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Mythos wilder Streik + Illegalität. Zum Grundrecht auf Streik: Rechtsbruch mit Macht

Berlin: Veranstaltung über Legitimität »wilder Streiks«. Anwalt Hopmann verweist auf Sozialcharta (Von Simon Zamora Martin)

Die Feststellung ist eindeutig: Deutschlands sehr restriktives Streikrecht stehe im Widerspruch zu fundamentalen Menschenrechten, betonte Arbeitsrechtler und Anwalt Benedikt Hopmann am Freitag im Stadtteilladen »Kommune 65« im Berliner Wedding. Eingeladen zum juristischen Fachvortrag hatte die Initiative »Aktion Arbeitsunrecht« – der Titel: »Mythos wilder Streik und Illegalität. Zum Grundrecht auf Streik«.

Eine Präsenzveranstaltung mit Hintergrund: Wiederholt beschwerte sich in den vergangenen Wochen die Chefetage des Lebensmittelfahrdienstleisters Gorillas über »illegale« Streiks Beschäftigter wegen schlechter Arbeitsbedingungen und fehlerhafter Lohnabrechnungen. Die Ausstände seien »illegal«, weil es sich um »wilde Streiks« ohne Aufruf einer Gewerkschaft handeln würde, hieß es seitens des Unternehmens.

Hopmann spricht in diesem Kontext lieber von »verbandsfreien Streiks«, die in der jungen BRD vom ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes (BAG), Hans Carl Nipperdey, für illegal erklärt worden waren. »In der Weimarer Republik und selbst im Kaiserreich war das Streikrecht nicht abhängig von einem Gewerkschaftsverband«, bemerkte der Anwalt. Erst unter Nipperdey kam gewissermaßen die Wende. Dieser machte bereits unter den Nazis Karriere. Sein »Durchbruch« gelang ihm als einer der Verfasser der »nationalsozialistischen Arbeitsgesetzgebung«. Im Arbeitsordnungsgesetz wurde das Führerprinzip in den Betrieben durchgesetzt. In seiner späteren Funktion als BAG-Präsident fixierte er mit seinen arbeitsgerichtlichen Urteilen bis heute gültige Grundpfeiler des Streikrechtes in der BRD, wie etwa das Verbot von »wilden« Streiks.

Seine Argumentation: Es bräuchte eine Stelle, die gewährleistet, dass Streiks nur in einem vertretbaren Rahmen durchgeführt werden, meinte er. Das könnten Nipperdey zufolge keine freien Zusammenschlüsse von Arbeiterinnen und Arbeitern sein, sondern nur Gewerkschaften mit ihren tarifierbaren Forderungen. Also Forderungen, die nach Ansicht der Gerichte in einem Tarifvertrag zwischen Gewerkschaft und Kapitalseite vereinbart werden können – und die die heilige unternehmerische Freiheit nicht einschränken. »Nipperdey empfahl sich für den Posten als BAG-Präsidenten mit einem Gutachten, das er 1953 für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände über die Zeitungsstreiks von 1952 schrieb«, erklärte Hopmann.

Damals legten in der BRD die Drucker aus Protest gegen das neue Betriebsverfassungsgesetz für zwei Tage die Arbeit nieder. Auf Grundlage von Nipperdeys Gutachten verboten die meisten Landesarbeitsgerichte den politischen Streik und verdonnerten die Gewerkschaften zu Millionenstrafen. Eine finale Entscheidung vom BAG oder Verfassungsgericht zum politischen Streik gibt es jedoch bis heute nicht.

Doch gerade »verbandslose Streiks« habe es in der BRD immer wieder gegeben, legte Hopmann dar. Einige Beispiele: Streikwellen 1969, »Gastarbeiterstreiks« 1973, Ausstände gegen Kürzung der Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall 1996 sowie gegen Leiharbeit und Werkverträge 2014 bei Mercedes-Benz in Bremen – und nun Streikaktionen bei Gorillas. Dass die Unternehmen nur sehr zurückhaltend mit juristischen Mitteln gegen die »wilden Streiks« vorgingen, hat hauptsächlich einen Grund: »Das Verbot von verbandsfreien und politischen Streiks verstößt gegen die Europäische Sozialcharta«, sagte Hopmann. In dieser wird das Recht auf Streik den Beschäftigten zugesprochen, nicht den Gewerkschaften. Es habe bereits mehrere folgenlose Rügen wegen der deutschen Verstöße gegen die Sozialcharta gegeben. Auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen forderte Deutschland vergeblich auf, das völkerrechtswidrige Verbot von politischen Proteststreiks aufzuheben.

Hopmann ist sich sicher, dass das Verbot von politischen und verbandsfreien Streiks juristisch gekippt werden kann. Spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch dazu bräuchte es einen Präzedenzfall. Um diesen nicht zu schaffen, käme es gerade bei solcherlei Arbeitsniederlegungen – wie vergangenes Jahr gegen den Naziterroranschlag in Hanau oder im Kontext des Klimastreiks – zu auffällig wenig Repressionen. Eine juristische Feststellung, dass die Einschränkungen im deutschen Streikrecht völkerrechtswidrig sind, ist laut Hopmann wichtig, um besser für solche Streiks mobilisieren zu können.

»Was ist Recht?« – mit dieser Frage schloss der Anwalt seinen Vortrag. Hopmann antwortete selbst: »Keinesfalls die Rechtsprechung. Rechtspositionen sind Machtpositionen.«

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