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Bürgergeld: Alle Fakten zu Freigrenzen, Regelsatz, Sanktionen sowie Miet- und Heizkosten

  • von Inge Hannemann

Die CDU blockiert also das Bürgergeld – die „größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“, „ein starkes Signal für Sicherheit und mehr Respekt“, wie Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD sich zuvor noch begeistert selbst auf die Schulter klopfte. Ab Januar 2023 soll das neue Bürgergeld eigentlich Hartz IV ersetzen. Am 10. November wurde das Gesetz im Bundestag verabschiedet – doch am 14. November verhinderten die CDU-geführten Bundesländer, dass es den Bundesrat passierte.

Aber worum genau dreht sich eigentlich die ganze Aufregung? Was soll sich tatsächlich ändern im Alltag, und wie viele Menschen betrifft es überhaupt? Eine kleine Übersicht.

1. Wie viele Menschen leben von Hartz IV?

Im Oktober 2022 lebten 5,4 Millionen Menschen von Hartz IV. Davon galten rund 3,8 Millionen als erwerbsfähig. 1,6 Millionen zählten als nicht erwerbsfähig. Dies sind vor allem Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Wer vom Arbeitslosengeld II lebt, wird von den Jobcentern in sogenannte „Bedarfsgemeinschaften“ eingeteilt: Im Juli (neuere Daten liegen vonseiten der Bundesagentur für Arbeit nicht vor) gab es 2,85 Millionen solcher Bedarfsgemeinschaften.

Die größte Gruppe, die Hartz IV bezieht, ist dabei die „Single-Bedarfsgemeinschaft“, bestehend aus alleinstehenden Personen (1,55 Millionen). Jede fünfte Bedarfsgemeinschaft war eine Alleinerziehende mit Kindern (566.000) oder ein Haushalt mit zwei Personen (543.000). Insgesamt lebten ein Drittel Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (1,9 Millionen) mit ihren Eltern oder einem Elternteil in den Bedarfsgemeinschaften zusammen.

Diese Zahlen sind wichtig, um einen Überblick darüber zu erhalten, von wie vielen Menschen gesprochen wird, wenn es um Veränderungen beim zukünftigen Bürgergeld geht. Die monatlichen medialen Arbeitslosenzahlen nennen zumeist nur die Menschen, die arbeitslos sind (also: erwerbsfähig, und dem Arbeitsmarkt gerade zur Verfügung stehend). Das sind laut der Statistik, inklusive statistischen legitimen Rechentricks, knapp 1,7 Millionen Menschen.

2. Wer gilt nicht als „arbeitslos“, bezieht aber Hartz IV?

Die nicht berechneten Arbeitslosen befinden sich oftmals in Trainings- oder Qualifizierungsmaßnahmen, in Elternzeit, in einer längeren Krankenphase, sie pflegen Angehörige oder sie ergänzen ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II.

Im Juli haben 814.000 von 3,8 Millionen Arbeitslosen neben ihrer Arbeitslosigkeit gearbeitet. Somit hat jede fünfte Bedarfsgemeinschaft mit Hartz IV „aufgestockt“. Die meisten davon waren abhängig beschäftigt (752.000). Davon knapp die Hälfte in einem Minijob bis 450 Euro und rund 40 Prozent im Bereich bis 1.300 Euro brutto. 16 Prozent der abhängig Beschäftigten Bedarfsgemeinschaften verdienten mehr als 1.300 Euro brutto. Kurz gesagt, diese Menschen verdienten so wenig, dass ihr Lohn nicht ausreicht und sie mit Hartz IV ergänzen müssen („Ergänzer“).

Die Ampel-Koalition möchte nun mit dem neuen Bürgergeld die Freigrenzen beim Arbeiten etwas erhöhen, sodass ein wenig mehr im Geldbeutel bleibt. Oder anders ausgedrückt: „Damit sich arbeiten lohnt“. Davon würden, wenn die Zahlen vom Juli genommen werden, 293.000 Menschen profitieren. Sie dürfen nämlich zukünftig 30 statt 20 Prozent von ihrem Bruttoeinkommen behalten.

Neu ist, dass Schüler:innen, Auszubildende und Studierende bis 25 Jahre, die neben ihrer Ausbildung oder Schule arbeiten, bis zu 520 Euro monatlich (Minijobbasis) anrechnungsfrei behalten dürfen. Zuvor waren es 100 Euro plus 20 Prozent vom Bruttoeinkommen. Für über 25-Jährige gibt es diese Regelung nicht. Bei einem 520-Euro-Minijob bleiben 184 Euro übrig. Der Rest wird vom Jobcenter angerechnet.

3. Wie viel Euro sind uns die Finanzierung einer menschlichen Existenz Wert?

Eine weitere Veränderung sieht die Erhöhung des Regelsatzes um 53 Euro von 449 Euro auf 502 Euro für eine erwachsene alleinstehende Person vor. Bei den Kindern und Jugendlichen gibt es eine Steigerung zwischen 33 Euro und 44 Euro und in einer Partner-Bedarfsgemeinschaft jeweils 48 Euro.

Diese Erhöhung gleicht gerade mal in Teilen die derzeitige Inflation aus. Die Stromkosten sind mit 40,74 Euro bereits im Regelsatz inkludiert. Ist der Strom teurer, muss dieser aus dem Restregelsatz selbst beglichen werden. Einen Extrazuschlag vom Jobcenter gibt es nicht.

4. Was bedeutet die „Karenzzeit“?

Wie bereits unter dem Sozialschutzpaket I während der Corona-Pandemie seit Ende März 2020 bleibt die Regelung bestehen, dass es eine sogenannte Karenzzeit für das Wohnen und die Prüfung des Vermögens gibt. Das gilt aber nur für Arbeitslosengeld-II-Neuanträge. So soll es für zwei Jahre einen höheren Schutz von selbst genutztem Eigentum und zur Miete genutzten Wohnraum geben. Die Miete und die Heizkosten sollen in diesem Zeitraum in tatsächlicher Höhe übernommen werden, um sich in dieser Zeit auf die Arbeitssuche oder Qualifizierung zu konzentrieren.

Um die eigenen Ersparnisse, auch eventuell für das Alter nicht anzutasten, wurde die Karenzzeit für das Vermögen beschlossen. So gilt ein Schonvermögen von 60.000 Euro für eine Person und für jede weitere Person 30.000 Euro in den ersten zwei Jahren. Diese Summe ist angelehnt an das Wohngeldgesetz, in dem definiert ist, was erhebliches Vermögen ist.

Ursprünglich sollte auch für die Übernahme der Heizkosten eine Karenzzeit gelten. Im Streit mit der CDU strich die SPD diese Regelung jedoch: Auch in den ersten zwei Jahren Bürgergeld werden die Heizkosten nur noch in einer „angemessenen“ Höhe übernommen.

5. Was heißt „Abschaffung des Vermittlungsvorrangs“ und „Förderung der Qualifizierung“?

Galt bisher in den Jobcentern: Arbeit um jeden Preis, soll nun die Qualifizierung, eine Ausbildung und die Beratung auf Vertrauen und Augenhöhe in den Mittelpunkt rücken. Im Oktober waren 1,1 Millionen Arbeitslose ohne abgeschlossene Ausbildung. Knapp 431.000 hatten eine betriebliche oder schulische Ausbildung und rund 90.000 konnten ein Studium vorweisen.

Dass der sogenannte „Vermittlungsvorrang“ abgeschafft wird, ist positiv zu bewerten, solange sichergestellt wird, dass die anvisierten Ausbildungen und Qualifizierungen finanziert werden können und für alle angeboten werden. Dieser Punkt wurde bisher vonseiten der Ampel-Koalition noch nicht so eindeutig kommuniziert, insbesondere, was die Finanzierung betrifft.

Ein Bonus gibt es noch dazu. Wer eine abschlussorientierte Qualifizierung absolviert, erhält monatlich 150 Euro Weiterbildungsgeld. In diesem Rahmen kann nun auch ein drittes Ausbildungsjahr übernommen werden. Wer eine nicht abschlussorientierte Maßnahme, wie etwa einen Sprachkurs besucht, bekommt einen sogenannten monatlichen Bürgergeldbonus in Höhe von 75 Euro. Parallel dazu bleibt der „soziale Arbeitsmarkt“, Beschäftigungen für Langzeitarbeitslose, unbefristet bestehen. Ein Coaching soll Menschen dabei helfen, die keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden, wieder Fuß zu fassen.

6. Welche „Sanktionen“ bleiben beim Bürgergeld, und wen betrifft das?

Die Vertrauenszeit findet sich auch im neuen Kooperationsplan und in den damit verbundenen Sanktionen wieder. Auch, wenn bis zum Juli 2023 ein abgeschwächtes Sanktionsmoratorium besteht, in dem erst beim zweiten Meldeversäumnis eine zehnprozentige Sanktion ausgesprochen werden darf, gelten die Sanktionen als Drohkulisse weiter.

In den Jahren vor der Corona-Pandemie lag die Anzahl der Sanktionen bei durchschnittlich 950.000 pro Jahr. Drei Viertel davon waren Sanktionen wegen Terminversäumnissen. Diese werden mit jeweils zehn Prozent sanktioniert. Maximal dürfen bis zu 30 Prozent des Hartz-IV-Satzes seit Ende 2019 einbehalten werden, wenn zum Beispiel auf einen Vermittlungsvorschlag vom Jobcenter keine Bewerbung erfolgt. Im Jahr 2021 wurden knapp 194.000 Sanktionen durch die Jobcenter ausgesprochen. 2022 waren es in den ersten sechs Monaten bereits rund 250.000 – im Juli 2022 startete dann das Sanktionsmoratorium der Ampel-Regierung.

Auf Sanktionen möchte auch das neue Bürgergeld nicht verzichten. Allerdings gilt in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs eine „Vertrauenszeit“. In dieser Zeit wird nicht sanktioniert. Danach darf wieder bis maximal 30 Prozent der Regelsatz gekürzt werden, wenn die Bedingungen vom Jobcenter oder Termine nicht eingehalten werden. Nicht mehr zulässig ist die Sanktionierung bei den Kosten der Unterkunft.

7. Die „kleinen Erleichterungen“: Bürokratieabbau für die Jobcenter

Für die Jobcenter gibt es Erleichterung in der Bürokratie, da sie bis zu 50 Euro keine Rückforderungen mehr stellen müssen. Zukünftig sollen Anträge digital möglich sein und eine Ortsabwesenheit vom Wohnort soll für alle leichter geregelt werden. Durch den Wegfall der Prüfungen zur Angemessenheit der Wohnung und des Vermögens in den ersten zwei Jahren erhofft man sich hier wertvolle Kapazitäten für die Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen.

Das Bürgergeld soll zwar zum Januar 2023 starten, jedoch nicht auf einmal. So sind kleinere Schritte geplant. Das Weiterbildungsgeld soll ab dem 1. April starten, der Kooperationsplan erst zum 1. Juli.

8. Fördern und Fordern: Das neoliberale Erbe der Schröder-Regierung bleibt uns erhalten

Als die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 Hartz IV einführte, prägte er die Losung: „Fordern und Fördern“. Das Fördern soll mit dem Bürgergeld tatsächlich weiter ausgebaut werden – das Fordern bleibt, was es seit Schröder war: die Erpressung der Leistungsempfangenden und Leistungsberechtigten zum Zwecke ihrer „Mitwirkung“ durch staatliche Drohung mit der Sanktionierung des absoluten Existenzminimums – und damit ein Angriff auf die Würde von 5,4 Millionen Menschen in Deutschland.