Das "Menschliche"

Habt ihr auch schon die Erfahrung gemacht, dass sich die scheinbare Einheit, die vor euch sitzt, sich plötzlich zweiteilt und seine Entscheidung, etwas nicht zu bewilligen, seiner dienstlichen Verantwortung zuschiebt? ungefähr so?

»Sehen Sie, ich bin ja menschlich durchaus Ihrer Ansicht«

Dann bedauert diese Einheit um sein selbst verleugnetes Menschsein und denkt an Kurt Tucholsky:

Und so ist ihr deutscher Tag:

Morgens steht der Familienvater auf, drückt als Gatte einen Kuß auf die Stirn der lieben Gattin, küßt die Kinder als Vater und hat als Fahrgast Krach auf der Straßenbahn mit einem andern Fahrgast und mit dem Schaffner. Als Steuerzahler sieht er mißbilligend, wie die Straßen aufgerissen werden; als Intendanzsekretär betritt er das Büro, wobei er sich in einen Vorgesetzten und in einen Untergebenen spaltet; als Gast nimmt er in der Mittagspause ein Bier und eine Wurst zu sich und betrachtet als Mann wohlgefällig die Beine einer Wurstesserin. Er kehrt ins Büro zurück, diskutiert beim Kaffee, den er holen läßt, als Kollege und Flachwassersportler mit einem Kollegen einige Vereinsfragen, schält einen Dienstapfel, beschwert sich als Telefonabonnent bei der Aufsicht, hat als Onkel ein Telefongespräch mit seinem Neffen und kehrt abends heim – als #Mensch?

kurt #tucholsky
#humor
#satire
#politik
#humanismus

Erläuterung aus demselben Text:

Daher alle die Ausreden: »Sehen Sie, ich bin ja menschlich durchaus Ihrer Ansicht« – daher die im tiefsten feige Verantwortungslosigkeit aller derer, die sich hinter ein Ressort verkriechen. Denn wer einem schlechten System dient, kann sich nicht in gewissen heiklen Situationen damit herausreden, dass er ja ›eigentlich‹ und ›menschlich‹ nicht mitspiele ... Dient er? Dann trägt er einen Teil der Verantwortung.

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