnen im Jahr 2021/22 und Reserven von 560 Millionen Tonnen kann ein Ausfall von weniger als einem Prozent der Jahresproduktion Preissprünge um bis zu 50 Prozent nicht erklären. Die dafür vor allem verantwortliche Nahrungsmittelspekulation an den Finanzmärkten wurde von den G7 aber mit keinem Wort erwähnt.
- aus Globalisierung als Wirtschaftskrieg - Die Sanktionen gegen Russland befördern die Fragmentierung der Weltökonomie von Jörg Goldberg (Ökonom)