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Brasilien: Lula gefügig machen

Wer ist an einer Destabilisierung der neuen Regierung interessiert, auch wenn diese nur für gemäßigte, sozialdemokratische Veränderungen steht. (Von Volker Hermsdorf)

Nur eine Woche nach Amtsantritt sieht sich Brasiliens linker Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit der ersten politischen Krise seiner dritten Amtszeit konfrontiert. Doch der Putschversuch vom Wochenende durch rechte Gegner seiner Regierung kam nicht wirklich überraschend. Und die Bolsonaristen sind dafür mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die alleinig Verantwortlichen. Die Arbeiterpartei-Vorsitzende Gleisi Hoffmann sprach von einem angekündigten Verbrechen auch im Dienste »anderer Interessen«, Lula geht davon aus, dass die Putschisten finanziert wurden.

Das führt zur Cui-bono-Frage, wer an einer Destabilisierung der neuen Regierung interessiert sein könnte, auch wenn diese nur für gemäßigte, sozialdemokratische Veränderungen steht. Mit der Ankündigung, die Abholzung des Regenwaldes zu bekämpfen und Sozialprogramme für Wohnungsbau und Bildung, zur Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung wiederzubeleben, stört Lula da Silva sicher die Interessen nationaler Eliten. Auch die Stärkung der Rechte von Afrobrasilianern, der indigenen Völker und der fünf Millionen Landlosen beunruhigt vermutlich diejenigen, die von deren Ausbeutung profitieren. Wie bei den Konflikten in den Nachbarländern Bolivien und Peru geht es auch in Brasilien um mehr als nationale Interessengegensätze.

In der Übergangsphase von einer uni- zu einer multipolaren Weltordnung spielt Brasilien aufgrund seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke allerdings eine herausragende Rolle. Während Trump-Bewunderer Bolsonaro auch für die Regierung von Joseph Biden ein verlässlicher Verbündeter war, strebt Lula eine größere außenpolitische Unabhängigkeit von Washington an. Die von ihm geförderte Wiederannäherung an Kuba und Venezuela, vor allem aber der angekündigte Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Russland und China tangieren ganz andere Interessen als die der nationalen Bourgeoisie, wütender Bolsonaro-Anhänger oder enttäuschter Evangelikaler. Und solange Lula sich auch dank seines international hohen Ansehens und der Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit sicher fühlt, wird er versuchen, den globalen Einfluss seines Landes selbstbewusst weiter auszubauen.

Die Reaktionen westlicher Regierungen auf den Putschversuch, mit denen vor allem Sorge um die »Demokratie in Brasilien« geäußert wird, sollten nachdenklich machen und erinnern ein wenig an die halbseidene Unterstützung Salvador Allendes vor dem Putsch in Chile vor 50 Jahren. Jemanden, den man nicht loswird, am ausgestreckten Arm über einen Abgrund zu halten, ist auch eine Methode, ihn gefügig zu machen.
- https://www.jungewelt.de/artikel/442512.lula-gef%C3%BCgig-machen.html

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