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Bloß das Ende der Zivilisation

Am 28. August vor 20 Jahren starb der Dichter Peter Hacks. Auszug aus seinem Essay »Die Schwärze der Welt im Eingang des Tunnels«

Von der Welt wird immer wieder einmal angenommen, sie gelange zum Schluss.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sie es nicht tut; andernfalls könnte man ihn nicht werfen. Es gibt keine abschließende Lage. Es gibt keine Klemme, aus der die Leute nicht wieder herauskämen, meist beschadet, aber eben nie ausgetilgt. Es gibt kein noch so elendes Jetzt ohne Zukunft. Alles geht weiter und, wie bestimmte Überlegungen und die Erfahrung lehren, auf lange Sicht höher. Wenn man nicht mit Sprengstoff, Gift oder Pilzen der menschlichen Rasse den Garaus macht, wird sie sich fort-, und sie wird sich hinaufbequemen.

Es soll aber hier keine Erörterung der Gesetzlichkeit des Fortschritts angefangen werden. Mit dem Fortschritt kann es jeder halten, wie er will, ausgenommen die Künstler. Das Prinzip Hoffnung mag ein Weltprinzip sein oder auch keines; jedenfalls ist es ein Kunstprinzip. Hoffnung ist eine Gattungseigenschaft der Kunst. Indem einer Kunst macht, verrät er, dass er mit dem Weltende nicht rechnet. Er gibt sich nicht die ganze Mühe, um einen befristeten Stoff für einen befristeten Verbraucher herzurichten. Würde er mit dem Weltende fest rechnen, würde er die Sache lassen.

Wie unerfreulich die Rechnungen insgesamt seien, die der Künstler der Menschheit aufzumachen genötigt ist: Dass die Menschheit abstirbt, kann für die Kunst immer nur ein Zwischenergebnis sein. (…)

Ästhetik der langen Nächte: Kunst ist die höchste Weise, sich um die Menschheit zu kümmern. (…) Wer sich von der Menschheit hat ausreden lassen, sich um sie zu kümmern, den kümmert nichts mehr.

Die Frage ist nicht: Was macht die Kunst in lausigen Zeiten? Alle Kunst ist in lausigen Zeiten. Die Frage ist: Was macht die Kunst in Zeiten der Verzweiflung? Die Frage ist: Was geht, wenn nichts geht?

(...) Das von vielen erwartete und von allen gespürte Weltende hat stattgefunden – und war wieder einmal nicht das Weltende und war wieder einmal bloß das Ende der Zivilisation. Vorher sieht eben alles schlimmer aus.

Die Aussichten im Tunnel, in dessen langer Einfahrt wir so lange verweilten, haben aufgehört, durchaus finster zu sein. In der Mitte des Tunnels wird das Ende zum Anfang. Das bisschen Helligkeit, das wir als einen schwachen, schwindenden Schimmer allenfalls von hinten her abbekamen, fällt nun von vorne ein, und nimmt zu, und wir reisen ihr entgegen. Das Gesichtsfeld klärt sich mehr und mehr auf; die im Tunnelausgang stehen dann bereits im Licht.

  • Peter Hacks: Die Schwärze der Welt im Eingang des Tunnels. In: Konkret, 1/1991. Hier zitiert nach: Peter Hacks: ­Werke, 13. Band. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2003, Seiten 477–501.
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