Neulich im Internet entdeckt (der Text kann frei heruntergeladen werden):
Samuel Neuman Bergenwall: "Mellanösternprojektet. Israeliskt militärt tänkande: från gräsklippning och gråzonsoperationer till storkrig",(FOI,2024)
Der Autor stellt fest, daß die Region Naher Osten zunehmend in Kriege verwickelt ist: Syrien, Westbank, Iran, Israel, Irak, Jemen, inklusive die internationale Schiffahrt. Die Großmächte werden in die Auseinandersetzungen einbezogen.
Die Studie fokussiert weniger auf die innenpolitischen Triebkräfte, in der israelischen Militär- und Sicherheitspolitik, sondern vor allem auf die miltärstrategischen Überlegungen und Debatten innerhalb des "Sicherheitsetablishment" aus ideengeschichtlicher Perspektive.
Die israelische Sicherheitsdokrin baut auf vier Prinzipien auf: Abschreckung, rechtzeitige Warnung, militärische Entscheidung und Verteidigung der Heimatfront. Seit der Staatsgründung sind die folgenden Sicherheitsdoktrinen formuliert worden:
Ben-Gurion-Doktrin:
Sicherheit durch Abschreckung durch eine qualitativ militärtechnologische Überlegenheit. Akzeptiert, daß absolute Überlegenheit nicht möglich ist. Vielmehr sollte die Zeitspanne zwischen militärische Krisen / Konflikten möglichst lang sein. Bedeutung von Geheimdiensten, und Anwendung von Gewalt auf fremdem Territorium. Im Konfliktfall werden militärische Siege angestrebt. Dazu kommt die militärische Abwehr von feindlichen Angriffen, z.B durch Raketenabwehr.
Die Ben-Gurion-Doktrin entstand in den ersten Jahren nach der Staatsgründung und reflektierte, daß die geringe Staatsfläche keine ausgedehnten Bodenkämpfe auf eigenem Territorium möglich macht. Die Doktrin zielt deshalb darauf, kriegerische Auseinandersetzungen auf das Feindterritorium zu verlagern, und die Eroberung fremden Territoriums, gebenfalls als Verhandlungsmasse.
Israel entsprach dieser Doktrin durch eine allgemeine Wehrpflicht und die Idee der 'Nation unter Waffen'. Mit den Territorialgewinnen Entspannung der Lage; auch durch die veränderten Beziehungen zu einigen arabischen Staaten, und weil die Zusammenarbeiten mit westlichen Staaten ausgebaut wurde, v.a. den USA.
Begin-Doktrin:
Israel strebt das Kernwaffenmonopol in der Region an. Versuche anderer Regionalstaaten, eigene Kernwaffenfähigkeiten aufzubauen, werden durch gezielte Militäraktionen und Mordanschläge gestört. Der Besitz von Atomwaffen wird von Israel weder bestätigt, noch dementiert; gilt jedoch als fast gesichert.
Merido-Report:
Es wird vorgeschlagen, der Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kosteneffizient durch hochtechnologische Waffen zu begegnen, entsprechend der abnehmenden Bedeutung konventioneller militärischer Bedrohungen. Aus dieser eher optimistischen Sicht wird auch der Rückzug aus Gaza und dem Südlibanon vorgeschlagen. Dahinter steht der Übergang von symmetrischen zu asymmetrischen militärischen Konflikten.
Rabin-Doktrin:
Israel sah sich wiederholt Geiselnahmen ausgesetzt, um politische Forderungen durchzusetzen. Mit der Rabin-Doktrin werden Geiselnahmen nach Möglichkeit gewaltsam beendet, ohne Rücksicht auf eigene oder fremde Opfer. Verhandlungen nur als letzter Ausweg. In der Folge kam es oft zu Geiselentführungen, wodurch die Rabin-Doktrin weitgehend ins Leere läuft.
Mabam-Operationen und 'Rasenschneiden':
Mit gezielten Militäraktionen und verdeckten Mordanschlägen auf fremdem Territorium sind die Herausforderungen durch nichtstaatliche Akteure zu begegnen. Vielfach unter Einsatz der Luftwaffe. Diese Doktrin setzt eine exzellente Geheimdienstarbeit voraus. Es wird dabei möglichst unterhalb der Schwelle zu einem Krieg agiert. In Israel wurde kritisiert, daß dabei die konventionellen Bodentruppen und deren Modernisierung vernachlässigt werden. Ein früherer israelischer Armeeschef glaubte in dieser Doktrin ein Modell für andere Staaten erkennen zu können [!!!].
Mit Mabam und 'Rasenschneiden' wird dem Erstarken von Milizen in Syrien, Irak, Libanon, Hamas, Hizbollah, globaler Jihadismus Rechnung getragen, auch vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Iran und der waffentechnisch besseren Ausstattung der Milizen.
Dahiyad-Doktrin:
Bekämpfung nichtstaatlicher Akteure in einer zivilen Umgebung. Zerstörung ziviler Infrastruktur, auch als Abschreckung. Dörfer oder ganze Staaten, die feindlichen Kräften Unterschlupf oder Unterstützung geben, sind gemäß dieser Doktrin von Zerstörung (der Infrastrukur) bedroht. Ziel der Doktrin ist es, die Zivilbevölkerung dazu zu bringen, sich gegen die Terroristen zu stellen.
Die Dahiyad-Doktrin ist nicht offiziell. Der Name bezieht sich auf einen Vorort von Beirut, der in einem früheren Libanon-Krieg von Israel verwüstet wurde, und wo das Hizbollah-Hauptquartier lag. Der Begriff ist von Journralisten geformt. Von manchen Beobachtern wird vermutet, daß die Dahiyad-Doktrin in Gaza zur Anwendung kommt.
(strategische) Autonomie und Sicherheitszusammenarbeit: In der Anfangszeit strebte Israel militärische Autonomie an. Später kam die Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit, Geheimdienste, Waffentechnologie, Waffenkäufe hinzu. Mit den USA wurden einseitige militärische Beistandsabkommen geschlossen. Und mit moderaten arabischen Staaten Abkommen über Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten.
Mit den genannten Dokrinen paßte Israel sich über Jahrzehnte veränderten äußeren Rahmenbedingungen an. Der Studienautor weist auf die äußere und innere Legitimation hin. Die Zusammenarbeit mit (westlichen) Staaten wird von der öffentlichen Meinung und deren Sicht auf die israelischen Militäraktionen beeinflußt, besonders hinsichtlich des internationalen humanitären Rechts. In Israel selbst werden zivile und militärische Verluste ebenfalls beobachtet und beeinflussen die politische Stimmung.
Die Entstehung der Doktrinen sind vielfach von Kontroversen im israelischen Sicherheitsapparat begleitet worden, aber auch zwischen dem Sicherheitsapparat und der Politik.
Der Autor weist darauf hin, daß mit Netanyahu nach dem 7.10.24 Israel sich wieder auf eine mehr autonome Sicherheitsstrategie zurückzieht und Formen der konventionellen Kriegsführung ausbaut. Militärische Entscheidungen werden selbstständig und unabhängig von z.B. den USA getroffen. Die Wiederherstellung der Abschreckung wird vorangetrieben, die Leistungsfähigkeit der israelischen Geheimdienste vorgeführt.
Zu der veränderten Sicht auf den Einsatz von Bodentruppen in einer eher konventionellen Weise paßt auch die Ansage von B. Netanyahu, die Machtbalance im Nahen Osten für viele Jahre verändern zu wollen. Der Studienautor vermutet dabei einen Paradigmawechsel der israelischen Sicherheitspolitik.
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