Hanns Dieter Hüsch

*6. Mai 1925 †6. Dezember 2005

Ich bin ein deutscher Lästerer

http://www.youtube.com/watch?v=S0SwV88FMRY

»Ich habe mich von Kindesbeinen an zu einem deutschen Lästerer entwickelt

Ich habe meinen deutschen Laufstall nicht verlassen

Ich habe schon mit einem Jahr gesprochen

Ich habe schon mit vierzehn Monaten einen guten Eindruck gemacht

Ich habe schon mit 36 Monaten mir meinen Scheitel selbst gekämmt

Ich habe niemals Obst gegessen, wenn es nicht vorher stundenlang gewaschen war — wer weiß, durch wieviel Hände dieser Apfel schon gegangen ist

Ich habe in der Schule meine Butterbrote immer aufgegessen

Ich habe im Kindergottesdienst immer ausgesehen wie ein Schaf

Ich habe meine deutschen Bleyle-Hosen bis zum »gehtnichtmehr« getragen

Ich habe als Sextaner zur Oberprima aufgeschaut

Ich habe als Primaner Professoren für die Allergrößten gehalten

Ich habe mich dann geistig auf dem laufenden gehalten

Ich habe mich dann musisch auf dem laufenden gehalten

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich ein internationaler Mauschler bin

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein Volk wie eine Art Familie ist

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß es Gott doch gar nicht gibt

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß es Gott doch gibt

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein deutscher Soldat mehr wert ist als ein russischer Soldat

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein deutsches Kind biologisch viel höher steht als ein Zigeunerkind

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich ein weltfremder Idiot bin

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich doch mal zum Friseur gehen soll

Sie könnten sich auch mal die Haare schneiden lassen

Sie haben wohl kein Geld, zum Friseur zu gehen

Sie haben wohl wieder Ihre Trotzphase

Sie dürften mein Sohn nicht sein

Mit solchen Haaren

Ich müßte Ihr Chef sein

Mit solchen Haaren dürften Sie mir nicht kommen

Was sagen denn Ihre Eltern dazu

Bei Adolf hätten Sie so nicht herumlaufen können

Sie meinen wohl noch, das wäre schön

Würden Sie mir bitte einen Kamm kaufen

Ich kann Ihnen ja nichts sagen: Das ist diese Demokratie

Das ist ja dieser amerikanische Einfluß

Wenn ich Ihr Vater wäre, ich würde Sie mit einer Heckenschere in die Mache nehmen

Wir sind auch mit kurzen Haaren groß geworden

Das ist doch alles diese Überfremdung

Ein Jahr Arbeitsdienst und die Haare wären weg

Das ist doch wohl ganz einfach eine Sache des geringsten Anstands

Ihr Friseur hat sich wohl den Arm gebrochen?

Ihnen ist wohl gleichgültig, wie Sie aussehen?

Die Haare kann man sich doch wenigstens schneiden lassen

Wir hätten so nicht vor unseren Lehrer treten können

Ich kann Sie mit meinem Wagen rasch zum Friseur fahren

Ich habe mir dann sagen lassen müssen

daß Gottes Mühlen langsam mahlen

daß der gesunde Menschenverstand immer noch die Richtschnur ist

daß ich nicht soviel rauchen soll

daß eine deutsche Frau in erster Linie Mutter ist

daß die moderne Kunst krankhaft ist

daß ich Vater und Mutter ehren soll

daß schon der geringste Anstand verlangt, zuerst Deutscher und dann Mensch zu sein

daß ich nicht alles negativ sehen soll

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich indifferent bin

daß ich einen zu einseitigen Standpunkt habe

daß ich gar keinen Standpunkt habe

daß ich doch gleich nach Moskau gehen soll

daß ich ein Kleinbürger bin

daß ich verwahrlost bin

daß ich dafür zu jung bin

daß so die Freiheit nicht aussieht

Daß ich gerade gehen soll

daß ich konsequent sein soll

daß ich in eine Partei gehen soll

daß ich meine Butterbrote aufessen soll

daß ich auch mal zum Friedhof gehen soll

daß ich nicht ungewaschenes Obst essen soll

daß ich einen guten Eindruck machen soll

daß ich wieder wie ein Kind werden soll

daß ich wieder in meinen Laufstall soll

daß ich den Mund halten soll

daß ich meinen deutschen Laufstall nicht verlassen soll.

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#HannsDieterHüsch #Satire #Kabarett #Niederrhein

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