#soziale-frage

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #klimabewegung #soziale-frage

Klimakrisen sind soziale Krisen. Der Kampf ums Klima muss ein neues Gesicht bekommen, wenn wir gegen rechts gewinnen wollen. Unsere größten Feinde sind nicht die Leute, die den Klimawandel leugnen. Unser größter Feind ist das Gefühl, nichts mehr gegen diese Krise tun zu können. Das ist der Nährboden für AfD & Co. Wir schüren Unverständnis, wenn wir immer wieder dieselben sind, die »System Change« auf dem Klimastreik rufen. Wir werden diejenigen, die am meisten unter den kapitalistischen Zwängen leiden, nicht mit opulenten Aktionen zivilen Ungehorsams gewinnen, die abgekoppelt sind von ihren realen Problemen. Wir müssen uns trauen, Räume zu schaffen, wo Klimaaktivist:innen mit den Leuten zusammentreffen, die Ende dieses Jahres falsche Heizkostenabrechnungen von mehreren tausend Euro vom Vermieter kriegen und dort über Lösungen gegen Vonovia, RWE & Co. reden. Wo wir in den kommenden Dürresommern mit den Bauern gemeinsame Aktionen planen können gegen eine vorhersehbare Wasserknappheit, die zu großen Teilen von Braunkohlekonzernen und Tesla verursacht wird. Und darüber reden, wie wir kommunal Druck aufbauen, um sie für diese Wasserkrise zahlen zu lassen und sie abzuschaffen.

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#politik #soziale-frage #bürgergeld #sanktionen #hetze #klassenkampf-von-oben

Schikane für Dich

Die SPD meint wohl, sie hat genug respektiert. Jetzt zückt sie die Sanktionspeitsche gegen Arbeitslose.

Mit Respekt hat die SPD Wahlkampf gemacht. Jetzt wollen sie den Arbeitslosen, die nicht den erstbesten Job annehmen, sogar das Geld zum Essen streichen. Wenn Arbeitslose das erste Jobangebot ablehnen, soll ihnen das Bürgergeld für mehrere Monate von 563 Euro auf 0 Euro gekürzt werden können. Wohnungsmiete und Heizung sollen weiter übernommen werden, Lebensmittel und Klopapier hingegen nicht. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil möchte uns das sogar als Chance für die Menschen und als Mitwirkungspflicht verkaufen. Doch das ist in allererster Linie menschenverachtend und keine Chance.

Legitimiert wird diese Politik aus einer angeblichen Finanzierungsnot der Ampel. Diese ist natürlich selbstverschuldet. Denn die Ampel muss sich nicht an die Schuldenbremse klammern, die Superreichen schützen oder Milliarden in Aufrüstung stecken – dies sind politische Entscheidungen, die sie freiwillig trifft, und keine Sachzwänge.

Aber selbst unter diesen irrsinnigen Prämissen geht es bei den Vollsanktionen um läppische 170 Millionen Euro jährlich. Das sind in Anbetracht des Gesamthaushalts von rund 450 Milliarden Euro Peanuts. Aberwitzig, dass man dafür solche menschenverachtenden Eingriffe in Kauf nimmt. Es gibt hunderte andere Reformen, die ein ähnliches Volumen gebracht hätten, ohne arbeitslose Menschen zu schikanieren.

Im Endeffekt sind von den 3,9 Millionen Menschen, die erwerbsfähig sind und Bürgergeld empfangen, nur 23.400 Personen mit Sanktionen wegen mangelnder Mitwirkung belegt. Das sind 0,6 Prozent. Und da sind auch noch Menschen bei, die psychische Störungen, Suchtkrankheiten oder andere schwere Schicksale haben. Real geht es also um wenige Tausend Menschen in einem Land von über 80 Millionen. Kein großes gesellschaftliches Problem, wie es so oft beschworen wird – doch ein umso größeres Problem für jene Betroffenen, die in Zukunft unter dieser SPD-Politik leiden werden.

Doch diese Politik hat noch einen anderen Sinn. Sie ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterschaft. Jene, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sollen dazu diszipliniert werden, ihren Ausbeutungsjob trotz schlechtem Lohn und Umständen weiterzumachen. Wenn sie nicht sofort in den nächsten Ausbeutungsjob wechseln, droht ihnen ansonsten, dass sie nicht mal mehr Geld für Lebensmittel bekommen. Das zieht das ganze Lohngefüge nach unten und schwächt die Verhandlungsmacht der Arbeiterschaft, wodurch im Endeffekt die große Mehrheit der Menschen verliert und das Kapital gewinnt.

Aber ganz ehrlich: Man braucht sich nicht zu wundern. Hubertus Heil und Olaf Scholz waren Gerhard Schröders Agenda-Soldaten. Heil war Mitglied im Fraktionsvorstand der SPD, Scholz der Generalsekretär. Schröders Schüler zücken nun die Peitsche noch viel härter als ihr Lehrer.
- https://jacobin.de/artikel/spd-hubertus-heil-buergergeld-sanktionen

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#politik #erwerbslose #soziale-frage #organisierung #dielinke

Sozialaktivist Harald Thomé wird Linker

Wagenknechts Weggang hat den Weg zur Linken für den Wuppertaler frei gemacht (von Sebastian Weiermann)

Im März 1999 taucht der Name Harald Thomé zum ersten Mal im »nd« auf. Es geht um eine Sozialhilfeempfängerin, deren Leistungen gekürzt werden sollten wegen Kritzeleien an der Kinderzimmertapete. Thomé und der Verein Tacheles beraten die Frau. Und das machen sie bis heute, ob früher Sozialhilfe, dann Hartz IV oder heute Bürgergeld. Thomé und seine Mitstreiter*innen beraten Menschen, die von Ämtern gegängelt werden. Aus dem Wuppertaler Verein ist eine bundesweit bekannte Institution geworden. Als das Bundesverfassungsgericht 2019 über die Hartz-IV-Sanktionen verhandelte, kam eine Stellungnahme für die Verhandlung von Tacheles. Auch in Gesetzgebungsverfahren werden regelmäßig Stellungnahmen von Thomé und dem Verein eingeholt.

Nun hat sich Harald Thomé zur Mitgliedschaft in der Linken entschieden, vorher war er nie in einer Partei Mitglied. Seinen Schritt begründet er zweifach. Der Weggang von Sahra Wagenknecht und ihren Wuppertaler Unterstützer*innen habe den »Weg freigemacht für einen Neuanfang der Linkspartei«. In der Vergangenheit hatte Thomé mehrfach ausgrenzende und rassistische Argumentationen bei Wagenknecht beklagt.

Harald Thomés zweiter Grund. Der Aufstieg der AfD und der Rechtskurs der CDU. Er sieht die Gesellschaft an einem »autoritären Kipppunkt« angekommen. Dagegen brauche es eine »klare linke Opposition« auf allen Ebenen. Wer »keinen neuen Totalitarismus« wolle, müsse sich organisieren. Eine Möglichkeit sei Die Linke, die sei jetzt so »notwendig wie noch nie seit ihrer Gründung«.

In der Partei ist man hocherfreut über den Neuzugang. Er zeige, dass sie »für Fachleute sowie Aktivist*innen aus dem Bereich der Sozialpolitik« attraktiv ist, erklärte NRW-Sprecher Sascha H. Wagner. Die Linke sei und bleibe langjähriger Ansprechpartner für von Armut betroffene Menschen vor Ort. »Haralds Eintritt macht Mut für die vielen Aufgaben, die in diesem Bereich vor uns liegen.«, so Wagner.
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179075.die-linke-sozialaktivist-harald-thome-wird-linker.html

Mehr:
Harald Thomés Newsletter: https://harald-thome.de/newsletter.html
Tacheles e.V. Website: https://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles.html

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#politik #armut #heizen #klima #wohnen #klassenfrage #klientelpolitik #grüne #fdp #spd #soziale-frage #klassenkampf-von-oben

Armutsbetroffen: Die Heizungsdebatte macht mir Angst

Vielen Armutsbetroffenen in Deutschland liegt Klimaschutz am Herzen. Doch es ist schwer, mit wenig Geld klimabewusst zu leben. Mit der Debatte um die Heizungsmodernisierung gibt es neue Sorgen

Wir Armutsbetroffenen sind für Klima- und Umweltschutz. Leider ist dieses Thema eines, das man nur mit Geld lösen kann – und bei dem wir nur beschränkt handeln können. Die „Heizungsdebatte“ macht mir Angst, weil hier über Summen geredet wird, die ich mir nicht mal ansatzweise vorstellen kann. Natürlich habe ich kein eigenes Häuschen, aber ich wohne zur Miete, und die Mietkosten werden vom Jobcenter übernommen – aber nur bis zu einer bestimmten Höhe. Es gibt auch viele Armutsbetroffene, die ihre Miete gerade noch selbst zahlen können. Werden die Vermieter die Kosten für eine Heizungsmodernisierung auf die Mietkosten aufschlagen? Wie stark steigen die Mieten dadurch?

Wie sieht eine sozialverträgliche Lösung der Heizwende für uns 14,1 Million Armutsbetroffene aus? Denn diese brauchen nicht nur wir Armen, sondern auch die, die die „arbeitende Mitte“ sind.

Allein aus Selbstschutz lese ich so wenig wie möglich darüber, weil mich die ganzen Wahrscheinlichkeiten und Kosten noch mehr beunruhigen. Dabei liegt mir der Klimaschutz sehr am Herzen.

Ich will kein Umweltschwein sein!

Ich bin Vegetarierin seit meinem sechzehnten Lebensjahr. Ich wurde das, bevor Essensphilosophien zum Politikum wurden. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und habe Tiertötungen miterlebt und mich entschieden, nie wieder Fleisch zu essen. Dass ich damit nun einen umweltgerechten Ernährungsstil habe, wäre mir früher nicht in den Sinn gekommen. Ernährungsgewohnheiten sind für mich immer etwas Privates gewesen. Jetzt leiste ich damit einen politisch korrekten Beitrag zu Umweltschutz. Mittlerweile haben die meisten Armutsbetroffenen ihren Fleischkonsum verringert, da Fleisch und Fisch zum Luxusgut geworden sind. Wenn es nach den klimabewussten Armen gehen würde, würden diese wirklich gerne qualitativ hochwertigere Nahrung konsumieren, dazu gehört Bio – oder die Möglichkeit, sich vegan ernähren zu können. Aber wirklich klimabewusste Ernährung scheitert bei uns am Geldbeutel. Haben Sie sich schonmal von 174,19 Euro im Monat ernährt?

Ich greife also auf billiges Obst und Gemüse zurück und fühle mich dabei wie ein Umweltschwein. Im Angebot: Beeren aus Marokko, die weite Transportwege hinter sich haben. Aber ich möchte mein Kind nicht ohne Obst groß werden lassen, da muss ich mein Klimagewissen ausblenden, sonst würde ich mir noch mehr Vorwürfe machen. Ich habe keinen Garten zum Selbstversorgen. Jeder Armutsbetroffene, der die Möglichkeit hat, einen Garten zu bewirtschaften, nutzt diesen zum Sparen.

Auch bei unseren Haushaltsgeräten sind wir Armutsbetroffenen nicht in der Position, wählen zu können. Ein energieeffizienter Kühlschrank kostet sehr viel Geld, und wenn ich ein Darlehen von Jobcenter aufnehme, zahle ich dieses über Jahre ab. Der Bürgergeldsatz ist unter dem Existenzminimum. Wenn ich die Wahl habe zwischen vielfältigem Essen und/oder Medikamenten oder einem neuen Kühlschrank, sind nun mal das Essen und die Medikamente wichtiger. Nicht jedes Amt gewährt übrigens ein Darlehen, Armutsbetroffenen werden gerne mal menschenverachtende Tipps gegeben, wie im Winter die Lebensmittel doch einfach draußen zu lagern, dafür bräuchte man keinen Kühlschrank. Klar ist das dann klimafreundlich. Aber wurde Ihnen das schonmal geraten?

Heizung: Hier ist der Sozialstaat gefragt!

Und nun zur Energie. Meine Gastherme ist ein altes, energiefressendes Gerät, das zu meiner Wohnung gehört. Vermieter sparen, besonders an Wohnungen, in denen Armutsbetroffene wohnen – da kommt ja auch nicht so viel Miete rein. Umbau ist teuer, also tummeln sich in Altbauten Boiler, Thermen und Geräte, die schon vor zehn Jahren hätten ausgetauscht werden können und sollen. Diesbezüglich habe ich der Umwelt gegenüber auch ein schlechtes Gewissen, aber ich habe nun mal nicht das Geld, um diese Geräte auszutauschen.

Eine Möglichkeit für mich war der Verzicht auf einen Gefrierschrank. Ich habe seit Jahren keinen Tiefkühler mehr, die Stromkosten des Gerätes waren zu hoch. Aber all das, was ich einsparen konnte, wurde mir durch die hohen Energiekosten wieder genommen, was mich frustriert zurücklässt.

Es gäbe natürlich eine Politik, die uns Armutsbetroffenen bei Veränderungen die Angst nehmen könnte. Sie nennt sich: sozial. Wenn der Staat dafür sorgt, dass die Kosten nicht bei denen landen, die sie nicht stemmen können – und da nehme ich nicht nur Armutsbetroffene mit rein, sondern auch die arbeitende Mitte –, dann wäre so eine Heizpumpe sicher eine gute Sache: Weniger Heizkosten würde viele von uns entlasten! Aber wenn die Modernisierungskosten einfach auf uns abgewälzt werden, kann das niemand mehr tragen. Es gibt einen Punkt, an dem ich einfach nicht mehr sparen kann – und den haben wir Armutsbetroffenen längst erreicht.

  • Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen
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#politik #kunst #literatur #streik #frankreich #deutschland #soziale-frage #selbstermächtigung

Frankreich als Vorbild für Streiks in Deutschland

Ein Plädoyer für den politischen Streik von Olivier David

Der erste Streik, der in meiner Familie angezettelt worden ist, war der meines Vaters gegen das französische Schulsystem. Eines Morgens verschloss er als Jugendlicher mit einer Metallkette die Tore seines Gymnasiums in Rouen. Vor dem Tor agitierte er die anwesenden Schüler*innen und die verdutzten Lehrer (!), indem er ihnen die Vorteile des Anarchismus zu erklären versuchte. Es ist bekannt, dass er die politische Ordnung Frankreichs leider nicht überwinden konnte. Aber zumindest für ein paar Stunden, in denen er sich bockig weigerte, den Schlüssel herauszurücken, bestimmte er die Agenda.

Streiken, das liegt mir als Halbfranzose also ein bisschen im Blut, wenn man so will. So wundert es nicht, dass ich als Kind den Einsatz schwarzer Pädagogik vonseiten meiner Mutter (»Du kommst erst aus deinem Zimmer, wenn du aufgegessen hast.«) souverän bestreikte: Die Blumenkohlröschen, die wie Hirn aussahen und wie Erbrochenes schmeckten, landeten auf der Straße und in meiner Zahnspangendose, wo sie ein paar Monate die olfaktorische Erinnerung der Idee bildeten, dass das private immer auch politisch ist.

Die nächste Quasi-Streikepisode in meinem Leben hatte schon politischere Züge, die Sportart: Arbeitskampf. In meinem Volontariat bei einer Lokalzeitung protestierten wir Arbeiter*innen gegen den Verkauf unserer Zeitung, zeitweise war sogar das Aus unserer Zeitung eine reale Option. Niemals, und das meine ich ernst, hat sich eine fast zweistündige Mittagspause, die wir mit Schildern vor dem Hamburger Rathaus standen, so sinnvoll angefühlt. Selten habe ich mich Leuten je wieder so verbunden gefühlt, wie an dem Tag, an dem ich Seite an Seite mit Menschen stand, denen ich im Büro höchstens zunickte.

Das als kleine Einstimmung auf die Gegenwart, denn die besteht aus Streiks – und alles daran ist wundervoll! Die Post streikt, die Bahn ebenfalls, Krankenhäuser, Müllwerker. Mein kleines französisches Protestherzchen will sich besoffen machen von dem Geruch des liegengebliebenen Mülls und von der leeren Fahrplananzeige.

Diese Zeilen, so launig sie aufgeschrieben sein mögen, sollen nicht als Verkitschung sozialer Kämpfe gelesen werden. Angesichts der Inflation, der Aufrüstungsekstase, der Energiekrise und den im dritten Jahr in Folge sinkenden Reallöhnen sind Arbeitskämpfe das Mittel der Wahl für eine bessere Welt. Vielleicht ist es darüber hinaus auch sinnvoll, Arbeitskämpfe aus dem harmlosen Diskurs des Sozialen zu lösen, in einer Welt, in der Soziales als etwas Weiches angesehen wird, als etwas, um das sich gesorgt werden muss.

Wieder muss ich mir mit französischen Diskursen helfen: Der Autor Édouard Louis schlägt vor, »von linker Sicherheit zu sprechen im Sinne von sozialer Sicherheit, Sozialhilfen, dem Recht auf Arbeit und den Rechten von Minderheiten«. Dann nämlich würden Menschen in die Lage versetzt werden, auf Basis einer ökonomischen Sicherheit eine ganz andere Form des solidarischen Lebens miteinander zu teilen.

Vielleicht müssen Diskurse um Sicherheit aus den Händen der Reaktionäre gerissen werden, die die Ausschreitungen an Silvester als Chiffre für ein Migrationsproblem verstanden wissen wollten und nicht als Chiffre einer gescheiterten Sicherheitspolitik, die nicht für ökonomische Sicherheit der vielen sorgen kann.

Und weil der Text im französischen Rouen begonnen hat, so muss er auch dort enden. Oder besser, bei der Autorin Annie Ernaux, deren autosoziobiografische Romane teilweise in Rouen spielen. Am Ende eines Textes, den Ernaux über die aktuelle Streikwelle in Frankreich geschrieben hat, richtet sie das Wort an die Streikenden, und schreibt: »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Beugen wir uns nicht.«
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171524.oeffentlicher-dienst-frankreich-als-vorbild-fuer-streiks-in-deutschland.html

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert.

Mehr: Ihr streikt für uns mit - Erinnerungen an den großen französischen Ausstand im Winter 1995 (von Annie Ernaux)
- https://monde-diplomatique.de/artikel/!5896996

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#politik #soziale-frage #armut #lebensmittel #containern #liberalala

Containern: Sozialstaat im Müll

Die Ampel kann Sozialpolitik. Neben einem enttäuschenden Bürgergeld spricht sie sich jetzt dafür aus, das Containern straffrei zu machen. Weggeschmissenes und Abgelaufenes für die Armen: So geht der Zeitenwende-Sozialstaat.

...Die Lebensmittel bei den Tafeln und in den Containern hinter Supermärkten sind ja nicht schlecht, sind im Grunde ja gar kein Abfall. Sie werden aus Bequemlichkeit weggeschmissen. Das stimmt zwar, aber Müll sind sie trotzdem, denn dass sie es sind, darüber scheint es einen breiten Konsens zu geben: Bei wem gibt es schon Käse zum Abendbrot, der zwei Stunden vorher noch neben welken Kartoffeln und schimmeligen Porree in der Tonne lag? Auch wenn er noch gut ist, noch essbar: Die Wenigsten tischen ihren Lieben solche Milcherzeugnisse auf.

Was ist also Abfall? Was Müll ist und was nicht ist ein gesellschaftliches Konzept. Die Frage der Verwertbarkeit von Materialien fällt insofern immer in die sozialwissenschaftliche Deutungshoheit. Für die Mehrzahl der Menschen in unserer Gesellschaft ist tierische Scheiße nutzlos und damit Abfall; andere düngen damit ihr Feld – und in anderen Weltregionen kachelt man damit seine Hütte. Hier isst man bestimmte Tierpartien nicht, dort gelten sie als besonders delikat. Was Abfall ist und was nicht, ist ein Konzept, basierend auf sozio-ökonomische, teils ökologische Entwürfe.

Nicht alle Menschen sehen dasselbe Erzeugnis als Abfall. Wir nennen es Abfall, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist oder wenn nicht mehr viel fehlt, bis diese Grenze hinüber zum Abfall, erreicht ist. Unser Konzept von Wertigkeit eines Artikels, das sich aus der allzeitigen Verfügbarkeit von Lebensmittel rekrutiert, macht etwas schon vorab zum Müll, noch bevor die offizielle Zeitgrenze überschritten ist.

Letzteres mag man als schlechte Entwicklung betrachten, das ändert aber nichts daran, dass wir es mit Produkten zu tun haben, die kaum jemand regulär erwerben möchte. Aber bestimmte Leute im Lande sollten sie dennoch essen: Und diese Doppelmoral im Hinblick auf die Frische von Lebensmittel darf sich dann sogar noch rege Hoffnungen machen, als soziales Gewissen durchzugehen.

In Würde wühlen

Dieser vermeintliche Pragmatismus, der sich hinter der Ansicht versteckt, das alles sei ja noch gut, das könne man noch essen, offenbart natürlich das sozialstaatliche Defizit, das bei den Liberalen und den Grünen vorherrscht. Statt über Strukturen nachzudenken, die ein menschenwürdiges Leben garantieren können, übt man sich im libertären Gutmenschentum, das ein soziales Gewissen lediglich simuliert. Schließlich kann man sich so beruhigt zurücklehnen und einreden: Man habe alles getan, um die schlimmste Not zu lindern.

Von der FDP hat man freilich nichts anderes erwartet, seit Jahrzehnten ist genau das ihre Vorstellung von Sozialpolitik. Die Grünen jedoch geben regelmäßig zu Protokoll, sie seien eine gänzlich soziale Partei, hätten ein Herz für die Habenichtse. Und was fällt ihnen für sie ein? Ein Freifahrtschein zum Wühlen im Müll. Sei der auch noch so gut, noch so essbar: Für die, die das Containern straffrei machen wollen, bleibt es dennoch Müll. Sie würden sich kein Mahl aus Zutaten zaubern, die eben noch im Abfall lagen.

Es ist keine Frage der Nützlichkeit oder des Pragmatismus, die sich hier stellt: Wir haben es mit einer ethischen Frage zu tun. Und die geht so: Ist es sittlich, anderen das zuzuteilen, was ich in den Müll werfen würde?

Wer das mit Ja beantwortet, sagt damit auch: Ich bin etwas Besseres. Aber es ist und bleibt eines in diesem Deutschland eindeutig: Arme Menschen haben keine Würde, wegen der es sich um Sittlichkeit zu diskutieren lohnte. Deren Würde liegt auf dem Müll. Und wenn sie demnächst nach essbaren Resten suchen, ohne Angst haben zu müssen, dass sie gleich die Polizei mit auf das Revier nimmt, finden sie vielleicht zufällig irgendeine entsorgte Würde. Eine, die gleich neben den abgelaufenen Fischstäbchen lag. Die ausrangierte Würde anderer Leute aufzutragen: Mehr kann man als Mensch in Armut in Deutschland nicht erwarten. Auch nicht von einer Bundesregierung, die sich selbst als sozial und progressiv anpreist.
- https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/sozialstaat-im-muell/

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#politik #soziale-frage #armut #politikversagen

Kein Brot, kein Frieden

Im Jahr 2022 waren bundesweit 50 Prozent mehr Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen (Von David Maiwald)

Die Verarmung in der Bundesrepublik nimmt seit Jahren zu, 2022 hat sie jedoch den Turbo eingelegt. Das hat die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung, sich noch in der abflauenden Coronakrise in einen Wirtschaftskrieg mit Russland zu begeben, in Kauf genommen. Während die Preisexplosion bei Energie und Lebensmitteln für immer mehr Menschen zu einem wachsenden Problem wird, greifen »Entlastungsmaßnahmen« entweder zu kurz, zu spät, oder helfen denen, die keine Hilfe brauchen.

Besonders drastisch zeigt sich dieser Trend, wo Mildtätigkeit das Elend der bürgerlichen Überflussgesellschaft auffangen muss. Die Tafeln seien 2022 im bundesweiten Durchschnitt von 50 Prozent mehr Menschen angelaufen worden als noch im Jahr zuvor, erklärte der Bundesvorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, am Freitag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). »Wir reden über zwei Millionen Menschen, die zu den Tafeln kommen«, so Brühl. Zeitweise habe ein Drittel der Lebensmittelausgaben einen Aufnahmestopp verhängen müssen, da der Andrang für die Menge an zu verteilenden Lebensmitteln zu groß gewesen sei. Zunehmend funktioniere der eigentlich dem Staat zukommende Versorgungsauftrag »nicht mehr«, sagte der Tafel-Chef gegenüber dem RND. Manchmal würden die Tafeln sogar »schon fest einkalkuliert«.

Karitatives Handeln sei »sinnvoll und notwendig«, erklärte Armutsforscher Christoph Butterwegge am Freitag im Gespräch mit junge Welt: »Es darf aber nicht vom Staat instrumentalisiert werden.« Forderungen nach einem festen Haushaltsposten für die Lebensmittelausgaben, wie etwa in der vergangenen Woche von der Landesvorsitzenden der Tafeln NRW, Evi Kannemann, geäußert, gäben »dem Sozialstaat die Möglichkeit, dass er sich zurückziehen kann«, so Butterwegge.

Die Bundesrepublik und ihre transatlantischen Partner haben neben der stetigen Vermehrung von Armut aber noch den Schutz des Reichtums – also wachsende Militarisierung – im Sinn. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und »Oppositionsführer« Friedrich Merz forderten am Freitag weitere Waffenlieferungen in die Ukraine. »Militärische Unterstützung«, heißt es da, sei schließlich »der schnellste Weg zum Frieden«.
- https://www.jungewelt.de/artikel/441822.verarmungspolitik-kein-brot-kein-frieden.html

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#politik #soziale-frage #menschenrechte #artikel25 #recht-auf-wohnen #mietenstopp #fdp #arbeitsverweigerung #klassenkampf-von-oben #zeitenwende

Kündigungsmoratorium gefordert: Mieter*innen ziehen bei der FDP ein

„Der Winter und das kommende Jahr werden hart: Die Miet- und Heizkosten explodieren und viele Menschen wissen nicht, wo sie noch sparen sollen, um ihre steigenden Wohnkosten zu bezahlen. Im Jahr 2021 wurden 29.000 Wohnungen zwangsgeräumt. Diesen Winter droht etlichen Mieter*innen völlig unverschuldet der Verlust ihrer Wohnung. Die bisherigen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung greifen erst im Laufe des nächsten Jahres. Deswegen brauchen wir sofort erneut ein Kündigungsverbot für Mieter*innen in Zahlungsschwierigkeiten, wie es die letzte Bundesregierung zu Beginn der Coronapandemie initiiert hatte. Dieses Instrument kann auch jetzt unproblematisch eingeführt werden. Doch der zuständige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) weigert sich. Deswegen sind heute in Berlin und vielen anderen Städten (unter anderen in Bremen, Freiburg, Göttingen, Köln, München, Stuttgart) Aktivist*innen der Kampagne Mietenstopp symbolisch bei der FDP eingezogen. Die Bundesregierung hat mehrere Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Doch es ist absehbar, dass es Monate dauern wird, bis die Hilfen bei den Betroffenen ankommen. Wir begrüßen die Ausweitung des Wohngeldes von 600.000 auf 2 Millionen Haushalte. Doch eine Verdreifachung der Anspruchsberechtigten bedeutet auch viel mehr Arbeit für die bereits heute überlasteten Wohngeldstellen. „Den Menschen hilft es nicht, wenn sie im Oktober 2023 einen positiven Wohngeldbescheid bekommen, aber zwischenzeitlich aus ihrer Wohnung geflogen sind“, so Kampagnensprecher Matthias Weinzierl.

Während alle Ministerien versuchen, die Vorhaben aus den Entlastungspaketen noch dieses Jahr umzusetzen, will Marco Buschmann erst Ende März 2023 einen Entwurf zum besseren Schutz von Mieter*innen vorlegen. „Die Formulierung eines Gesetzes für ein Kündigungsmoratorium ist keine Zauberei. Der Text von 2020 muss nur leicht umformuliert werden. Der Justizminister betreibt Arbeitsverweigerung“, stellt Weinzierl fest. Neben einem Kündigungsmoratorium fordert die Kampagne einen sechsjährigen Mietenstopp, differenziert nach Wohnungsmärkten. Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten können Mieter*innen nicht auch noch Mieterhöhungen verkraften. Denn in den letzten Jahren sind die Mieten für viele über die Belastungsgrenze hinaus gestiegen. Bereits vor der Krise musste die Hälfte der Mieter*innen in deutschen Großstädten mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen, wie aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht...“
- Pressemitteilung vom 15. Dezember 2022 bei der Kampagne Mietenstopp 
https://mietenstopp.de/kuendigungsmoratorium-gefordert-mieterinnen-ziehen-bei-der-fdp-ein/

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#politik #soziale-frage #armut #hartz5 #bürgergeld #reservearmee #klassenkampf-von-oben #spdgrünefdpcducsuafd

Hartz IV heißt jetzt Twix, ansonsten ändert sich nix

Die Ampelkoalition hat sich am Dienstag mit CDU/CSU auf eine Hartz-IV-Reform verständigt; das Bürgergeld kann kommen. Geändert wird nur der Name. Vom Kernstück der Reform, geringfügigen Verbesserungen im Eingangsbereich der Hartz-IV-Hölle, ist nach der Blockade des Gesetzes durch CDU/CSU im Bundesrat am 14. November so gut wie nichts übriggeblieben.

Das Sanktionsregime soll unverändert bestehen bleiben. Die geplante »Vertrauenszeit« von einem halben Jahr, in der »nur« Terminverstöße mit zehn Prozent Kürzung bestraft werden sollten, ist vom Tisch, erklärten Regierungs- und Unionsparteien am Dienstag. Wer seine Mitwirkungspflichten verletzt, sich also nach Einschätzung des Fallmanagers im Jobcenter nicht eifrig genug um den nächstliegenden Drecksjob bemüht, soll vom ersten Tag an mit zehn Prozent Kürzung bestraft werden. Im zweiten Monat sollen ihm 20 Prozent, ab dem dritten Monat 30 Prozent gestrichen werden. Von einem Existenzminimum wohlgemerkt, das zu tief angesetzt ist. 725 Euro wären das absolute Minimum, zeigen nachprüfbare Berechnungen des Paritätischen Sozialverbands; mit dem Bürgergeld ist eine Erhöhung um 53 auf 502 Euro geplant.

Für reihenweise Hartz-IV-Bezieher wird die Einführung des Bürgergelds sogar eine Verschlechterung bedeuten. In der Coronakrise beschloss die Regierung Merkel (CDU/CSU und SPD) eine Karenzzeit für Hartz-IV-Neuankömmlinge, die zum Jahresende ausläuft. Wer Hartz IV bezieht, muss dank dieser Regelung zwei Jahre lang keinen Zwangsumzug fürchten und kann in dieser Zeit bis zu 60.000 Euro Vermögen behalten. Die Verstetigung der Karenzzeit wäre die zweite Säule des mickrigen Bürgergeld-Gesetzes gewesen, sie wurde in den Verhandlungen mit CDU/CSU noch mal auf halbe Höhe gestutzt. Bürgergeld-Bezieher werden nun also schon nach zwölf Monaten aus Wohnungen fliegen, die für unangemessen erachtet werden. Und sie dürfen auch nicht mehr zwei Jahre lang 60.000 Euro Vermögen behalten, sondern nur ein Jahr lang die Hälfte.

Die Unionsparteien waren es am Dienstag zufrieden. CDU-Chef Friedrich Merz zeigte sich überrascht, zu welch weitgehenden Kompromissen die Ampelregierung bereit gewesen sei. Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, erklärte: »Wir haben in den Verhandlungen schwere Systemfehler im Hartz-IV-Update, das ja missverständlich als Bürgergeld bezeichnet wird, also schwere Fehler im Hartz-IV-Update beseitigen können.«
Merz hatte vor der Einigung in der Pose eines rechten Arbeiterführers nach unten getreten: Jedem Bürgergeld-Bezieher müsse es noch einmal deutlich schlechter gehen als dem ärmsten Niedriglöhner, war sein Mantra. Tatsächlich haben in der Bundesrepublik seit den Hartz-Reformen vor 20 Jahren massenhaft Zeitarbeiter, Minijobber und Scheinselbständige nicht viel mehr auf der Hand als das Nicht-mal-Existenzminimum.

Bundeskanzler Olaf Scholz nahm den Bürgergeld-Kompromiss am Dienstag bei einem »Wirtschaftsgipfel« in Berlin erfreut zur Kenntnis. Man werde »jetzt eine ganz große Sozialreform beschließen«, verkündete der Sozialdemokrat. »Das ist jetzt in einer Art und Weise formuliert worden, wo#, glaube ich jedenfalls, die Regierungsparteien alle drei für sich sagen können: Sie sind damit sehr zufrieden. Ich hoffe, auch die Opposition wird das sagen, und dann ist ja alles okay.« Am Freitag soll das Bürgergeld-Gesetz im Bundesrat verabschiedet werden.
- https://www.jungewelt.de/artikel/439305.sozialpolitik-hartz-iv-hei%C3%9Ft-jetzt-twix.html

Hintergrund: Kapitalismus und Sozialstaat

Ganzheitlich betreut - Von der hohen Kunst, die Vereinbarkeit von Existenzsicherung und Zwang zur Arbeit »zukunftsweisend« und »respektvoll« zu gestalten. Über das »Bürgergeld« (Von Suitbert Cechura)
- https://www.jungewelt.de/artikel/439231.kapitalismus-und-sozialstaat-ganzheitlich-betreut.html

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#politik #soziale-frage #hartz4 #bürgergeld #politiksimulation #klassenkamp-von-oben

Bürgergeld: Alle Fakten zu Freigrenzen, Regelsatz, Sanktionen sowie Miet- und Heizkosten

  • von Inge Hannemann

Die CDU blockiert also das Bürgergeld – die „größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“, „ein starkes Signal für Sicherheit und mehr Respekt“, wie Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD sich zuvor noch begeistert selbst auf die Schulter klopfte. Ab Januar 2023 soll das neue Bürgergeld eigentlich Hartz IV ersetzen. Am 10. November wurde das Gesetz im Bundestag verabschiedet – doch am 14. November verhinderten die CDU-geführten Bundesländer, dass es den Bundesrat passierte.

Aber worum genau dreht sich eigentlich die ganze Aufregung? Was soll sich tatsächlich ändern im Alltag, und wie viele Menschen betrifft es überhaupt? Eine kleine Übersicht.

1. Wie viele Menschen leben von Hartz IV?

Im Oktober 2022 lebten 5,4 Millionen Menschen von Hartz IV. Davon galten rund 3,8 Millionen als erwerbsfähig. 1,6 Millionen zählten als nicht erwerbsfähig. Dies sind vor allem Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Wer vom Arbeitslosengeld II lebt, wird von den Jobcentern in sogenannte „Bedarfsgemeinschaften“ eingeteilt: Im Juli (neuere Daten liegen vonseiten der Bundesagentur für Arbeit nicht vor) gab es 2,85 Millionen solcher Bedarfsgemeinschaften.

Die größte Gruppe, die Hartz IV bezieht, ist dabei die „Single-Bedarfsgemeinschaft“, bestehend aus alleinstehenden Personen (1,55 Millionen). Jede fünfte Bedarfsgemeinschaft war eine Alleinerziehende mit Kindern (566.000) oder ein Haushalt mit zwei Personen (543.000). Insgesamt lebten ein Drittel Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (1,9 Millionen) mit ihren Eltern oder einem Elternteil in den Bedarfsgemeinschaften zusammen.

Diese Zahlen sind wichtig, um einen Überblick darüber zu erhalten, von wie vielen Menschen gesprochen wird, wenn es um Veränderungen beim zukünftigen Bürgergeld geht. Die monatlichen medialen Arbeitslosenzahlen nennen zumeist nur die Menschen, die arbeitslos sind (also: erwerbsfähig, und dem Arbeitsmarkt gerade zur Verfügung stehend). Das sind laut der Statistik, inklusive statistischen legitimen Rechentricks, knapp 1,7 Millionen Menschen.

2. Wer gilt nicht als „arbeitslos“, bezieht aber Hartz IV?

Die nicht berechneten Arbeitslosen befinden sich oftmals in Trainings- oder Qualifizierungsmaßnahmen, in Elternzeit, in einer längeren Krankenphase, sie pflegen Angehörige oder sie ergänzen ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II.

Im Juli haben 814.000 von 3,8 Millionen Arbeitslosen neben ihrer Arbeitslosigkeit gearbeitet. Somit hat jede fünfte Bedarfsgemeinschaft mit Hartz IV „aufgestockt“. Die meisten davon waren abhängig beschäftigt (752.000). Davon knapp die Hälfte in einem Minijob bis 450 Euro und rund 40 Prozent im Bereich bis 1.300 Euro brutto. 16 Prozent der abhängig Beschäftigten Bedarfsgemeinschaften verdienten mehr als 1.300 Euro brutto. Kurz gesagt, diese Menschen verdienten so wenig, dass ihr Lohn nicht ausreicht und sie mit Hartz IV ergänzen müssen („Ergänzer“).

Die Ampel-Koalition möchte nun mit dem neuen Bürgergeld die Freigrenzen beim Arbeiten etwas erhöhen, sodass ein wenig mehr im Geldbeutel bleibt. Oder anders ausgedrückt: „Damit sich arbeiten lohnt“. Davon würden, wenn die Zahlen vom Juli genommen werden, 293.000 Menschen profitieren. Sie dürfen nämlich zukünftig 30 statt 20 Prozent von ihrem Bruttoeinkommen behalten.

Neu ist, dass Schüler:innen, Auszubildende und Studierende bis 25 Jahre, die neben ihrer Ausbildung oder Schule arbeiten, bis zu 520 Euro monatlich (Minijobbasis) anrechnungsfrei behalten dürfen. Zuvor waren es 100 Euro plus 20 Prozent vom Bruttoeinkommen. Für über 25-Jährige gibt es diese Regelung nicht. Bei einem 520-Euro-Minijob bleiben 184 Euro übrig. Der Rest wird vom Jobcenter angerechnet.

3. Wie viel Euro sind uns die Finanzierung einer menschlichen Existenz Wert?

Eine weitere Veränderung sieht die Erhöhung des Regelsatzes um 53 Euro von 449 Euro auf 502 Euro für eine erwachsene alleinstehende Person vor. Bei den Kindern und Jugendlichen gibt es eine Steigerung zwischen 33 Euro und 44 Euro und in einer Partner-Bedarfsgemeinschaft jeweils 48 Euro.

Diese Erhöhung gleicht gerade mal in Teilen die derzeitige Inflation aus. Die Stromkosten sind mit 40,74 Euro bereits im Regelsatz inkludiert. Ist der Strom teurer, muss dieser aus dem Restregelsatz selbst beglichen werden. Einen Extrazuschlag vom Jobcenter gibt es nicht.

4. Was bedeutet die „Karenzzeit“?

Wie bereits unter dem Sozialschutzpaket I während der Corona-Pandemie seit Ende März 2020 bleibt die Regelung bestehen, dass es eine sogenannte Karenzzeit für das Wohnen und die Prüfung des Vermögens gibt. Das gilt aber nur für Arbeitslosengeld-II-Neuanträge. So soll es für zwei Jahre einen höheren Schutz von selbst genutztem Eigentum und zur Miete genutzten Wohnraum geben. Die Miete und die Heizkosten sollen in diesem Zeitraum in tatsächlicher Höhe übernommen werden, um sich in dieser Zeit auf die Arbeitssuche oder Qualifizierung zu konzentrieren.

Um die eigenen Ersparnisse, auch eventuell für das Alter nicht anzutasten, wurde die Karenzzeit für das Vermögen beschlossen. So gilt ein Schonvermögen von 60.000 Euro für eine Person und für jede weitere Person 30.000 Euro in den ersten zwei Jahren. Diese Summe ist angelehnt an das Wohngeldgesetz, in dem definiert ist, was erhebliches Vermögen ist.

Ursprünglich sollte auch für die Übernahme der Heizkosten eine Karenzzeit gelten. Im Streit mit der CDU strich die SPD diese Regelung jedoch: Auch in den ersten zwei Jahren Bürgergeld werden die Heizkosten nur noch in einer „angemessenen“ Höhe übernommen.

5. Was heißt „Abschaffung des Vermittlungsvorrangs“ und „Förderung der Qualifizierung“?

Galt bisher in den Jobcentern: Arbeit um jeden Preis, soll nun die Qualifizierung, eine Ausbildung und die Beratung auf Vertrauen und Augenhöhe in den Mittelpunkt rücken. Im Oktober waren 1,1 Millionen Arbeitslose ohne abgeschlossene Ausbildung. Knapp 431.000 hatten eine betriebliche oder schulische Ausbildung und rund 90.000 konnten ein Studium vorweisen.

Dass der sogenannte „Vermittlungsvorrang“ abgeschafft wird, ist positiv zu bewerten, solange sichergestellt wird, dass die anvisierten Ausbildungen und Qualifizierungen finanziert werden können und für alle angeboten werden. Dieser Punkt wurde bisher vonseiten der Ampel-Koalition noch nicht so eindeutig kommuniziert, insbesondere, was die Finanzierung betrifft.

Ein Bonus gibt es noch dazu. Wer eine abschlussorientierte Qualifizierung absolviert, erhält monatlich 150 Euro Weiterbildungsgeld. In diesem Rahmen kann nun auch ein drittes Ausbildungsjahr übernommen werden. Wer eine nicht abschlussorientierte Maßnahme, wie etwa einen Sprachkurs besucht, bekommt einen sogenannten monatlichen Bürgergeldbonus in Höhe von 75 Euro. Parallel dazu bleibt der „soziale Arbeitsmarkt“, Beschäftigungen für Langzeitarbeitslose, unbefristet bestehen. Ein Coaching soll Menschen dabei helfen, die keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden, wieder Fuß zu fassen.

6. Welche „Sanktionen“ bleiben beim Bürgergeld, und wen betrifft das?

Die Vertrauenszeit findet sich auch im neuen Kooperationsplan und in den damit verbundenen Sanktionen wieder. Auch, wenn bis zum Juli 2023 ein abgeschwächtes Sanktionsmoratorium besteht, in dem erst beim zweiten Meldeversäumnis eine zehnprozentige Sanktion ausgesprochen werden darf, gelten die Sanktionen als Drohkulisse weiter.

In den Jahren vor der Corona-Pandemie lag die Anzahl der Sanktionen bei durchschnittlich 950.000 pro Jahr. Drei Viertel davon waren Sanktionen wegen Terminversäumnissen. Diese werden mit jeweils zehn Prozent sanktioniert. Maximal dürfen bis zu 30 Prozent des Hartz-IV-Satzes seit Ende 2019 einbehalten werden, wenn zum Beispiel auf einen Vermittlungsvorschlag vom Jobcenter keine Bewerbung erfolgt. Im Jahr 2021 wurden knapp 194.000 Sanktionen durch die Jobcenter ausgesprochen. 2022 waren es in den ersten sechs Monaten bereits rund 250.000 – im Juli 2022 startete dann das Sanktionsmoratorium der Ampel-Regierung.

Auf Sanktionen möchte auch das neue Bürgergeld nicht verzichten. Allerdings gilt in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs eine „Vertrauenszeit“. In dieser Zeit wird nicht sanktioniert. Danach darf wieder bis maximal 30 Prozent der Regelsatz gekürzt werden, wenn die Bedingungen vom Jobcenter oder Termine nicht eingehalten werden. Nicht mehr zulässig ist die Sanktionierung bei den Kosten der Unterkunft.

7. Die „kleinen Erleichterungen“: Bürokratieabbau für die Jobcenter

Für die Jobcenter gibt es Erleichterung in der Bürokratie, da sie bis zu 50 Euro keine Rückforderungen mehr stellen müssen. Zukünftig sollen Anträge digital möglich sein und eine Ortsabwesenheit vom Wohnort soll für alle leichter geregelt werden. Durch den Wegfall der Prüfungen zur Angemessenheit der Wohnung und des Vermögens in den ersten zwei Jahren erhofft man sich hier wertvolle Kapazitäten für die Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen.

Das Bürgergeld soll zwar zum Januar 2023 starten, jedoch nicht auf einmal. So sind kleinere Schritte geplant. Das Weiterbildungsgeld soll ab dem 1. April starten, der Kooperationsplan erst zum 1. Juli.

8. Fördern und Fordern: Das neoliberale Erbe der Schröder-Regierung bleibt uns erhalten

Als die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 Hartz IV einführte, prägte er die Losung: „Fordern und Fördern“. Das Fördern soll mit dem Bürgergeld tatsächlich weiter ausgebaut werden – das Fordern bleibt, was es seit Schröder war: die Erpressung der Leistungsempfangenden und Leistungsberechtigten zum Zwecke ihrer „Mitwirkung“ durch staatliche Drohung mit der Sanktionierung des absoluten Existenzminimums – und damit ein Angriff auf die Würde von 5,4 Millionen Menschen in Deutschland.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #reichtum #soziale-frage #verteilungsgerechtigkeit #kapitalismus #spdgrünefdpcducsuafd

"Die Ignoranz der Regierenden im Sinne der Herrschenden" oder "Die ganz große Koalition" und das Schweigen der Medien

Reiche gewinnen 649:36

Die ganz große Koalition hat zugeschlagen: 649 Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD, Grünen, FDP und AfD stimmten am vergangenen Donnerstag gegen die Einführung einer Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre. Dabei hatte die Fraktion „Die Linke“, die den entsprechenden Antrag eingebracht hatte, alles versucht, um wenigstens ein paar Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen. „Einmalig“ sollte die Abgabe sein und sich an Adenauers Lastenausgleichsgesetz von 1952 orientieren. Auf Hinweise zu den Krisenursachen und zum Wirtschaftskrieg hatte man wohlweislich verzichtet. Stattdessen wurde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seiner Forderung zitiert, dass sich „die Gesellschaft in der Krise unterhaken muss“. Sogar die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes sollte der Bundesregierung überlassen werden. Am Ende nutzte es alles nichts: Aus dem Lager der Ampelkoalition kam keine einzige Enthaltung, nur 35 „Linke“ und ein Fraktionsloser stimmten zu.

Die Öffentlichkeit bekam von diesem Beschluss nur wenig mit. Der zaghafte Versuch der Linksfraktion, die wachsenden Vermögen der Krisengewinnler heranzuziehen, war vielen „Leitmedien“ kaum eine Zeile wert. Zu Recht? Wer soll ernsthaft über eine Debatte berichten, in der die Redner der CDU von einer „Mittelstandsvermögensabgabe“ sprachen, während Multi(!)millionäre und Milliardäre gemeint waren? Möglicherweise hat es wirklich keinen Nachrichtenwert, wenn SPD und „Grüne“ mal wieder gegen die eigenen Grundsätze verstoßen und eine Politik verteidigen, die der großen Mehrheit die Taschen plündert. Und es ist schon längst keine Neuigkeit mehr, dass fast alle Parteien im Bundestag zusammenhalten, um den Reichtum der oberen Zehntausend zu schützen.

Ein Zusammenhang wäre aber vielleicht doch noch berichtenswert: Es ist kein Zufall, dass die Ablehnung der Vermögensabgabe und das Gezerre um die kleinen Verbesserungen durch das Bürgergeld den Bundestag zum gleichen Zeitpunkt erreichten. Die Politik, die es den Reichen erlaubt, Kriege zu führen, ohne dafür zu bezahlen, braucht die Spaltung derjenigen, die darunter leiden müssen.
- https://www.unsere-zeit.de/64936-4774567/

Mehr: Bundestag lehnt Vermögens­abgabe für Milliardäre und Multi­millionäre ab @ bundestag.de

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

An all jene, die immer wieder auf Missstände im Ausland zeigen, lustvoll über Autokratien herziehen, die Kriegsstimmung anheizen und Sanktionen beklatschen, auch wenn in erster Linie die heimische Bevölkerung die Rechnung bezahlt bzw. nicht mehr bezahlen kann. Ich war gestern in einem sog. sozialen Brennpunkt in dem mir von hungernden Kindern berichtet wurde. In einem Land in dem die moralischste Regierung aller Zeiten 100 Milliarden für Rüstungsgüter raushaut und in dem finanzielle Hilfen entweder mit der Gieskanne ausgeschüttet werden oder von vornherein nur denen zugute kommen, deren Profite eh schon ins Unermessliche steigen.

Hier die Fakten aus einem der reichsten Ländern des Planeten: Aktuell leben 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche von staatlichen Leistungen zur Existenzsicherung, davon 1,6 Millionen, obwohl ihre Eltern erwerbstätig sind. Die Corona-Pandemie macht Armutsfolgen deutlich sichtbarer und wird die Kinderarmut in den nächsten Jahren weiter verschärfen. aus: Gemeinsame Erklärung gegen Kinderarmut

What the fuck?!

Verarmung: Bündnis gegen Kinderarmut

56 soziale Verbände schlagen in gemeinsamer Erklärung Alarm

Je weniger einer hat, desto mehr kann man ihm nehmen. Denn eine wuchtige Inflation trifft die ärmeren Haushalte besonders. Und zwar nicht nur absolut, indem das Limit dieser Haushalte schneller erreicht ist. Sondern auch relativ.

Die gegenwärtige Inflation hat ihre Schwerpunkte gerade bei Energie und Lebensmitteln. Diese Bereiche machen einen desto größeren Anteil an den monatlichen Ausgaben eines Haushalts aus, je geringer dessen Einkommen ist. Wie man dem am Dienstag veröffentlichten Inflationsmonitor der Hans-Böckler-Stiftung entnehmen kann, mussten bei den vierköpfigen Haushalten (zwei Kinder) die mit niedrigem Einkommen eine Kostenerhöhung von 11,8 Prozent hinnehmen, die mit mittleren Einkommen 10,6 Prozent, die mit hohen 9,7. Kinderlosen Haushalten geht es vergleichsweise besser. ­Wohlhabende Alleinlebende etwa hatten im Vergleich zum Vorjahr eine Steigung von 8,7 Prozent zu verkraften.

Keine Armut folglich ohne Kinderarmut. Was an Haushalten mit mehr als zwei Kindern noch deutlicher wird. Wer mit mehreren Geschwistern in einer Familie aufwächst, ist nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung vom 10. November besonders betroffen. Fast ein Drittel aller Mehrkindfamilien gelte als einkommensarm. »Jeder dritte Hartz-IV-Empfänger ist ein Kind, obwohl der Anteil von Kindern an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei rund 16 Prozent liegt«, sagte Holger Hofmann vom Deutschen Kinderhilfswerk am Dienstag.

Das Hilfswerk hat jetzt in einem »breiten Bündnis« mit 55 weiteren Verbänden – darunter der Arbeiter-Samariter-Bund, die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie Deutschland, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Kinderschutzbund und die Volkssolidarität – eine gemeinsame Erklärung formuliert: »Solidarität mit armutsbetroffenen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien – besonders in der Inflationskrise«. Die Verbände fordern darin eine »echte Kindergrundsicherung« und bis zu deren Einführung eine »schnelle und lückenlose Hilfe«.
- https://www.jungewelt.de/artikel/438824.verarmung-b%C3%BCndnis-gegen-kinderarmut.html

Es ist so bequem immer wieder auf die Anderen zu zeigen. Es bleibt dabei: Der Hauptfeind steht im eigenen Land und es Menschenrechte fangen beim Existenziellen an: Brot und ein Dach über dem Kopf.

#politik #menschenrechte #soziale-frage #moral #wertewesten #kapitalismus

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #soziale-frage #rechte-hetze #bürgergeld #sanktionsfrei

Fünf Mythen der rechten Bürgergeld-Hetze

CDU, CSU und AfD greifen die geplante Reform der Grundsicherung an – mit Fake News. Helena Steinhaus von Sanktionsfrei klärt auf:

Im Streit übers Bürgergeld haben Konservative und Rechte eine Sozialneid-Debatte entfacht, die zynischer kaum sein könnte. Ausgetragen wird sie auf dem Rücken der Schwächsten, die derzeit ohnehin nicht viel zu lachen haben. Im Netz kursieren grob vereinfachte Berechnungen, die das rechte Blatt Junge Freiheit produziert hat und die zuerst von AfD-Kreisverbänden, dann auch von Union und Arbeitgeberverbänden verbreitet wurden. Sie legen nahe, dass Arbeit sich nicht mehr lohnen würde und das Bürgergeld die Rundum-sorglos-Arbeitslosigkeit erlaube. Das sind Fake News. Schauen wir einmal genauer hin.

Konkret geben die Rechenbeispiele der Jungen Freiheit vor, aufzudröseln, wie viel Geld Menschen mit Bürgergeld zur Verfügung haben – im Vergleich zu Menschen, die im Mindestlohnbereich arbeiten. Dabei werden jedoch Fakten ignoriert, etwa dass auch Geringverdienende Anspruch auf aufstockende oder ergänzende Leistungen haben. Durch diese Auslassung ziehen die Personen mit prekärer Erwerbsarbeit gegenüber Bürgergeldbeziehenden den Kürzeren. Diese Rechnung übernahm teils die CSU, deren Chef Markus Söder jüngst im ZDF erklärte, manche Menschen in unteren Einkommensgruppen würden „am Ende, wenn sie arbeiten, weniger haben, als wenn sie nicht arbeiten“. Zeit, die größten Mythen dieser rechten Erzählung zu widerlegen.

Mythos 1: Jobcenter übernimmt die Energiekosten. Nein. Strom muss vollständig aus dem Regelsatz gezahlt werden. Dafür waren bislang knapp unter, sind ab 2023 knapp über 40 Euro monatlich vorgesehen. Schon vor der Energiekrise war es quasi unmöglich, damit auszukommen. Viele Menschen häufen daher Schulden auf und müssen beim Jobcenter immer wieder Darlehen beantragen, die dann mühselig aus dem Regelsatz abgestottert werden müssen. Vorausgesetzt, sie werden überhaupt gewährt. Infolgedessen müssen sie dauerhaft unter dem Existenzminimum leben und geraten in eine Schuldenspirale. Das Geld sparen sie sich regelrecht vom Mund ab. Häufig führt das sogar zu Stromsperren.

Mythos 2: Jobcenter übernimmt die Wohnkosten. Jein. Das tut es nur, wenn sie „angemessen“ sind. Als angemessen gilt ein Quadratmeterpreis zwischen vier und neun Euro, je nach Region. Es ist oft eine Kunst, eine Wohnung zu finden, die den Kriterien entspricht. Tatsächlich wollte die Koalition die Angemessenheit für eine Karenzzeit von zwei Jahren aussetzen, nahm dies nun jedoch für die Union zurück. Die Folge ist, dass viele Menschen die Miete auch weiterhin mit aus dem Regelsatz bezahlen müssen. Rund 400.000 Unterkünfte erfüllen die Kriterien nicht. Dadurch werden auch die tatsächlichen Nebenkosten nicht übernommen.

Mythos 3: Alle Kinder bekommen Kindergeld. Nein. Die Kindergeldstelle zahlt das Geld zwar auch an Menschen aus, die von Hartz IV leben oder „aufstocken“, aber die Jobcenter ziehen es vom Regelsatz praktisch wieder ab. Mit dem Bürgergeld müssen Kinder zwischen sechs und 13 Jahren von nur 348 Euro monatlich leben! Davon müssen Kleidung, Essen, Strom, Schulsachen und kulturelle Teilhabe finanziert werden. Es gibt einige Zusatzleistungen, aber im Behördendschungel blicken viele Eltern nicht durch und so werden sie häufig nicht in Anspruch genommen.

Mythos 4: Leistungsbeziehende können „zum Fenster hinaus heizen“, da die Nebenkosten übernommen werden. Nein. Bislang werden nur die „angemessenen“ Nebenkosten übernommen. Die Kriterien hierfür sind regional unterschiedlich und schwer zu durchblicken. Noch bis Ende 2022 gilt eine Corona-Sonderregelung, die die tatsächlichen Nebenkosten übernahmefähig macht. Wir reden hier von durchschnittlich 66 Euro Heizkosten im Wintermonat Januar 2022 pro Haushalt. Die Sonderregelung läuft jedoch bald aus, und nun plante die Koalition, die Heizkosten – nur in den ersten zwei Jahren des Leistungsbezugs! – voll zu übernehmen. Im „Kompromiss“ mit der Union zog sie diesen Vorschlag zurück.

Mythos 5: Eine Vollzeitstelle auf Mindestlohnniveau bringt netto genauso wenig wie Bürgergeld. Nein. Denn Geringverdienende haben Anspruch auf Wohngeld, Kinderzuschlag und Freibeträge, und auf aufstockende Leistungen, die dafür sorgen, dass ein gewisser Abstand – es geht hier um etwa 250 Euro – zwischen Leistungsbeziehenden und Erwerbstätigen gewahrt bleibt. Um Armut effektiv zu bekämpfen, müssen die Löhne insgesamt angehoben werden. Die Union hat sich aber gegen die jüngste Erhöhung des Mindestlohns ausgesprochen.

Die Union fährt hier gezielt eine Hetzkampagne gegen Arme. Selbst Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP nannte diese Manier, die Schwachen gegen die Schwächsten auszuspielen, jüngst einen „Schäbigkeitswettbewerb“.

Als Verein Sanktionsfrei setzen wir uns seit Jahren dafür ein, dass Hartz IV abgeschafft wird. Nun befinden wir uns in der merkwürdigen Position, den Entwurf eines Gesetzes zum Bürgergeld mit Händen und Füßen gegen rechte Angriffe verteidigen zu müssen, den wir eigentlich für eine vertane Chance halten. Und zwar, weil ein echtes Bürgergeld vor Armut schützen muss, gesunde Ernährung und gutes Wohnen möglich machen muss, sanktionsfrei sein muss und einen Kulturwandel vorantreiben muss, der Erwerbslose nicht per se als Schmarotzer*innen abstempelt, sondern sie als mündige Bürger*innen anerkennt und unterstützt. Ein Bürgergeld müsste ein Leben in Würde ermöglichen. Alles andere ist nur Bürger-Hartz.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #krieg #ukraine #russland #nato #propaganda #energiepreiskrise #soziale-frage #heimatfront

Mich fröstelt diese Solidarität total

Für den 22. Oktober rufen zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft mitten im Krieg zu mehreren Demonstrationen auf. Während Karl Lauterbach von einem Deutschland sprach, das sich im »Krieg mit Putin« befindet (um wenig später zurückzurudern), hat der Aufruf für diese epochalen Zeiten gerade einmal zwei Worte übrig. Woran liegt das? (von Wolf Wetzel)

Jetzt wird die »Zivilgesellschaft« aktiv, also all die halb- und viertelstaatlichen Institutionen wie ver.di, Compact, GEW, Greenpeace, der Paritätische usw.

Sie rufen für den 22. Oktober 2022 zu mehreren Demonstrationen auf, die einen »solidarischen Herbst« bescheren sollen. Nebenbei soll »solidarische Sicherheit« geschaffen und die »Energiewende« beschleunigt werden (siehe unten)

Wer hätte etwas gegen Solidarität – nicht nur für den Herbst? Wer hätte etwas gegen »solidarische Sicherheit«, wenn man wüsste, wer damit alles gemeint und wer dabei als Gefahr gilt.

Und natürlich ist eine »Energiewende« auch nicht zu verachten.

Aber warum jetzt – für den Herbst?

Alle ahnen es: Es geht um den Krieg in der Ukraine ab Februar 2022, der, ab da, also bitte nur ab da, als »Angriffskrieg« bezeichnet werden darf. Dabei ist sich die »Zivilgesellschaft« nicht zu dumm für Personalisierung, die diese ansonsten als rechtsoffene bis antisemitische Theoreme verpönt. Es ist »Putins Angriffskrieg«, der sie unheimlich empört und aus dem »Sommermärchen« eines Franz Beckenbauer reißt, das vor Korruption und Heuchelei nur so strotzte.

Ach ne, Putin. Und was war vor dem Februar 2022?

Okay, Putin war‘s. Das wäre aber alles nicht so schlimm, also so schlimm wie immer, wenn der Krieg in der Ukraine ab Februar 2022 nicht doch auch Deutschland erreicht.

Eigentlich hat man sich an Krieg und Hunger, woanders, längst gewöhnt. Neben dem Umstand, wie man dagegen kämpfen kann, steht auch außer Frage, dass diese Kriege dort, dieser Hunger dort, eben auch unseren Wohlstand garantiert.

Aber dieser Krieg in der Ukraine ist eben doch anders … als gedacht. Man wollte ihn dort führen, mit Geld und Waffen und blauweißen Fähnchen und Sticker, aber hier davon verschont werden. Dann wäre es ein Luxus und eine Belanglosigkeit zugleich gewesen, dafür oder dagegen zu sein.

Aber jetzt erreicht der Krieg auch uns, hier in Deutschland. Das ist nicht fair! Wir liefern doch nur Waffen und ganz viel Solidarität?

Okay, jetzt sollen wir »frieren«, für die Ukraine, für die Politik der Bundesregierung.

Wer ist daran schuld? Natürlich: Putin!

Wer hat die Nord Stream II, die Gas, sehr günstiges Gas nach Deutschland liefern sollte, torpediert? Wer hat gedroht, ihr ein »Ende zu bereiten«? Was das Putin oder … der US-Präsident Joe Biden? Okay, Schwamm drüber.

Wer hat dafür gesorgt, dass Nord Stream I und II mit einem Sabotageakt, der nur von staatlichen Akteure ausführen werden konnte, in absehbare Zeit, für Gas- und Öllieferungen nicht mehr zur Verfügung steht? Natürlich Putin, weil der einfach so irre ist, sein eigenes Projekt in die Luft zu sprengen.

Und wer glaubt all diesen Bullshit neben der Bundesregierung? Auch die »Zivilgesellschaft«, die nun im Oktober auf die Straße gehen will:

»In diesem Herbst treffen uns die Folgen von Putins Angriffskrieg mit voller Wucht: Viele von uns wissen nicht, wie sie Gas- und Stromrechnung bezahlen sollen. Etliche haben sogar Angst, ihre Wohnung zu verlieren und vom gesellschaftlichen Leben weiter ausgeschlossen zu werden – weil alles teurer wird, Löhne und Transferleistungen reichen nicht mehr aus.« (Aufrufstext)

Wie dreist muss man sein, um den Wirtschaftskrieg, der lange vor dem Februar 2022 begann, ins Gegenteil umzukehren. Es war nicht »Putin«, der diesen Wirtschaftskrieg begann! Es war ganz vorne die US-Regierung, die alles dafür tat, dass es kein »günstiges« Gas aus Russland geben sollte. Sie hat dafür gesorgt, dass Firmen sabotiert wurden, die sich an diesem Projekt beteiligt hatten. Und sie war es, die vom Ende dieser Pipeline profitieren wollte – mit LPG-Gas aus den USA, das um ein zigfaches teurer ist.
Wir frieren schon lange nicht – zusammen.

Es frieren nur jene (noch mehr), die schon immer vom »Wohlstand« ausgeschlossen waren – ganz ohne »Putin«.

Wer plötzlich ein »wir« konstruiert, das es in Deutschland nie gab, der betreibt keine oppositionelle Politik, sondern eine staatstreue Politik, die uns erzählen möchte, dass es »Putin« ist, dem wir eine kalte Wohnung, hohe Energierechnungen und explodierende Lebenshaltungskosten zu verdanken haben.

Wer nur halbwegs bei Trost ist, weiß, dass der Energiemarkt nicht von »Putin« kontrolliert wird, sondern von internationalen Konzernen, die in der Mehrheit nicht in Russland ansässig sind. Sie bestimmen die Preise, sie spekulieren mit den »Rohstoffen«, wie eh und je. Das finden doch alle staatstragende Parteien in Deutschland vollkommen in Ordnung! Denn so ist das Prinzip mit und ohne Krieg: Man profitiert nicht vom Überfluss, sondern vom Mangel. Man profitiert von Krisenstimmungen. »Kaufen, wenn in den Straßen Blut fließt«. Das sagte nicht Putin, sondern einer, der im »freien« Westen zum Milliardär wurde.

Was hat das also alles mit »Putin« zu tun? Verdammt wenig.

Der Mangel an Gas und Öl (in Deutschland) ist ein Ergebnis des Wirtschaftskrieges, den die US-Regierung massiv und die EU-Staaten (einschließlich Deutschland) hingenommen haben. Man kann es auch chronologisch fassen: Dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 ging der US-geführte Wirtschaftskrieg gegen Russland und ein US-lizensierter Putsch in der Ukraine 2014 voraus.

Heute sind die rot-gelb-grün-schwarzen Politiker sogar für die weitsichtige US-Wirtschafts-Kriegs-Politik dankbar und geißeln sich brav und übermäßig für ihre »Naivität«, mit Russland gute Geschäfte gemacht zu machen. Unentwegt entschuldigen sie sich wie Schuljungen dafür, dass sie das nicht auch so gesehen haben und kaufen jetzt für das Vielfache LPG-Gas aus den USA. Wer jetzt nicht mitinfantilisiert kann sich ausrechnen, wer an diesem Krieg in jeden Fall verdient – ohne die Toten auf dem Schlachtfeld zu zählen.

Der Krieg in der Ukraine ab Februar 2022 wird in besagten Aufruf mit gerade einmal zwei Worten »Putins Angriffskrieg« erwähnt. Das deckt sich mit der Bundesregierung. Das sagen auch die versammelten Politik-Soldaten im und außerhalb des Parlaments. Aber wollen/sollen sich die Demonstrationen vielleicht doch vom Bundesregierungskurs unterscheiden – wenigsten ein bisschen?

Oder verstehen sie sich vielmehr als stand by Regierung, demonstrieren gar nicht wirklich gegen diese Regierung, sondern vor allem gegen jene, die »falsch« demonstrieren:

Damit aus der Krise ein Aufbruch erwächst

»Wir überlassen in diesem Herbst nicht den Spaltern und Hetzern die Straße, sondern geben den vielen Menschen eine Stimme, die solidarisch die Krise stemmen wollen. Damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet, muss die Ampel die Kosten der Krise endlich fair verteilen. Wir wollen uns dafür stark machen, dass aus der Krise ein Aufbruch erwächst“, so Christoph Bautz, Geschäftsführender Vorstand von Campact und ebenfalls Bündnispartner.« (Aufruf)

Der »erste Schuss« fiel nicht in der Ukraine

Es ist kein großes Geheimnis, dass jedes Wort mehr, jede Erklärung, wie es zu diesem Krieg kommen konnte, wer alles auf diesen Krieg in der Ukraine hingearbeitet, wer die »regelbasierte Weltordnung« gebrochen hat, das Bündnis zum Platzen bringen würde.

Und erst recht würde sich das Bündnis in Staub auflösen, wenn man die Frage stellen und beantworten würde, wer politische und diplomatische Lösungen torpediert, wer Vereinbarungen bewusst und zielstrebig gebrochen hat.

Es geht hier nicht darum, zu sagen, wer den ersten Schuss abgegeben hat, zumal man ja dann auch den Zeitraum festlegen müsste, ab dem man einen Schuss gehört hat.

Es geht darum, welche Rolle gerade die deutschen Bundesregierungen seit 1990 spielen. Dazu könnten doch die Bündnispartner ausreichend und genügend sagen! Warum schweigen sie?

Wenn man also erwähnt, dass alle Zusagen im Rahmen der 2 plus 4-Gespräche im Zuge der »Wiedervereinigung« gebrochen wurden, dass dieser Bruch den Weg in Richtung Russland geöffnet hat, um Zug um Zug vorzurücken (was man dann »NATO-Osterweiterung« nannte), dann wäre doch ein wesentliches Instrument benannt, um hier einiges in die Waagschale zu werfen, um den Mitverursachern dieses Krieges hier den Frieden aufzukündigen.

Der größte gemeinsame Nenner, auf denen sich das Bündnis geeinigt hat, ist doch deutlich herauszulesen: »Putins Angriffskrieg« ist schlimm bis epochal und man darf ihn nicht gewinnen lassen. Über die Mittel schweigt man, dann muss man den eklatanten Bruch der Zusage, keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu schicken, nicht erwähnen bzw. bewerten.

Ich will den Bündnispartner*innen nicht auf die Füße treten – oder doch:

Kann es sein, dass der Krieg gegen Russland (also ganz im Sinne von Karl Lauterbach) eigentlich irgendwie doch in Ordnung ist, wenn man ein paar störende postfaschistische Figuren und Strukturen in der Ukraine wegradieren könnte und wenn man hier vom Krieg nichts spürt, also ins Kino gehen und sich den Film »Im Westen nichts Neues« anschauen kann? Und wenn dann noch dem Krieg on top eine ökologische, nicht-fossile »Zeitenwende« hinzufügt werden könnte, dann ist es doch alles latte (macchiato).

Quellen und Hinweise:
- Solidarischer Herbst – Aufruf: https://www.solidarischer-herbst.de/

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#politik #gesellschaft #soziale-frage #mobilität #öpnv #verkehrswende #politikversagen

49 Euro sind viel zu teuer

....49 Euro fühlen sich heute ja fast schon wieder wie GroKo an. Da werden viele halt dann doch lieber das Auto nehmen. An alle, für die 49 Euro im Monat aufgrund von Armut ein unüberwindbares Hindernis darstellen, verschwendet diese Koalition ohnehin nur peripher Gedanken.

45,02 Euro für „Verkehr“ sieht der Regelsatz für Hartz IV vor, der als Bürgergeld von Januar an gelten soll. Man könnte jetzt denken: Fehlen ja nur 3,98 Euro und Erwerbslose können durch die ganze Republik fahren. Doch woher sollen sie diese 3,98 Euro nehmen, wenn schon die 174,19 Euro für Nahrung nicht reichen werden, weil alles immer noch teurer wird? Und selbst wer die knapp vier Euro zusammenkratzt und das 49-Euro-Ticket kauft – eine Fahrt von Rostock zu den Enkeln in München mit dem ICE ist da nicht drin. Gilt jetzt: Wer nicht arbeitet, soll gefälligst 13 Stunden Regionalbahn fahren?

Und wenn das Ticket schon 49 Euro kosten muss, weil die Ampel-Regierung scheinbar nicht in der Lage ist, die Mittel für den nötigen Ausbau der Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs aufzubringen, dann müssen zumindest die Bürgergeld-Regelsätze so steigen, dass endlich das Existenzminimum gewährleistet ist. Nicht um 53, um 200 Euro, wie es die Sozialverbände fordern.
- https://www.freitag.de/autoren/sebastianpuschner/49-euro-sind-viel-zu-teuer

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#politik #energiepreiskrise #eu #brd #soziale-frage

Sonderfall BRD: Einer gegen alle

Vielerorts in Europa gibt es längst Energiepreisdeckel und Übergewinnsteuern. (Von Raphaël Schmeller und Alexander Reich)

Seit Monaten lassen die Energiepreise Abermillionen verarmen, während Energiekonzerne Rekordgewinne machen. Staatliche Gegenmaßnahmen liegen auf der Hand. Viele Regierungen in Europa haben inzwischen Preisobergrenzen festgelegt und/oder »Übergewinnsteuern« für Krisenprofiteure. Zählt man die Länder, die bisher Energiepreisdeckel eingeführt haben, aber keine Sondersteuer, kommt man auf mindestens acht: Frankreich, Portugal, Österreich, Norwegen, Bulgarien, Kroatien, Slowenien und Estland.

Die Mitglieder der Europäischen Union wollen in ihrer Mehrzahl einen EU-weiten Gaspreisdeckel. Am Dienstag schickten 15 der 27 Staaten einen Brief mit dieser Forderung an die EU-Energiekommissarin Kadri Simson. Unterzeichnet war das Schreiben von Regierungsvertretern aus Belgien, Bulgarien, Kroatien, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Slowenien und der Slowakei.

Die Länder fordern Brüssel auf, einen Gesetzesvorschlag für einen Höchstpreis zu erarbeiten. Die nicht genauer bezifferte Obergrenze solle sowohl für Gaslieferungen aus dem Ausland gelten als auch für Transaktionen an Großhandelsplätzen innerhalb der EU.

Mit dem Deckel könne der Inflationsdruck eingedämmt werden, argumentieren die Staaten. Außerdem könnten so »die Versorgungssicherheit und der freie Fluss von Gas innerhalb Europas gewährleistet« werden.

Gegen sich haben die 15 Länder insbesondere die Regierung der BRD, die seit Monaten auf dem Markt alle EU-Mitgliedstaaten überbietet, um ihre Speicher zu füllen. Gäbe es einen Deckel, könnten die Deutschen den Markt nicht mehr leerkaufen, was die Preise nach oben treibt (von wegen freies Spiel der Kräfte).

Den 15 Verfassern des offenen Briefs gehen die bisherigen Vorschläge der EU-Kommission nicht weit genug. Brüssel hat bisher auch keine konkreten Pläne für einen Preisdeckel veröffentlicht, zuletzt aber immerhin vorgeschlagen, zunächst einmal »übermäßige Gewinne« von Öl- und Gaskonzernen sowie Stromproduzenten abzuschöpfen und mit dem Geld Verbraucher zu entlasten.

Auch das wird mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aller Voraussicht nach nicht zu machen sein: Keine zusätzlichen Steuern, Festhalten an der Schuldenbremse – das ist sein Mantra. Von Übergewinnen weiß er nicht, ob es sie überhaupt gibt.

Nun gut, der Druck auf die Bundesregierung wächst. Am Mittwoch erklärte Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte: »Der Energiepreisdeckel muss jetzt kommen.« Am 8. Juli hatte der Sozialdemokrat einen Antrag auf Prüfung einer Übergewinnsteuer in den Bundesrat eingebracht und war damit an den unionsgeführten Ländern gescheitert. »Die Kluft zwischen den wenigen Gewinnern und den vielen Verlierern wird in der Sommerpause tiefer«, sagte er anschließend – und sollte recht behalten, auch mit einer Alltagsbeobachtung: »Ich bin mir sicher, dass die Menschen im Land merken: Da stimmt etwas nicht. Das kann so nicht richtig sein.«
- mehr @ https://www.jungewelt.de/artikel/435634.energiekrise-sonderfall-brd.html

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #mieten #energiepreiskrise #soziale-frage #enteignen #vergesellschaftung #dwe

Neue Forderung von DWE: Energiekonzerne vergesellschaften!

Ein Jahr nach dem Volksentscheid: „Sie werden immer reicher, weil wir immer ärmer werden – das muss aufhören!“ +++ Initiative stellt umfangreichen Forderungskatalog auf

Berlin 26.09.2022. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen fordert die Vergesellschaftung von Energiekonzernen. Genau ein Jahr nachdem 59,1 % der Berliner*innen sich für die Vergesellschaftung der Bestände großer Immobilienkonzerne entschieden haben, bezieht die Initiative damit nun auch aktiv Stellung in der bundesweiten Diskussion über Energiekrise und Inflation. Denn während der Senat die schnelle Umsetzung des Volksentscheids blockiert und sich die Mietenkrise zuspitzt, belastet die Energiekrise Mieter*innen zusätzlich.

„Auch Energiekonzerne müssen vergesellschaftet werden“, fordert Kalle Kunkel, Sprecher der Initiative. „Seit unserem Volksentscheid hat sich die Situation deutlich verschlimmert: Die Mieten steigen, die Strompreise steigen und die Gaspreise explodieren. Viele von uns wissen nicht, wie sie über den Winter kommen sollen. Und währenddessen fahren die Konzerne weiterhin saftige Gewinne ein. Sie werden immer reicher, weil wir immer ärmer werden – das muss jetzt aufhören!“

Die Initiative weist darauf hin, dass die Vergesellschaftung von sowohl Immobilien- als auch Energiekonzernen eine dauerhafte und sichere Entlastung für Mieter*innen darstellt. Sie kritisiert nachdrücklich, dass die Konzerne mit Gütern der Daseinsvorsorge Profite erzielen.

„Wohnen, heizen, mit warmem Wasser duschen – und seien es nur drei Minuten – wir Menschen sind auf diese Dinge angewiesen. Niemand sollte sich daran bereichern dürfen. Doch private Unternehmen nutzen die aktuelle Krise schamlos aus, um ihre Profite auch noch auszuweiten. Und die Politik schaut dabei zu“, erklärt Kunkel weiter.

Die Forderung nach Vergesellschaftung von Energiekonzernen bildet einen zentralen Punkt eines Forderungskatalogs zur Inflationskrise, den die Initiative zum Jahrestag des Volksentscheids veröffentlicht hat.

„Einmalzahlungen, Energiesparstipps und Subventionierung von Konzernen durch die Gasumlage helfen niemandem auf lange Sicht. Das einzige zukunftsfähige Mittel gegen die Inflationskrise ist die Überführung der Energie- und Immobilienkonzerne in Gemeineigentum. Doch die Krise ist akut und deshalb unterstützen wir eine Reihe von Sofortmaßnahmen wie einen Energiepreisdeckel, das Verbot von Indexmietverträgen sowie den sofortigen Stopp von Kündigungen und Zwangsräumungen“, so Kunkel abschließend.

Die Inititative Deutsche Wohnen und Co. enteignen fordert:

  1. Wohnungskonzerne vergesellschaften – Energiekonzerne enteignen!
  2. Strombörse abschaffen
  3. Indexmietverträge abschaffen!
  4. Gasumlage abschaffen! Kaltmieten senken! Energiepreise deckeln!
  5. Sofortiger Kündigungsstopp – Zwangsräumungen verhindern!
  6. Ökologische Sanierung der Bestände – sofort & mietenneutral!

Das gesamte Forderungspapier können Sie hier herunterladen.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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Die Opfer der Inflation können sich auch des Beistands der Kirchen sicher sein, die immer schon den Untertanen empfohlen haben, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Sie stellen ihren Beistand in traditioneller Form unter Beweis: (Die EKD-Ratsvorsitzende) „Kurschuss kündigte an, dass die evangelische Kirche im kommenden Winter Wärmeräume und Suppenküchen anbieten werde, sollten mehr Menschen angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten in eine Notlage geraten.“ (WAZ, 25.8.22). Sicherlich werden die Armen auch ins Gebet eingeschlossen und auf Gottes Hilfe verwiesen, was ja jedem, der‘s glaubt, den nun wirklich bombensicheren Trost „You‘ll never walk alone“ verschafft.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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"Die Mehrheit wird beim Frieren noch für dumm verkauft."

Das ist der Stand der Dinge in der bundesrepublikanischen Klassengesellschaft: Wer als Friseur oder Verkäufer immer von der Hand in den Mund gelebt hat, muss hungern oder frieren oder beides. Wer mit dem Bau von Autoteilen etwas zurücklegen konnte, sieht die Galgenfrist ablaufen. Und auch in den nächsthöheren Einkommensgruppen werden die ersten Städtereisen storniert, die ersten Sonderangebote angenommen. Die Angst geht um, und es ist erst der Anfang.

»Seit den 90er Jahren driften die Einkommen auseinander, mehr noch die Vermögen«, heißt es dazu in der Spiegel-Titelstory. Bisher sei das kein Problem gewesen, »weil darunter vor allem die untersten 20 Prozent litten. Die, so hart das klingen mag, im Land traditionell eher wenig zu sagen haben. Heute aber geht es auch um die Mitte.« Verbunden wird das mit dem obligatorischen Warnhinweis: »Ungerechtigkeit, wenngleich auch nur gefühlte, fördert Populismus und Extremismus.«

Die Ungerechtigkeit »nur gefühlt« zu nennen, ist Ausdruck von Klassenbewusstsein. So geht der Kampf von oben. Die Mehrheit wird beim Frieren noch für dumm verkauft.
- aus https://www.jungewelt.de/artikel/435072.inflation-zu-wenig-brutto-f%C3%BCr-netto.html

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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"Wenn wir demnächst wieder von einem neuerlichen Entlastungspaket sprechen, sollten wir als dann demonstrierendes Volk die Courage aufbringen, ein letztes Entlastungspaket einzufordern. Eines, das den Runterwirtschaftsminister ersetzt, die Außenministerin rauswirft und den Bundeskanzler in die Rente und den nächsten Untersuchungsausschuss schickt: Es sollte kurz gesagt ein Entlassungspaket sein. Ob es dann besser wird, weiß man nicht: Aber sich von diesen Dilettanten zu lösen, das hat auch was mit Selbstachtung zu tun. Aber womöglich hat die schon längst Insolvenz angemeldet."