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Zeitenwende | Emmanuel Macron braucht keinen Faschismus. Er ist schon eine Epoche weiter

Im November 1932 sprach der spätere Kronjurist des NS-Regimes (Carl Schmitt) vor dem Unternehmerverband Langnam-Verein zum Thema „Starker Staat und gesunde Wirtschaft“. Schmitt propagierte einen „totalitären Staat“ mit „ungeahnten neuen Machtmitteln“, der in Abkehr vom alten Liberalismus eines „Laisser-faire“ den Klassenkampf mit allen polizeilich-militärischen und propagandistischen Mitteln unterdrücke und die „Selbstregierung“ des Kapitals garantiere. Nur ein starker Staat könne „entpolitisieren“, also die Arbeitenden daran hindern, sich in ihre eigenen Belange einzumischen.

Nach dem Krieg kam der neoliberale Ideologe Friedrich Hayek auf diese „Selbstregierung der Wirtschaft“ zurück. Faschismus hielt er für den falschen Weg – zumindest in Europa. Die Demokratie könne leichter entwaffnet werden. Freie Wahlen seien durchaus möglich, wenn der Handlungsspielraum von Regierung und Parlament so limitiert werde, dass sie nicht gegen „die natürliche Ordnung der Ungleichheit“ verstießen. Hayek nannte das „Entthronung der Politik in einer beschränkten Demokratie“. Geschieht dies, werden Politik und Staat gleichsam entkoppelt, die Politik wird leeres Ritual, die Gesellschaft abgeschafft.

In Hayeks Surrogat-Demokratie ist der französische Präsident ein Meister. Um seine gezielte Verweigerung einer ökologischen Politik zu tarnen, rief Macron 2020 150 Bürgerinnen und Bürger zu einer „Konvention“. Nach acht Monaten harter Arbeit präsentierten sie am Ende 149 Maßnahmen. Er werde sie „ungefiltert“ ins Parlament bringen, hatte Macron versprochen – 90 Prozent der Vorschläge jedoch wurden gleich gekübelt.

Der Präsident nutzt die Herrschafts- und Managementtechniken, wie sie in neoliberalen Thinktanks seit Hayek erarbeitet wurden. Wie lässt sich der Widerstand gegen Privatisierungsprogramme abwenden? Dagegen entwickelten der Brite Madsen Pirie und seine St.-James-Gruppe, die etliche Regierungen beriet, die „Mikropolitik“. Deren Maxime: Mit geeigneten Techniken des Marketings und politischen Engineerings, die alle auf einen suggerierten egoistischen Teilnutzen bauen, werden die Menschen dazu gebracht, allein und gegen ihre wirklichen Interessen zu handeln. Dafür stellte Pirie in einem Rezeptbuch 22 Methoden bereit.

Diese Wende im politischen und betrieblichen Management des Kapitalismus hat Grégoire Chamayou in seiner Studie Die Unregierbarkeit der Gesellschaft. Eine Genealogie des autoritären Liberalismus scharf ausgeleuchtet. Seine These: „Die neoliberale Mikropolitik zielt darauf ab, Wirkungen auf Bewusstsein und Handeln zu entfalten. Denkfähigkeiten und Handlungsweisen radikal zu verändern.“

Macron weiß das. Er scheut keine Repression, und seinem Innenminister Gérald Darmanin ist jeder rassistische Irrsinn zuzutrauen. Dennoch darf man wetten, dass der Präsident mit einer gewissen Verachtung auf die von ihm instrumentalisierten Rechtsaußen schaut. Liest man die Geschichte der Menschheit als Ringen zwischen Emanzipation und Herrschaft, dann ist die „Vierte Rechte“ der Versuch, nicht bloß die Herrschaft des Kapitals zu sichern, sondern die Möglichkeit der Emanzipation selbst aus unserem Streben zu tilgen. Darin liegt ihre Radikalität. Wir sollen die „freiwillige“ Selbstunterwerfung dauerhaft verinnerlichen, als atomisierte Einzelwesen in einer Masse ohne Gesellschaft. Dies kommt einer anthropologischen Verstümmelung gleich. Macron braucht keinen Faschismus. Er ist schon eine Epoche weiter.
- vollständiger Artikel: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/praesident-macron-braucht-keinen-faschismus-er-ist-schon-eine-epoche-weiter

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