Neulich im Internet entdeckt (der Text kann frei heruntergeladen werden):
Pär Holmberg, Thomas P. Tangerås: "En teknikneutral elmarknad – med en effektiv elmarknadsdesign och nättariffstruktur", (SNS, 2023)

Vorgeschlagen wird, daß Produzenten und Verbraucher Störungen, u.a. durch Fluktuationen in Verbrauch und Produktion verursacht, bezahlen sollen. Produzenten von Stabilierungsleistungen sollten dagegen bezahlt werden. Ein Plädoyer für Technikneutralität: keine Bevorzugung oder Benachteiligung von Technologien aus ideologischen Gründen.

Mit den Erneuerbaren nimmt der Anteil fluktuierender Stromerzeugung zu, was zunehmend ein Problem für den Ausgleich Produktion - Verbrauch ist. Die Erneuerbaren stellen gegenwertig keine Blindenergie zur Stabilisierung bereit. Deshalb sollte ein Markt für Blindenergie geschaffen werden.

Die Hauptstromrichtung verlagert sich von Nord/Süd nach West/Ost, weshalb ein Netzausbau erforderlich ist. Es wird zunehmend schwieriger, die EU-Regel zu erfüllen, wonach mindestens 70% des Stroms über die Börse gehandelt werden soll. Besonders Großstädte sind von Netzengpässen betroffen.

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren wächst das Interesse an der Produktion von Blindleistung. Neben der klassischen Lösung über die rotierenden Wellen großer Kraftwerke gibt es noch die Verfahren Synchronkompensatoren, STATCOM und SVC. Durch eine geringe Leistungsreduktion könnten WKAs möglicherweise billig genügend Blindleistung erzeugen. S. Qvist schätzt, daß 240 TWh erneuerbare Stromproduktion für 900 Mio Euro mit der erforderlichen Blindleistung versehen werden könnte.

In Tabelle 1 finden sich Angaben über die Zyklusverluste und Ansprechzeiten der Energiespeicher: Schwungmasse 1ms, Lithium 1s, beide Wirkungsgrad ca 90%. Wasserstoff-Brennstoffzelle 10 - 600 s, Wasserstoff-Gasturbine 1000s. Beide 30 - 35% Wirkungsgrad. Batteriespeicher könnten eine billige, zeitweilige Alternative für Netzausbau sein.

Nach Schätzungen würde die komplette Umstellung auf e-Mobilität Speicher über 114 TWh zur Verfügung stellen, was theoretisch den Landesbedarf über einige Stunden decken würde. Problem dabei die Steuerung & Vernetzung der Ladeeinrichtungen.

Wasserstoffspeicher können über längere Zeit speichern, jedoch mit bescheidenem Wirkungsgrad. Für die Industrie ist Wasserstoff essentiell. Die Nachfrageflexibilität kann ebenfalls zur Netzstabilisierung genutzt werden, ca 20 - 25%, setzt jedoch erhebliche finanzielle Anreize voraus, etwa mit Strompreisen aus dem Krisenjahr 2022.

Die Verbrauchsflexibilität könnte durch frequenzgesteuerte Verbrauchsgeräte, wie Kühlschränke oder Ladeeinrichtungen erhöht werden. Um das zu unterstützen, könnten solche Geräte subventioniert werden. Oder auch durch die Nutzung von zeitlich hochauflösenden Stromzählern, um auf Preissignale reagieren zu können.

Strompreiszonen: In Norwegen, Schweden, Dänemark, Italien. Nachteil: Die Absicherung von Strompreisen durch Finanzunternehmen wird durch die eingeschränkte Liquidität im Tarifgebiet erschwert. Eine Lösung wäre, daß Tarifgebiete mit Über- und Unterschuß vernetzt, und in beiden Gebieten die Strompreise abgesichert werden.

Innerhalb zu großer Tarifgebiete kann es zu Gegenden mit Unter- und Überproduktion kommen. "mothandel" [Gegenstromhandel?]: Der Netzbetreiber versucht eine Ausgleichsstrategie, indem im Gebiet mit Unterversorgung den Produzenten Prämien zuzüglich des Börsenpreises gezahlt wird; und in Gegenden mit Überschuß wird Strom gekauft.

Problem mit "mothandel": Produzenten nutzen einen Arbitrage-Effekt, indem sie Strom gegen Prämie teuer verkaufen, und anschließend billig zurückkaufen. Lösung: kleinere Tarifgebiete. Autoren schlagen alternativ vor, das Tarifgebiet durch Ausweitung der Prämien auf bereits gelieferten Strom zu differenzieren.

Bei einer gebietsinternen Netzüberlastung sollte eine variable Komponente auf den Strompreis aufgeschlagen werden, um damit die Netzentlastung zu finanzieren und Arbitrage-Probleme zu vermeiden.

In den USA gibt es großes Interesse an diesen Arbitage-Gewinnen. Deshalb beziehen sich dort die Strombörsen häufig nicht auf Tarifgebiete, sondern auf Netzknoten.

Mit dem Stromtransport über Tarifzonen hinweg werden Strukturproblem des Stromsystems sichtbar. Die Börsenstromdifferenz zwischen Tarifgebieten fällt nach den EU-Regeln dem Netzbetreiber zu, der diese Einnahmen zur Stabilisierung und zum Netzausbau verwenden soll. Bei zu großen Tarifgebiete werden Netzengpässe unsichtbar gemacht.

Die Strombörsen arbeiten gegenwärtig weltweit fast ausschließlich nach dem Prinzip der Grenzkosten. Nachteil: Bei mangelndem Angebot schießen die Preise nach oben. Vorteil: auch kleinere Anbieter können mit ihren operativen Kosten in den Markt eintreten. Die Handelsspanne der nordischen Börse liegt bei gechätzt 4%.

Akteure des Strommarktes müssen bei Verletzung ihrer vertraglichen Pflichen die entstehenden Kosten für die Bereitstellung der Regelenergie tragen, mFFR. Die Kosten für andere, kurzzeitige Störungen, FFR, FCR, aFFR, und der Netzfrequenz werden pauschalisiert den verantwortlichen Akteuren aufgeschlagen. Von den Autoren wird jedoch angeregt, daß im Interesse der Technikneutralität eine zielgenaue Zuordnung zu den Verursachern angestrebt werden sollte.

Durch den Ausfall großer Produktionseinheiten, z.B AKW, können schwerwiegende Störungen entstehen. Es werden deshalb Reservekapazitäten vorgehalten, die den Ausfall der größten Einheit noch ausgleichen können.

In Schweden wird tagsüber in der Winterzeit eine Zusatznetzgebühr erhoben, die sich an der Produktionsleistung orientiert. Für die Bereitstellung von Blindleistung sollte ebenfalls eine Gebühr erhoben werden.

Symmetrische Stromtarife könnten vorteilhaft sein. Wenn Verbraucher mit variablen Tarifen zeitweilig mehr bezahlen, dann sollte der Produzent davon profitieren. Dadurch werden Anreize beseitigt, an der Strombörse vorbei zu handeln oder unsinnige Investitionen in Speichertechnik zu unternehmen.

Die Absicherung von Strompreisen verbessert die Planungssicherheit. Der Staat sollte seinen Strombedarf über einige Jahre absichern, um damit die Erwartungen über die zukünftige Preisentwicklung transparent zu machen. Schweinezyklen im Stromsystem könnten damit vermieden werden. Auch wird dadurch das Risiko von temporär krisenhaft überhöhten Strompreisen gemindert, und Panikreaktionen, v.a. des Staates, vermieden.

Kapazitätsmarkt: Die Produzenten erhalten neben den Erlösen durch Stromverkäufe zusätzlich Geld für die Bereitstellung der Erzeugungskapazität. Nachteil: der Staat neigt dazu, zu viel Kapazität auszuschreiben und überschätzt die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher, unterschätzt dagegen die Möglichkeit von Stromimporten und Marktflexibilität

Kapazitätsmärkte profitieren von einem unflexiblen, prognostizierbaren Verbrauch und einer planbaren Produktion. Jedoch gibt es die Tendenz, daß zu Krisenzeiten die vorgesehenen Kapazitäten nicht zur Verfügung stehen, und daß bei schwacher Konkurrenz die Kapzitäten bei den Ausschreibungen zu überhöhten Preisen gehandelt werden.

Weitere Nachteile eines Kapazitätsmarktes ist der große Bürokratieaufwand und das Risiko, daß die Einnahmen der Netzbetreiber gefährdet werden, die normalerweise durch den Stromtransport zwischen den Tarifgebieten generiert werden.

Ein "energy-only-market" [nur verkaufter Strom bringt Geld] hat dagegen den Vorteil, daß bei Stromengpässen und hohen Preisen die Produzenten interessiert sind, mit ihrer Produktion Geld zu verdienen. Zusätzliche Option: Reservekraftwerke, die normalerweise nicht produzieren und so den "energy-only-market" auch nicht stören.

Die Autoren plädieren dafür, daß der Staat nicht aus ideologischen oder fiskalischen Gründen bestimmte Technologien bevorzugt oder behindert. Technikneutraltät wird so verstanden, daß die marktmäßigen Stärken verschiedener Technologie genutzt werden sollten, um eine optimale Ressourcenallocation herbeizuführen.

#sverige #schweden #deutschland #tyskland #el #strommarkt #klimatomställning #energiewende

1