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Auszug aus Étienne Balibar: Das kommende Volk (1/2): Rechtsunion vs. Volksfront
Der französische Philosoph schreibt in seinem Aufsatz über die französische Situation. Was der Auszug wiedergibt betrifft aber die gesamte Linke in Europa, die durch den aufkommenden Faschismus bedroht ist.
Die Politik der Linken erscheint, obwohl sie sich auf sinnvolle demokratische, sozialistische, kommunistische und ökologische Prinzipien beruft, immer noch grundsätzlich defensiv: Defensiv gegenüber der »neoliberalen« Politik der Zerstörung von Arbeitsrechten und Schutzmaßnahmen, defensiv gegenüber der direkten oder indirekten Privatisierung oder Zerschlagung öffentlicher Einrichtungen, defensiv gegenüber der Kommerzialisierung der Kultur, defensiv gegenüber den »atypischen«, dem Finanzkapitalismus inhärenten Formen der Wirtschaftskrise, defensiv sowohl gegenüber der Globalisierung als auch gegenüber den populistischen und nationalistischen Reaktionen, die diese hervorruft. Defensiv vielleicht vor allem gegenüber den »Katastrophen«, die den Horizont verdunkeln, von der Klimakatastrophe über die digitale Revolution bis hin zur Rückkehr des Krieges. Denn jede dieser Katastrophen verstrickt die Linke in Dilemmata, für die sie keine Lösung parat hat (wie das Dilemma zwischen Degrowth und der Verringerung der Ungleichheit), und führt sie in Interessen- und Grundsatzkonflikte, die Hindernisse für das Projekt darstellen und der Aktionseinheit ihre historische Grundlage entziehen, die die Politik umzusetzen und zu festigen versuchen würde. Ein Name allein ändert daran nichts, es sei denn, er beschwört noch unbemerkte Potenziale der Situation herauf, die es ans Licht zu bringen gilt. [...]
Wir müssen einerseits die defensive ideologische Position in eine offensive Position umkehren, die nicht nur aus republikanischen Reflexen oder Antworten auf die Gefahr besteht, sondern aus echten Projekten, die eine »Handlungsmacht« – genauer: die die Macht des Gemeinsamen selbst – freisetzen, und die das Regime der Befürchtungen und Hoffnungen von Grund auf neu organisieren. Andererseits müssen wir das noch virtuelle »Volk« finden, das sich diese Projekte zu eigen macht, die Sprache erschaffen, in der es seine gemeinsamen Interessen und vor allem seine Differenzen und Konflikte diskutieren kann, um die historisch geerbten Antagonismen und Meinungsverschiedenheiten der Gegenwart zu überwinden. Denn nur, wenn es die »Streitigkeiten«, die es von sich selbst trennen, aufarbeitet und so weit wie nötig zu den Ursachen des Konflikts zurückgeht, wird das heute »fehlende«, aus heterogenen und einander beinahe fremden Massen bestehende Volk seine Einheit und seine politische Identität finden. Das »Volk« der Volksfront ist nicht gegeben, in gewisser Weise lässt sich sogar behaupten, dass es nicht existiert, es noch im Kommen ist.
- in deutsch: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183372.frankreich-volksfront-oder-kartell-der-linken-das-kommende-volk.html
Original @ https://aoc.media/analyse/2024/06/24/le-peuple-a-venir-1-2-union-de-la-droite-vs-front-populaire/
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