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Repräsentativitätsheuristik a.k.a. Propaganda

Alles ist fürchterlich schwierig und widerspricht in dieser Komplexität der schlichten Gut-schlecht-Dichotomie (wer nicht für ist, ist gegen) vieler Talksshows und mindestens ebenso vieler Reden, die mit „Deutsche wollen“ anfangen. Es ist wirklich nicht einfach zu wissen, was gewollt wird. Hält allerdings nur wenige davon ab, zu behaupten, sie wüssten es. Politische Handlungsfähigkeit und normative Verlässlichkeit hängen in dieser Gegenwart wesentlich davon ab, das Komplexe so lange zu reduzieren, bis alles moralisch und faktisch eineindeutig ist.

Von Walter Benjamin stammt die Erkenntnis: „Handeln lässt sich aus vorbehaltloser Bejahung heraus; denken nicht.“ Benjamin ist aber auch schon lange tot. Und gegenwärtig ist vorbehaltlose Bejahung das Gebot der Stunde. Denn es muss gehandelt werden. In dem Buch Die Vereindeutigung der Welt schrieb der Kulturanthropologe Thomas Bauer: „Viele Menschen, denen immer alles erklärt wird und denen eine Welt ohne Geheimnisse, ohne Unerklärbares und Überkomplexes vorgegaukelt wird, glauben schließlich selbst, alles zu verstehen.“ Von da bis zu der Überschrift „Deutsche wollen …“ ist es nur ein winziger Schritt, wenn die Frage: „Was wollt ihr?“ nur schlicht genug formuliert war.

Man könnte es politisch gewünschte Repräsentativitätsheuristik nennen, also die Neigung, verständliche Erklärungen für wahrscheinlich zu halten. An vermeintlich eindeutigen, die Komplexität von Problemen außer Acht lassenden Erklärungen mangelt es nicht. Wenn man die oft genug wiederholt, kann es klappen. Und wenn man dann noch bereit ist, die „unterkomplexen“ Bürgerinnen und Bürger vorzuschieben, wie FDP-Chef Christian Linder mit der Erklärung, warum sein Verkehrsminister die Klimaziele nicht schafft – „es sind die Bürgerinnen und Bürger, die die Klimaziele nicht erreichen“ –, wird es eine Zeit lang sogar funktionieren.
- aus https://www.freitag.de/autoren/kathrin-gerlof/das-gebot-der-stunde-den-krieg-in-der-ukraine-unterstuetzen