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Begriffsklärung: Warum der Begriff "Banderismus" falsch und der ukrainische Nationalismus toxisch ist:

Rotlicht: Banderismus

Die Ideologie des ukrainischen Nationalismus, die Bandera übernahm, war schon eine Generation früher entstanden und suchte die ideologische Allianz mit dem Faschismus. Von Reinhard Lauterbach

Die Bezeichnung »Banderismus« ist in mehrfacher Hinsicht falsch: Sie entstammt dem kulturellen Kontext des hochgradig personalisierten politischen Diskurses der Stalinschen Sowjetunion, der seine Feindbilder gern personenbezogen definierte. Stepan Bandera (1909–1959), nach dem die Bewegung ihre Bezeichnung bekam, hat sich im Rahmen des ukrainischen Nationalismus nie als Ideologe betätigt, sondern stets eher praktisch als Organisator und Propagandist gewirkt. Das Programm des ukrainischen Nationalismus, das Bandera als junger Mann für sich übernahm, war schon eine Generation früher von Ideologen wie Dmitro Donzow (1883–1973) formuliert worden. Die waren es auch, die den ukrainischen Nationalismus in den 1920er Jahren auf eine ideologische Allianz mit dem Faschismus einschworen, zunächst in seiner italienischen Spielart, später auch in der deutschen.

Kernelemente dieser Ideologie waren die Überzeugung, dass der ukrainischen Nation auf ihrem Gebiet der Vorrang gebühre und dass sie sich von allen Einflüssen ihrer Nachbarkulturen – insbesondere der russischen und der polnischen – emanzipieren müsse. Die Befreiung der Ukrainer könne nur ein Akt der Gewalt sein, und die Bewegung brauche daher eine autoritäre Binnenstruktur nach dem Führerprinzip. Auch militanter Antisemitismus gehörte zum Programm und bekam später unter der deutschen Besatzung der Ukraine praktische Betätigungsgelegenheit.

Grundlage der Entwicklung des ­ukrainischen Nationalismus war der Umstand, dass die ukrainische Nationalbewegung bei der Aufteilung der multinationalen Imperien in Nationalstaaten im Gefolge des Ersten Weltkriegs zu spät und zu kurz kam. Während in der frühen Sowjetunion die Leninsche Nationalitätenpolitik dem ukrainischen Nationalismus einige Konzessionen machte und ihn so einzubinden versuchte, war die ukrainische Bevölkerung im Zwischenkriegspolen einer rabiaten Assimilierungspolitik ausgesetzt. Ihr Nationalismus formierte sich daher vor allem antipolnisch. Die 1929 im Prager Exil gegründete »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN) verübte Banküberfälle und liquidierte polnische Staatsbedienstete bis hin zum 1934 ermordeten Innenminister Bronislaw Pieracki. Bandera hat dieses Attentat organisiert, aber nicht persönlich ausgeführt. Er kam dafür in Haft, aus der ihn der deutsche Angriff 1939 befreite.

Die ökonomische Perspektivlosigkeit der polnischen Ostgebiete begünstigte gemeinsam mit der restriktiven Sprach- und Kulturpolitik Polens die Radikalisierung des ukrainischen Nationalismus. Bandera hatte sich als »Macher« und »Märtyrer« in der OUN einen solchen Ruf erworben, dass er sie 1940 spalten und seine Fraktion als die »Bandera-Leute« (Banderiwzi) definieren konnte. Nach der deutschen Okkupation Polens und der Sowjetukraine kollaborierten alle Fraktionen des ukrainischen Nationalismus mit den Deutschen, weil sie sich davon Chancen für ihren ukrainischen Staat erhofften. Diese Hoffnung wurde zwar enttäuscht; aber zuvor hatten die ukrainischen Faschisten schon Tausende jüdische Bürger selbst ermordet oder dazu Handlangerdienste geleistet. Bandera selbst war ab Sommer 1941 im KZ Sachsenhausen interniert, wenn auch unter privilegierten Bedingungen. Im Herbst 1944 wurde er freigelassen, um im Hinterland der Roten Armee eine ­ukrainische Partisanenarmee aufzustellen. Hierzu kam es aber nicht mehr; Bandera rettete sich mit Hilfe von Förderern im »Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete« nach Bayern und trat in die Dienste des US- und des britischen Geheimdienstes, später auch des BND. 1959 wurde er von einem sowjetischen Agenten in München ermordet. Die Mitglieder seiner Organisation emigrierten zum größten Teil nach Kanada und in die USA, wo sie eine Generation lang die Kader für die antirussische Neuformierung der unabhängigen Ukraine heranbildeten. 1991 war ihre Stunde gekommen.

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