#politik #gesellschaft #gefangene #knastsystem #soziale-frage #abolitionismus
Wir leben in einer Gesellschaft, die besser über die Schädlichkeit der Käfighaltung von Hühnern aufgeklärt ist als über die Auswirkungen der Unterbringung von Gefangenen in Zellen....
Dabei gilt es zu bedenken, dass die Kritik der Massentierhaltung nicht vom Himmel gefallen ist, sondern erkämpft wurde. Die Gründer der Zellengefängnisse hatten sich vorgestellt, Straftäter würden sich isoliert voneinander in strenger Einzelhaft bessern. Da das die Gefangenen körperlich und geistig krank werden ließ, wurden Lockerungen eingeführt. Aber die Zelle blieb.
Über die Gestaltung des Strafvollzugs heißt es in den Gesetzen der Bundesländer, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden soll. Wo gibt es in allgemeinen Lebensverhältnissen Zellen, also Räume mit vergitterten Fenstern, deren Türen von innen nicht zu öffnen sind, die innen keine Türklinke haben?
Im Zuge der Debatte um eine Entkriminalisierung von Drogen erinnere ich oft an den ehemaligen Kölner Gefängnisleiter Jörn Foegen, der schon in den 1990er Jahren öffentlich betonte, dass er ein Drittel aller Zellen dichtmachen könnte, wenn es eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik geben würde. Der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli, der seit ein paar Jahren in der Bundesrepublik mit Vorträgen und seinen Büchern für einen Abbau der Gefängnisplätze unterwegs ist, erklärt, dass 90 Prozent aller Gefangenen nicht in den Strafvollzug gehören.
Ich denke, diesem Irrsinn liegt eine Struktur zugrunde, die in allen herrschaftlich organisierten Gesellschaften zu finden ist: Es gibt einen Bedarf an Sündenböcken. Der Soziologe Christian Sigrist, der u. a. über die Entstehung von Herrschaft geforscht hat, hat es auf den Punkt gebracht: »Allgemein lässt sich die Entstehung von Pariagruppen als Ergebnis von Herrschaftsbildung und wachsender ökonomischer Ungleichheit erklären. Die religiöse Überhöhung von Herrschaftsinstanzen findet ihren Gegenpart in der Dämonisierung von Randgruppen.« Weil das soviel älter als die Strafgesetze und die Gefängnisse ist, in denen das fortlebt, können sich viele Menschen Änderungen nicht vorstellen.
Marx und Engels haben in ihrem 1845 erschienenen Buch »Die Heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik« geschrieben, man müsse »nicht das Verbrechen am einzelnen strafen, sondern die antisozialen Geburtsstätten des Verbrechens zerstören und jedem den sozialen Raum für seine wesentliche Lebensäußerung geben. Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden.«
Zeitnah dürften die Knäste nicht abgeschafft werden. Was sind Ihre Sofortforderungen, von denen Sie sich vorstellen könnten, dass sie in naher Zukunft umgesetzt werden könnten?
Alle Kämpfe zur Überwindung der Armut und zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen müssen verstärkt und so ernstgenommen werden wie die Gefahr, die von der Erderwärmung ausgeht. Und ich würde mich darüber freuen, wenn möglichst viele das »Abolitionistische Manifest« lesen und unterschreiben.
- aus Knast und Kapitalismus »Es gibt einen Bedarf an Sündenböcken« Über den Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und dem Gefängnissystem sowie notwendige Lehren aus der Pandemie. Ein Gespräch mit Klaus Jünschke (Interview: Henning von Stoltzenberg) ### MANIFEST zur Abschaffung von Strafanstalten und anderen Gefängnissen
- Das Manifest als .pdf: https://strafvollzugsarchiv.de/wp-content/uploads/2019/09/Abolitionismus-Manifest.pdf
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