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Warum sich Medien so schwer mit Julian Assange tun

Es ist wirklich auffallend, wie sehr sich deutsche Spitzenpolitiker im Fall Assange auf die Lippen beißen. Annalena Baerbock und Robert Habeck, die 2021 noch die sofortige Freilassung von Julian Assange forderten, schweigen, seit sie in der Regierung sitzen. Olaf Scholz und Lars Klingbeil schweigen, weil sie praktisch immer schweigen, und sogar Christian Lindner, der sich stets für Alexei Nawalny einsetzt, schweigt zu Assange.

Auch die EU-Kommission schweigt. Weder die liberale Kommissarin Věra Jourová, die für europäische Werte und Transparenz einstehen sollte, noch der Liberale Didier Reynders, der das Ressort Justiz und Rechtsstaatlichkeit verwaltet, beziehen Position. Das Europaparlament entschied im November 2020 mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD, den Fall Assange im Grundrechtebericht der Europäischen Union NICHT zu erwähnen. Und die neue Menschenrechtsbeauftragte der Ampel-Regierung, Luise Amtsberg (Die Grünen), versteckt sich hinter hasenfüßiger Unwissenheit. Sie müsse sich erst kundig machen, bevor sie zu dem seit zwölf Jahren schwelenden Rechtsfall Stellung nehmen könne. Was für ein beschämendes Wegducken.

In den 20 Jahren seiner Tätigkeit, so der UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer, habe er „nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so wenig Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missbrauchen“. Er meinte damit die Rechtsstaaten Großbritannien, Schweden und die USA. Der Investigativ-Reporter Günter Wallraff und der Philosoph Slavoj Žižek nennen die erbarmungslose Verfolgung von Assange einen „Tod auf Raten“....

Warum Solidarität geboten ist

Statt sich abzuwenden und so zu tun, als habe man nie etwas mit diesem „Egomanen“ zu schaffen gehabt, wäre Solidarität dringend geboten. Denn Solidarität heißt nicht, mit den Auffassungen eines anderen hundertprozentig übereinzustimmen, Solidarität bedeutet, gleichgerichtete Interessen gemeinsam zu vertreten, unabhängig von persönlichen Auffassungen oder Verhaltensweisen. Die Bezeichnung Journalist würde Assange vor seinen Verfolgern schützen, denn sie wird, wie es aussieht, sowohl bei der Anrufung der letzten europäischen Instanz, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, als auch – im Falle einer Auslieferung – vor US-Gerichten eine Rolle spielen. Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten legen die Rede- und Veröffentlichungsfreiheit sehr weit aus.

Die Medien hätten darüber hinaus ein Eigeninteresse, sich stärker für Assange zu engagieren: Würden die US-Ankläger (wie bei der Whistleblowerin Chelsea Manning) mit ihrem Spionagevorwurf durchkommen, bedroht dies mittelbar die Pressefreiheit aller investigativen Journalisten. Dann könnten Enthüllungsvorhaben mit der staatlichen Drohung „Spionage“ entschärft oder gar komplett verhindert werden. Die deutschen Journalistenverbände sehen im Umgang mit Assange deshalb einen „Präzedenzfall für die Pressefreiheit“.

Dass sich die oberen Etagen der großen Presseverlage – im Gegensatz zu vielen kleinen Journalisten – nicht für Assange verwenden, liegt sicher auch daran, dass sie mit Wikileaks eine lästige Konkurrenz loswurden. Sie hatten Glück, dass sich Assange überschätzte und leichtsinnig wurde. Aber sie schneiden sich ins eigene Fleisch, wenn sie glauben, mit ein paar pflichtschuldigen Appellen an die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sei es getan.

Wenn sie jetzt ihre Solidarität verweigern und ihre Chefredakteure, Herausgeber und Medienmanager weiterhin so feige schweigen wie die Politiker, dann werden sie nicht nur die Pressefreiheit, sondern die letzten Reste ihrer Glaubwürdigkeit einbüßen. Dann benötigt man Whistleblower-Briefkästen bald nur noch für die Enthüllungen über „Schurkenstaaten“ und kuscht, sobald Dokumente auf Missstände im demokratischen Westen verweisen.

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