Bertha von Suttner - Die Waffen nieder
(Anfang 6. Kapitel, 1889)
Vorahnungen? Die gibt es nicht. Paris hätte sonst, als wir an einem sonnigen Nachmittag des März 1870 dort anlangten, mir keinen so heiteren, lustversprechenden Eindruck machen können. Man weiß es heute, was damals in kürzester Frist derselben Stadt für Schrecknisse bevorstanden – aber mich beschlich nicht das mindeste trübe Vorgefühl.
Wir hatten schon im Voraus – durch den Agenten John Arthur – dasselbe kleine Palais gemietet, welches wir im letzten Jahre bewohnt, und an der Einfahrt desselben erwartete uns auch unser vorjähriger maître d'hotel. Als wir, um zu unserer Wohnung zu gelangen, über die elysäischen Felder fuhren – es war eben die Bois-Stunde – da begegneten wir mehreren unserer alten Bekannten und tauschten fröhliche Wiedersehensgrüße. Die vielen kleinen Veilchenkarren, welche um diese Jahreszeit in den Straßen von Paris herumgerollt werden, füllten die Luft mit tausend Frühlingsversprechungen; die Sonnenstrahlen funkelten und spielten regenbogenfarbig in den Springbrunnen des Rundplatzes und hefteten kleine Fünkchen an die Wagenlaternen und das Pferdegeschirr der zahlreichen Gefährte. Unter Anderen fuhr auch die schöne Kaiserin in einem à la Daumont bespannten Wagen an uns vorbei und winkte, mich erkennend, einen Gruß mit der Hand.
Es gibt so einzelne Bilder und Scenen, die sich in das Gedächtnis einphotographieren und -phonographieren, samt den sie begleitenden Empfindungen und einigen gleichzeitig gesprochenen Worten. »Schön ist doch dieses Paris!« rief damals Friedrich aus, – und meine Empfindung war ein kindisches »Sichfreuen« auf den kommenden Aufenthalt. Hätte ich gewußt, was mir, was dieser ganzen, in Glanz und Heiterkeit getauchten Stadt bevorstand – – –
Diesmal vermieden wir es, uns, wie im verflossenen Jahre, in den Strudel weltlicher Vergnügungen zu werfen. Wir erklärten, keine Balleinladungen annehmen zu wollen und hielten uns von den großen Empfängen fern. Auch das Theater besuchten wir nicht mehr so häufig – nur wenn irgend ein Stück besonderes Aufsehen machte – und so kam es, daß wir die meisten Abende allein oder in Gesellschaft weniger Freunde, in unserem Heim verbrachten.
Was unsere Pläne in Bezug auf des Kaisers Abrüstungsidee betraf, so kamen wir eigentlich schlecht damit an. Napoleon III. hatte zwar seine Idee nicht ganz aufgegeben, aber der jetzige Moment – hieß es – sei zu deren Ausführung durchaus ungeeignet. In der Umgegend des Thrones war man sich bewußt, daß dieser Thron nicht auf gar festen Füßen stand; eine große Unzufriedenheit kochte und gährte im Volk, und um diese niederzuhalten, wurden alle Polizei- und Censurmaßregeln verschärft – was nur um so größere Unzufriedenheit zur Folge hatte. Das einzige, so sagten gewisse Leute, was der Dynastie neuen Glanz und Bestand geben könnte, wäre ein glücklicher Feldzug ... Dazu lag freilich keine nahe Aussicht vor, aber von Abrüstung sprechen, wäre ganz und gar gefehlt; dadurch würde ja der ganze Nimbus der Bonaparte zerstört, welcher ja auf dem Ruhmeserbe des großen Napoleon beruhte. Außerdem war uns auch auf unsere Anfragen aus Preußen und Österreich kein ermunternder Bescheid geworden. Man war da in die Ära der Vergrößerung der Wehrmacht (das Wort: »Armee« begann aus der Mode zu kommen) getreten und da fiele das Wort Abrüstung als grober Mißton hinein. Im Gegenteil, um die Segnungen des Friedens zu erhalten, mußte man die »Wehrkraft« nur recht steigern – den Franzosen war nicht zu trauen ... den Russen auch nicht ... den Italienern schon gar nicht; die fielen gleich über Triest und Trient her, wenn sich Gelegenheit dazu böte – kurz, nur schön fleißig das Landwehrsystem pflegen.
»Die Zeit ist nicht reif,« sagte Friedrich, wenn wir solche Mitteilungen erhielten. »Und die Hoffnung, daß ich in Person das Reifen der Zeit beschleunigen könne oder gar die ersehnten Früchte daran sprießen sehe – die muß ich vernünftiger Weise wohl aufgeben ... Was ich beitragen kann, ist gar winzig. Aber von der Stunde an, da ich dieses Winzige als meine Pflicht. erkannt, ist es mir doch zum Größten geworden – also harre ich aus.
Wenn auch vorläufig das Entwaffnungsprojekt ins Wasser gefallen war, eine Beruhigung hatte ich doch: es war kein Krieg in Sicht. Die bei Hofe und auch in der Bevölkerung vorhandene Kriegspartei, welche da meinte, daß die »Dynastie in Blut aufgefrischt« werden sollte und daß dem Lande wieder ein Portiönchen Ruhm erwachsen müsse, die mußte auf Angriffspläne und auf den verlockenden »kleinen Feldzug um die Rheingrenze« verzichten. Denn Frankreich besaß keine Verbündeten; im Lande herrschte große Trockenheit, Futtermangel war vorauszusehen, man mußte die Militärpferde verkaufen, nirgends eine schwebende »Frage«, das Rekrutenkontingent ward vom gesetzgebenden Körper herabgesetzt, kurz – so erklärte bei dieser Gelegenheit von der Tribüne herab Ollivier: der Friede Europas ist gesichert.
Wie viel diese Sicherheit aber wert war, die da am 30. Juni 1870 von einem Staatsmann verkündet worden, das wissen wir heute Alle. Und das hätten wir auch schon damals wissen können, daß derlei staatsmännische Versicherungen – welchen das Publikum immer wieder mit gleich naivem Vertrauen lauscht – doch keine, gar keine Bürgschaft enthalten. Die europäische Lage weist keine „schwebende Frage“ auf, darum ist der Friede gesichert: – welche schwache Logik! Die Fragen können ja jeden Augenblick herangeschwebt kommen; – erst wenn man für diesen Fall ein anderes Mittel in Bereitschaft hielte, als den Krieg, erst dann wäre man gegen den Krieg gesichert.
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