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Wenn man irgendwann einmal das Ziel hatte, die russische Bevölkerung gegen Putin und seinen Machtapparat aufzubringen ist dies krachend gescheitert. Spätestens mit der Liefergenehmigung für den Leopard wurde das Gegenteil erreicht. Nun spürt die russische Bevölkerung wieder den Feind im Nacken. Die Geschichte der millionenfachen Opfer steigt wieder hoch, obwohl dies vor Jahren noch undenkbar war. Dem Gedanken der Völkerfreundschaft wurde in den Arsch getreten. Mit noch nicht absehbaren Folgen...

Der Leopard im Raum. Die Reaktion der russischen Bevölkerung

Wladimir Sergeijenko: ...Wichtig ist vor allem, wie die normale Bevölkerung das aufgenommen hat. Man muss dabei auch überlegen, warum die Russen Putin unterstützen, auch wenn er etwas falsch macht. Sind die alle blöd und ist die Propaganda so gut, dass man sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat? Es liegt nicht alles an der Propaganda, es liegt auch an Werten. Und wenn man auf die Werte sieht, dann wurde schon ein Tiefpunkt erreicht, an dem besonders schmerzhaft wird. Wenn sich in der Zukunft nicht wirklich etwas an der deutsch-russischen Beziehung ändert, gibt es keine Gemeinsamkeit mehr. Das gilt auch für die Politik und die Wirtschaft. Es hat enorm lange gedauert, bis deutsche und russische Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg sich die Hand gegeben haben, also dem damaligen Feind.

Ist denn diese Geschichte auch für die jüngere Generation in Russland noch lebendig?

Wladimir Sergeijenko: Ja. Für die Russen hat es sehr lange gedauert, bis sich Kriegsteilnehmer die Hände gegeben haben. Es waren berührende Bilder, als sich ein russische Veteran mit Deutschen am Reichstag getroffen hat. Sie haben gegeneinander gekämpft, aber nach vielen Jahren hat man den Mut gefunden, diese alte Geschichte auf die Seite zu legen und etwas Neues aufzubauen. Dazu gehören natürlich auch Gespräche über Antifaschismus, über Wirtschaft und Kultur, aber gibt diesen Schmerz in Bevölkerung, dieses Gefühl, als würde die Wirbelsäule durchbohrt, wenn deutsche Schäferhunde bellen und wenn man dabei die deutsche Sprache hört. Es gibt Generationen, die mit diesen Erinnerungen, diesen Filmen groß geworden sind. Für Russen verursacht die deutsche Sprache mit bellenden Schäferhunden Gänsehaut. Das muss man verstehen.

Viele Jahre hat man dieses Gefühl in der Sowjetunion gepflegt. Dann musste man alles umbauen, nachdem Deutschland kein Feind mehr ist. Es kamen viele Russen nach Europa, beispielsweise nach München oder auf die Berliner Friedrichstraße zum Einkaufen. Man hat einander nicht mehr die Vorwürfe gemacht, die Russen haben nicht mehr auf die deutsche Sprache reagiert. An den Siegesfeiern mit dem Marsch des Unsterblichen Regiments nahmen auch Deutsche teil. Wir haben darüber gesprochen, ob es nicht gefährlich ist, in Russland auf der Straße Deutsch zu sprechen. Die Russen aber haben die Deutschen umarmt und auf die Schulter geklopft, sie freuten sich, dass die Deutschen mit dabei sind, weil es der gemeinsame Sieg über den Faschismus ist.

Bei der Leopard-Lieferung ist für mich nicht die politische Rhetorik wichtig, meine Kritik richtet sich gegen die wahnsinnige Show, die darüber veranstaltet wurde, ob man liefert oder nicht. [...] Jetzt sind die Russen schon wieder zurück in der Zeit, als die deutsche Sprache Gänsehaut auslöste. [...]

Aber es geht doch nicht um deutsche Soldaten, sondern nur um deutsche Panzer, die von Ukrainern gefahren werden.

Wladimir Sergeijenko: Gute Frage. Man muss sich fragen, gegen wen diese Wut gerichtet ist und ob dies auch gleich eine Unterstützung für die russische Regierung bedeutet. Ist die Wut auf die deutsche Regierung, auf die Panzer oder auf die deutsche Bevölkerung gerichtet? Ich sage immer, man müsse zwischen den Ukrainern und der ukrainischen Regierung, zwischen Russen und der russischen Regierung oder Deutschen und der deutschen Regierung unterscheiden. Aber jetzt wird von Deutschland gesprochen, man macht diesen Unterschied nicht mehr und fragt, ob sie wollen, dass wir wieder nach Berlin kommen oder Hyperschallraketen schicken. Diese Rhetorik schmerzt, aber es gibt sie in der Bevölkerung. Nicht jeder ist so aufgeheizt, aber auch wer schweigt, solidarisiert sich mit denjenigen, die von den Leopard-Panzern ausradiert wird. Wir sind, denke ich, wieder ganz nahe an der Rückkehr zur Zeit, als die Deutschen Feinde waren. Ich denke, dass in der Bevölkerung der Nullpunkt der Beziehungen zu Deutschland erreicht wurde.

  • Der Publizist und Soziologe Wladimir Wladimirowitsch Sergijenko wurde 1971 im westukrainischen Lwiw geboren. Seit 1991 lebt er in Deutschland. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Anthologien mit Poesie und Erzählungen. In Russland und im russischsprachigen Europa ist er insbesondere aufgrund seiner Radiosendung „Eurozone“ bekannt, die mehrmals wöchentlich im staatlichen Radio „Vesti FM“ läuft.
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