Neulich im Internet gefunden (der Text kann frei heruntergeladen werden):
Lisa Göransson, Filip Johnsson: "Ett framtida elsystem med och utan kärnkraft – vad är skillnaden?", (Chalmers, 2023)
In dieser Studie werden drei Szenarien der Stromversorgung in Schweden und Nordeuropa untersucht: Kostenoptimal, mit 6 GW-Atomenergie, 22 GW offshore-Windkraft. Nordeuropa umfaßt in der Studie: Skandinavien, Deutschland, Baltikum, Polen, Benelux, UK. Der simulierte Zeithorizont ist das Jahr 2050.
Die Grundannahme ist, daß für die Klimaumstellung und Elektrifizierung der Gesellschaft der Stromverbrauch sich bis zu diesem Zeitpunkt verdoppeln wird. Weiterhin wird angenommen, daß es eine Klimaerwärmung um 2°C geben wird. Die Stromproduktion Norwegens wird bedeutend anwachsen, in geringerem Umfang auch die Schwedens: 14 TWh /a, bzw. 2 TWh /a.
Ein Ergebnis der Studie ist, daß die Kosten für die Integration der fluktuierenden Windkraft in das Stromsystem niedriger sind als bei dem Ausbau der relativ konstant produzierenden Atomkraft. Die Kernenergie müßte also nach Meinung der Studienautoren gegen die Marktkräfte ausgebaut werden. Dazu kommen die immensen Anfangsinvestitionskosten in Folge der langen Reaktorlaufzeiten. Private Investoren sind kaum in der Lage, das damit verbundene Risiko zu schultern.
Eine weitere Kernaussage der Studie ist, daß der Ausgleich der Fluktuationen der Erneuerbaren Energien durch eine geschickte Kombination von Überführungskapazitäten der Netze und der verschiedenen Energiespeicherarten möglich sein wird. Dazu kommen die Möglichkeiten der Flexibilisierung des Stromverbrauchs.
Der Ausbau der onshore-Windkraft ist auch in Schweden begrenzt, weil nur 4% der Landesfläche dafür zur Verfügung stehen. Bei der offshore-Windkraft sind es dagegen 33%.
Die Elektrifizierung von Transport, Industrie und die Klimaumstellung der Gebäudeheizung wird den Strombedarf in Schweden um 70% erhöhen, in Nordeuropa sind es 65%. Dazu kommt noch der Strombedarf der geplanten Batterieherstellung und die der Zementindustrie mit der dort untersuchten Plasma-Hochtemperaturerwärmung in den Rohröfen. Zusammen sind das 2 + 3 = 5 TWh / a. Für die Stahlindustrie wird Wasserstoff als Reduktionsmittel benötigt. Für die Wasserstoffproduktion der Stahlwerke sind 50 TWh / a notwendig. Für das thermochemische Kunststoffrecycling sind 20 TWh / a erforderlich. Die Speicherung des Wasserstoffs wird nach Prognose in Bergwerksbauten stattfinden. Die Elektolyseure sind vom Typ Alkali. Für die Elektrifizierung der PKWs werden 12 TWh / a berechnet, für die LKWs sind es 13 TWh / a.
Der Mehrbedarf an Strom entfällt zu ca. 60% auf Wasserstoff, für Transport sind es ca 15%, Gebäudeheizung ca. 12%, Industrie sind es ca. 10%
Die Studienautoren weisen auf die Abhängigkeit der Energieinvestitionen von dem internationalen Kapitalmarkt hin. Beispielsweise würde der Ausbau der Kernenergie zu verringerten Investitionen in die Windkraft führen, wodurch trotz der Atomenergie Schweden zu einem Nettoimporteur von Strom würde. Auch würde ein verzögerter Ausbau der erneuerbaren Energie in Schweden zur Verlagerung der Investitionen in andere europäische Länder führen. Umgekehrt würde der Ausbau von 22 GW offshore-Windkraft in Schweden den Ausbau der Windenergie in anderen Ländern verringern.
Weiterhin wird auch im Jahr 2050 die Atomkraft in Nordeuropa mit 15% der Stromproduktion vertreten sein, in Süddeutschland nach Simulation werden sogar jährlich 380 TWh Atomenergie gebraucht (papier-S. 12, pdf-S. 18, Fig. 5). !
Für die Photovoltaik wird festgestellt, daß sie vor allem in Deutschland, Polen, UK eine Rolle spielen. Die Energiespeicherung durch Batterien ist Teil der Photovoltaik-Technik, eignet sich nicht aber für WKAs. In dem Kernkraft- oder offshore-Szenario ist für Photovoltaik in Schweden praktisch kein Bedarf.
Im Ergebnis der Simulation ergibt sich, daß in Südschweden im Mittel der Strompreis bei 3.3 Cent / KWh liegt (Kostenoptimiert), bzw. bei 2.4 Cent / KWh (Atom oder offshore). Allerdings sind über 85% der Zeit die Preise niedriger: 1.3 - 1.5 Cent / kWh.
Die drei Szenarien setzen erhebliche Speicherkapazitäten voraus. Im Basisszenario ca. 550 GWh, knapp die Hälfte davon H2. Mit 9 GW-Atom verringert sich der Bedarf für H2-Speicherung um ca. 1/3, derjenige für Wärmespeicherung um ca. 1/2. Mit 22 GW offshore bleibt der H2-Speicherbedarf ca. gleich, derjenige für Wärme verringert sich um ca. 1/3. (Schweden).
Wenn ich die Balkendiagramme in Fig. 5, S 12 / 18 richtig ablese, dann gilt für Deutschland nach Simulation im Jahr 2050:
Süd-DE: 380 TWH Atomenergie, 100 TWh onshore-WKA, 220 TWh offshore-WKA, 10 TWh Solar, Biogas vielleicht 5 TWh. Zusammen ca. 725 TWh
Nord-DE: 0 TWh AKW, 170 TWh onshore-WKA, 180 TWh offshore-WKA, Solar 5 TWh, Biogas vielleicht 5 TWh. Zusammen ca. 360 TWh
Zusammen 725 + 360 = 1085 TWh, ca 50% mehr als 2022. Demnach ist DE-Süd zu entwa 50% von Atomstrom abhängig, Gesamtdeutschland ca. 1/3. In Gesamtnordeuropa 15%.
In den drei betrachteten Szenarien stehen Wind- und Solarkraft für ca. 75 % der erzeugten Elektroenergie in Nordeuropa. Weiterhin geht aus der Studie hervor, daß die Energiewende in DE, UK, Irland, DK von dem Ausbau der offshore-Windkraft abhängt.
Die Netzstabilisierung baut traditionell auf dem Vorhandensein der Trägheitsmomente, der Rotationsenergie der großen Turbinen-Generator-Einheiten auf, die sich in den fossilen und nuklearen Kraftwerken befinden. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen muß die unabdingbare Netzstabilisierung durch Modifikation der Solarumrichter und der Leistungselektronik der WKAs bereitgestellt werden. In der Studie wird erwähnt, daß sich international ein Markt für diese Frequenzstabilisierung-Dienstleistungen entwickelt: unter anderem in UK, Irland, Australien, in Ansätzen auch in Schweden. Die Leistung der Netzstabilisierung wird zukünftig monetarisiert und am Markt gehandelt.
Energiespeicherung: Auswahl der Technik orientiert sich an der Seltenheit der Ereignisse. Seltene Ergeignisse wie langanhaltende Windflauten werden zweckmäßig mit Speichertechniken begegnet, die niedrige Investitionskosten, aber u.U. geringe Wirkungsgrade und hohe Kosten für die Speicherzyklen haben. Haufig auftretende Fluktuationen sollten mit Speichertechniken begegnet werden, die geringe Zykluskosten und einen hohen Wirkungsgrad haben. Die Investitionskosten sind dabei zweitrangig.
Solarkraft paßt gut zu privaten, dezentralen Batteriespeichern und dem flexiblen Aufladen der Autobatterien. Dagegen WKA eher zu großen, zentralen Wärme- und Wasserstoffspeichern.
Eine weiterer Aspekt bei der Dämpfung von Produktionsfluktuationen ist die Bereitstellung von Kapazitätsreserven in der Stromproduktion, vor allem durch Gasturbinen. Die Vergütung der Bereitstellung dieser Kapazitäten muß finanziell noch geklärt werden.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, daß mit der Ausbau der Kernenergie das ursprüngliche Preisniveau auf dem Strommarkt vor der Marktliberalisierung nicht erreicht werden kann.
Die Studienautoren weisen darauf hin, daß der Ausbau der Windkraft international konkurrenzbehaftet ist. Ein Land mit schleppenden Genehmigungsverfahren wird für Investionen in die Windkraft unattraktiv. Im Ergebnis ist zu befürchten, daß die Erweiterung der Stromerzeugung stockt und das Land schließlich von Stromimporten abhängig wird.
Einige Daten aus dem Anhang der Studie
(Investkosten || variable Betriebskosten || feste Betriebskosten || Lebensdauer)
Windkraft-onshore: >1000 Euro / KW || 0.11 Cent / KWh || 1.3 Cent / KW || 30 Jahre
Windkraft-offshore: 1750 Euro / KW || 0.11 Cent / KWh || 3.6 Cent / KW || 30 Jahre
Kernenergie: 4000 Euro / KW || 0.71 Cent / KWh || 12.3 Cent / KW || 60 Jahre
CCS: 3500 Euro / KWh || 0.21 Cent / KWh || 10.7 Cent / KW || 40 Jahre
Speichertechnik Investitionskosten:
LI-ion (Energie): 80 Euro / KWh || 25 Jahre
LI-ion (Leistung):70 Euro / KW || 25 Jahre
Elektrolyseur: 400 Euro / KW || 20 Jahre
Brennstoffzelle: 500 Euro / KW || 10 Jahre
Wasserstoff: 11 Euro / KWh || 40 Jahre
Wärme (Wasser): 3 Euro / KWh || 25 Jahre