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Kommentar zum Bürgergeld: Ein müßiger Streit

Kommentar - Bürgergeld-Debatte: Ein müßiger Streit

Bei der Debatte ums Bürgergeld werde übersehen, dass die meisten Langzeitarbeitslosen keine Ausbildung haben, meint unser Autor.#LOHN #ARBEIT #Bürgergeld #Sozialleistung #NIEDRIGLOHN
Kommentar zum Bürgergeld: Ein müßiger Streit

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #wirtschaft #arbeit #niedriglohn #überausbeutung

Was in Gräfenhausen los ist, ist der Normalzustand (im Kapitalismus)

...Die Empörung über Gräfenhausen ist groß und das ist gut so. Aber die Aufmerksamkeit sollte sich nicht nur auf Mazur und seine Wild-West-Methoden richten. Nicht jeder Unternehmer ist so verrückt, direkt mit paramilitärischen Einheiten anzurücken. Aber die Arbeitsbedingungen der streikenden Kollegen sind trotzdem eher die Regel als die Ausnahme – auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands das nicht mitbekommt.

Es kommt sehr oft vor, dass migrantische Arbeiter:innen am Ende nicht den Lohn gezahlt bekommen, der ihnen bei der Anwerbung versprochen wurde. Dazu kommt, dass die Unternehmen ihnen gerne für alles Mögliche übertriebene Summen abknöpfen: für die Vermittlung des Jobs, für die Wohnung, für den Transport nach Deutschland, für die Beschaffung der Dokumente und so weiter.

Das ist der Normalzustand für migrantische Arbeiter:innen in Deutschland in verschiedenen Branchen. Besonders viele von ihnen arbeiten in der Logistik, im Bau, in der Landwirtschaft, in der Fleischindustrie und in der Industrie. Ein kritischer Sonderfall migrantischer Arbeit ist außerdem die häusliche Pflege, in der vor allem Frauen arbeiten.

Die Ausbeutung aller lohnabhängig Beschäftigten ist die Grundlage des Kapitalismus. Dabei meint der Begriff der Ausbeutung kurz gesagt, dass die Beschäftigten mehr erarbeiten, als sie an Lohn bekommen. Anders würde der Kapitalismus nicht funktionieren, denn anders würden Unternehmen keinen Profit machen können. Der Profit der Unternehmen und die Ausbeutung der Beschäftigten sind zwei Seiten derselben Medaille. Während alle Beschäftigten im Kapitalismus also ausgebeutet werden, werden migrantische Beschäftigte in der Regel vergleichsweise besonders stark ausgebeutet, sie werden überausgebeutet. In Zahlen: Beschäftigte ohne deutsche Staatsangehörigkeit bekommen im Mittel 26 Prozent weniger als Beschäftigte mit deutscher Staatsangehörigkeit – bei Kolleg:innen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea sind es ganze 42 Prozent weniger.

Dass diese Überausbeutung migrantischer Arbeiter:innen möglich ist, gründet darauf, dass Migrant:innen gegenüber den Unternehmen in einer schwächeren Position sind als nicht-migrantische Arbeiter:innen. Gründe für diese verletzliche Position können beispielsweise die folgenden sein: Die Kolleg:innen sprechen die Sprache des Landes noch nicht so gut, sie kennen das Land kaum und sind desorientiert, ihr Aufenthaltsstatus ist an einen bestimmten Arbeitsplatz gekoppelt, die rechtliche Lage allgemein ist für sie als Ausländer:innen unsicherer, sie sind seltener in Gewerkschaften organisiert und integriert, sie haben keine starken sozialen Netzwerke, die sie im Fall von Problemen unterstützen können und so weiter. Solange es in der Wirtschaft um Profit geht, solange der Kapitalismus besteht, werden Unternehmen versuchen die verletzliche Position migrantischer Menschen auszunutzen und sie überauszubeuten. Alles andere würde dem Profit-Interesse der Unternehmen widersprechen und sie in der Konkurrenz mit den anderen Unternehmen schwächen. Der Kapitalismus kann realistisch gesehen nicht ohne diese rassistische Ausbeutung und ohne rassistische Ungleichheit existieren.

Ein wichtiger Aspekt, durch den Überausbeutung migrantischer Arbeiter:innen erleichtert wird, sind die rechtlichen Regelungen zu Arbeit und Arbeitsmarkt. Die jetzigen Arbeits- beziehungsweise Ausbeutungsbedingungen mussten überhaupt erst politisch geschaffen werden. In den letzten 25 Jahren haben SPD, Grüne, CDU und FDP genau das getan. Zentral war und ist dabei die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Prekäre Arbeit bedeutet dabei für die Beschäftigten in der Regel mehr Unsicherheit und schlechte Bezahlung. Für das Kapital bedeutet prekäre Arbeit mehr Profit, da es die Beschäftigten stärker ausbeuten kann und ihre Arbeitskraft flexibler nutzen kann. Beispiele prekärer Beschäftigungsverhältnisse sind Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Minijobs, unfreiwillige Teilzeit und Werkverträge. Durch Werkverträge haben Unternehmen die Möglichkeit den per Tarif vereinbarten Lohn zu unterlaufen, indem sie Arbeit an Arbeiter:innen abgeben, die auf dem Papier für ein anderes Unternehmen arbeiten.

Das Kapital und die politischen Vertreter:innen seiner Interessen haben es geschafft, in Deutschland den größten Niedriglohnsektor Europas aufzubauen. Fast 25 Prozent der Beschäftigten gehören diesem an, bekommen also einen Lohn, mit dem sie kaum über die Runden kommen können. Dieser Niedriglohnsektor in Deutschland ist ein wichtiger Pfeiler der Dominanz des deutschen Kapitals und des deutschen Staates in Europa. Migrant:innen bekommen dabei überdurchschnittlich oft Niedriglöhne. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass migrantische Arbeiter:innen für den deutschen Kapitalismus unerlässlich sind – früher die sogenannten Gastarbeiter:innen, heute vor allem Arbeitsmigrant:innen aus Osteuropa und Geflüchtete.

Gräfenhausen ist also kein Unfall. Es ist ein Beispiel für den schrecklichen Normalzustand, von dem das Kapital profitiert. Die Fahrer nennen als Auftraggeber Unternehmen wie Bosch, Volkswagen, Mercedes, Ikea und Amazon. Aktuell haben manche Fahrer unter anderem Waren von General Electric geladen....
- vollständiger Artikel: https://lowerclassmag.com/2023/04/25/graefenhausen-ist-kein-einzelfall/