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Frontberichte vom Leben - 230512

    
Bin sprachlos. Stehe vor einer grasvernarbten Wiese am Dorfrand. Alles ist still, wirkt beinahe friedlich. Wäre da nicht eine schreckliche Szene, die in ihrer grausamen dreidimensionalen Präsenz mühelos meine verspiegelte Sonnenbrille durchdringt, und die selbst von einem Retina-Display nicht detaillierter in all seiner Grausamkeit dargestellt werden könnte: Ich sehe Berge toter Halme. Hunderttausende.
    
Beissender, und auf eine seltsame Art anregender Geruch entströmt dem Grasnarbenkadaver, der vormals die örtliche Spielplatzwiese darstellte. Was war hier passiert? Hier fand ein Massaker statt. Ein Rasenmähermassaker.
    
Eine Rasenmäherarmee überfiel heute Morgen unser friedliches kleines Dorf und fraß sich durch die Grünflächen. Ohne Vorwarnung, und als verlängertes Morgengrauen, ertönte in der Früh plötzlich und aus dem Nichts infernalischer Eintakter- und Elektromotorenlärm. Unsere Wiesen- und Rasenflächen, die, gerade erst vom Winter erholt, sich in saftiges Grün gekleidet hatten, waren chancenlos. Schwere Rasenmäherartillerie, geführt von orangefarben behelmten Söldnern stürmte über die Grünflächen und metzelte jeden Halm gnadenlos nieder.
    
Doch die Wiesengräser wurden nicht nur abgeschnitten, nein, sie wurden gehäckselt, zermahlen und ausgespuckt. Die grausame Rasenmäherarmee hatte es auf jeden grünen Halm im Ort abgesehen, egal, wer im Weg stand. Die Kollateralschäden waren beträchtlich. Wiesenblumen, eingewanderte Jungsträucher und -stauden - alles wurde niedergemäht. Der Lärm war infernalisch.
    
Nachdem die schwere Artillerie ihr vernichtendes Werk getan hatte, kam, als deutliches Zeichen des unbedingten Willens ein komplettes Vernichtungswerk durchzuführen, die leichte Kantentrimmerinfantrie. Der singende und markdurchdringende Ton der Fädenkillerbestien zerfetzte Rasenkantenhalme und Nerven. Zum ersten Mal seit langer Zeit war kein Rentner auf der Straße zu sehen, und alle Fenster waren geschlossen.
    
Dann - Stille.
    
Jetzt stehe ich hier und starre auf die Leichenberge. Starre auf tote Halme, niedergemetzelte Wiesenblumen und zerstückelte Strauchtriebe. Bin gelähmt. Wer hätte gedacht, dass unser kleines friedliches Dorf von einer derartigen Katastrophe heimgesucht werden könnte? Wer hätte gedacht, das ein solches Hölleninferno einfach durch eine Zivilsationperle des 21. Jahrhunderts hindurch fegen kann ... ich möchte weinen.
    
Jemand legt mir eine Hand auf die Schulter. Neben mir steht unvermittelt einer der örtlichen  Gemeindearbeiter und fragt mich, ob ich beiseite treten könne, damit er den Grasschnitt abtransportieren könne.  Da bricht es aus mir heraus: ich fange leise an zu weinen. Der Gemeindearbeiter schüttelt den Kopf und tritt an den Grasberg. In diesem Moment sehe ich durch meine tränengetrübten Augen einen orangefarbenen Helm an seinem Gürtel hängen. Da ist ja also tatsächlich noch einer von Mörderbande zurück geblieben. Von einer unglaublichen Wutwallung gepackt, will ich ihm an die Gurgel springen, aber ... der Hund zieht mich in diesem Augenblick weg. Er muss unbedingt pinkeln und hat tatsächlich noch einen übrig gebliebenen Grashalm entdeckt.

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Frontberichte vom Leben - 19.12.11 +++

Weihnachtsmarkt am 4. Adventssonntag.

tl;dr -> Ich war Markt. Weihnachtsmarkt. Aber sowas von.

Der besinnliche Straßen~~fastnachts~~weihnachts-Wahnsinn hat am letzten Adventssonntag vor Weihnachten seinen massenhysterischen Höhepunkt erreicht - und ich war dabei.

Ja, ich war dabei. Ich habe ihn gesehen, den Pommesbudenbesitzer mit batteriebetriebener selbstbewegter Weihnachtsmannmütze und die Bratwurstfachverkäuferin mit goldenen, aber viel zu kleinen, viel zu eng verschnallten Engelsflügeln. Ein Anblick, der einen überlegen lässt, ob die Dame nebenbei noch zusammen mit Knecht Ruprecht einen Dominaservice an den Weihnachtsfeiertagen anbietet.

Ich hab' dieses Gesamtkunstwerk also betrachtet. Nein, schlimmer: Ich hab' sie angestarrt. Lange Momente hab' ich einfach nur gestarrt. Bis ich durch meine Geruchswahrnehmungen, die der ästhetischen Qualität des optischen Eindrucks angepasst waren, abgelenkt wurde. Ich glaubte, das mittelalte Pommesöl mit hoher Kilometerleistung hätte eine gebrannte-Mandel-Note. Dieses äußerst zweifelhafte Geruchserlebnis wurde durch den Süßwarenstand links nebenan ermöglicht. Aber diese Note war im nächsten Moment schon wieder verschwunden und wurde durch einen penetranten Glühweingeruch vom Stand zur Rechten, zu einem völlig neuen Geruchsinferno ergänzt. Der komplette olfaktorische Overkill trat aber erst ein, als die traditionelle »Süße-Waffel-mit-Kirsch«-Wolke vom Stand gegenüber dieses Inferno komplettierte. Die Geruchsverarbeitungseinheit in meinem Hirn kapitulierte und gab die Empfehlung zum sofortigen Rückzug.

Ich folgte diesem Rat und entfernte mich aus der Ecke der kulinarischen Herausforderungen. In absolut genialer Art und Weise hatten die Planer des Marktes die Streckenführung aber so angelegt, dass man auf dem Weg zur kulinarisch-weihnachtlichen Sinnesinsel in jedem Fall an der Muschelbühne mit lebensgroßer Kripeninstallation vorbei musste. In Endlosschleife lief dort die Weihnachtsgeschichte in einer Soundqualität, die - wahrscheinlich als Kunstgriff - dem Hörer einen Eindruck davon geben sollte, wie schlecht zu Zeiten von Josef und Maria die Langwellenempfänger noch waren. Jedenfalls will ich das glauben, denn ansonsten müsste ich vermuten, dass der örtliche Friedhofsgärtner die Geschichte per Megafon auf ein altes Achtziger-Jahre-Diktiergerät aufgesprochen hat, und das ganze Werk anschließend immer noch Jahr für Jahr auf eine neue Eisenoxyd-Cassette überspielt wird. »Nix wie raus da.«, dachte ich. Raus da bevor die Stelle mit dem Tiergeräuschen wieder kommen konnte. Ich krieg' ja schon bei Horrorfilmen Albträume.

Weiter auf dem Markt: Rote Nikolausmützen all überall. Vermehrt auch in der schon erwähnten batteriebetriebenen Selbsterreger-Variante. Endlos viele Verkaufsstände in Reihe und in Weihnachtsdeko. Ok, das muss man auf einem Weihnachtsmarkt erwarten - aber in Pink!?

Nicht in Pink gehalten waren die kleinen, ebenfalls batteriebetriebenen Santaklausrentierschlitten mit Propeller, die von Verkaufsgestellen baumelten und mit einer derartig abartigen Geschwindigkeit im Kreis rotierten, dass sie wie die NASA-Testmaschinen wirkten, in denen Astronauten hohen G-Kräften ausgesetzt werden. Man schaut fasziniert auf dieses Kreiselmassaker, und wartet wie hypnotisiert darauf, dass die Rentiere gleich im Rudel kotzen. Hohohoo.

Total heimelig waren auch die neuen und an jedem dritten Stand installierten, total weihnachtlichen Mini-Lasershows in grün-rot, ... und pink. Sie zeichneten derart irrwitzige Muster auf die Plätze vor den Ständen, dass die Weltraumgefechte bei »Star Wars« wie Kindergeburtstag wirken. Ich nehme an, dass auf den Unterseiten der Geräte Epilepsiewarnungen aufgedruckt sind. Beim Anstarren dieser besinnlichen ADS-Weihnachtsdeko sind spontane Christkind- oder Alienerscheinungen - verstärkt nach dem Genuss von vier bis fünf Glas Glühwein - durchaus wahrscheinlich. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum vor diesen Ständen soviel Betrieb war.

Doch es gab auch Traditionelles: Weihnachtspyramiden, Räuchermänner und -stäbchen, Duftkerzen und Tee. Diese Dinge wurden auch in einem kleinen Stand am Rand des Marktes angeboten, der nur von Kerzen beleuchtet wurde. Stand man direkt davor, konnte man auch die leise Musik vernehmen, die von einem kleinen alten CD-Player ertönte. Es waren Weihnachtslieder. Ja, irgendwie schon Weihnachtslieder, aber offensichtlich gespielt mit Sitar und ähnlichen exotischen Instrumenten, und in Tonarten, deren Namen und Tonvorrat ich nicht wirklich kenne. Egal, alles besser, als die »Techno-Weihnachten-auf-der-Alm«-Geräuschattacken. Den Verkäufer kannte ich sogar. Das war Jupp. Bei Jupp konnte man früher das beste Gras in der Umgebung kaufen. Mei, wie die Zeit vergeht. Jetzt verkauft er Räuchermänner und Weihnachtstee ... also, ja ... auch ... wahrscheinlich.

Nee, ich hab' nix gekauft! Obwohl ich mir nicht sicher war, ob ein Einkauf auf dem Markt nicht grundsätzlich Pflicht ist, und ich beim Verlassen des Geländes von städtischen Ordnungsamtmenschen in Verkleidung (Ständerweihnachtsmützen und Domina-Engelsflügeln) auf korrekten Mindestkonsum hin untersucht werden würde. Ich wurde nicht.

Nee, war nett. Muss man mal mitgemacht haben. Hat mir gefallen, aber das muss nix heißen: Zahnarztbesuche gefallen mir auch.

#Weihnachten #Weihnachtsmarkt #Christmas #Nikolaus #Christkind #Fun #Humor #stopmakingsense

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