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Die Impfpflicht ist eine Bankrotterklärung

Hätte sich die Regierung früh genug um das Boostern und die globale Impfstoffversorgung gekümmert, hätte man diese Situation verhindern können. Bürger zur Spritze zu zwingen, ist das letzte Mittel – und gefährlich für die Demokratie (von Elsa Koester)

Jetzt kommt also der Olaf Scholz, oberster Pragmatiker, und regelt das: Impfpflicht. Erst soll der Bundestag sie für das medizinische Personal beschließen, im Februar dann für alle. Keine roten Linien. Tun, was getan werden muss. Bestimmt finden das viele gut – auch und gerade all die Zögerlichen, Trägen, Trotzigen: Grummel, na gut, dann mache ich das halt. Endlich nimmt mal jemand das Zepter in die Hand. Jetzt wird regiert. Dabei bedeutet die Impfpflicht das Scheitern jeden Regierens.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sehe es ein. Womöglich ist eine Impfpflicht in dieser Situation nicht mehr zu vermeiden. Einen weiteren Lockdown kann man den Kindern gewalttätiger Eltern, den Cafébesitzern, Restaurantangestellten und Kurzarbeiterinnen nicht antun. Schimpfen Sie mich ruhig ultraliberal, aber ich finde trotzdem: Der Staat sollte niemanden zwingen, sich ein Serum in den Körper zu pressen. Wir sind schließlich keine Untertanen. Sondern Bürgerinnen. Was ich also vorschlage?

Ich schlage vor, dass der Staat lernt, wirklich souverän zu handeln. Seine Aufgabe ist nicht, seinen zwei Kindern, die sich darum kloppen, ob das eine sich nun eine Spritze reinjagen oder das andere zu Hause bleiben muss, die Entscheidung abzunehmen. Der Bundeskanzler ist nicht Papa Scholz. Der Bundeskanzler ist Regierungschef. Er koordiniert und verantwortet die Aufgabe, die Bedürfnisse der Bevölkerung so zu organisieren, dass die Geschwister gar nicht erst die Prügelei anfangen. Das Zauberwort nennt sich Daseinsvorsorge.

Da-seins-vor-sorge: die staatliche Aufgabe, alle Güter und Leistungen bereitzustellen, die für ein menschliches Dasein notwendig sind. Ein vor-sorgender Staat hätte so einiges tun müssen. Er hätte bereits im Juli Impfteams in die Pflegeheime losschicken und alle Bürgerinnen zur dritten Impfung einladen müssen. Er hätte die Patente für die Impfstoffe freigeben müssen, damit die Bevölkerung im Globalen Süden geimpft werden kann – aus postkolonialer Verantwortung für die Weltgemeinschaft und um das Risiko gefährlicher Mutationen zu verringern. Er hätte Krankenhäuser subventionieren müssen, um sie vom Kostendruck des „Wettbewerbs“ im Gesundheitssystem zu befreien. Er hätte auf diese Weise vielleicht Vertrauen gewonnen, das ihm jetzt bei bis zu 30 Prozent der Bevölkerung fehlt.

Das alles haben unsere Regierungen nicht getan. Sie haben sich geweigert, für unser Dasein vorzusorgen. Warum? Weil es Geld gekostet hätte, wirklich vorsorgend zu handeln. Dafür hätte investiert werden müssen. Die Regierungen der vergangenen zwanzig Jahre haben nicht investiert, sondern gespart. Und die Ampel? Sie plant – zaghaft – Investitionen. Die Pflege soll unterstützt werden, ein Personalschlüssel eingeführt, Krankenhausplanung und Gesundheitsdienste reformiert. Das klingt alles noch sehr vage, und das ist es auch. Die Frage, wie souverän ein Kanzler Scholz ist, wird sich daran messen, was seine Regierung hier umsetzt. Ganz pragmatisch.

Zugegeben, für die aktuelle pandemische Lage nützt all diese Kritik an bisherigen Versäumnissen wenig. Doch es gibt noch immer Alternativen zur Impfpflicht. Eine Pflicht zur Impfberatung etwa, mit anschließender Möglichkeit zur Impfung. Auf diese Weise lässt die Staatsgewalt ihre Finger von jenem Teil ihres Hoheitsgebiets, in dem sie nichts zu suchen hat: den Körpern seiner Bürger. Zwingt er sie aber, statt sie zu lenken, stellt sich die Frage: Wie stark radikalisieren sich Menschen, wenn ihnen ein Serum in den Körper hineingezwungen wird, das sie als giftig erachten?

Mehr: Warum uns eine Impfpflicht in diesem Corona-Winter nicht helfen wird