#politik #kommentar #palästina #israel #afd #rassismus #oktoberfest
Ich mag diesen Sven Bensmann :)
Nebenan - Rechts vor links
Israel. Palästina. Muss ich dazu Stellung nehmen? Könnt ihr haben, bevor wir uns etwas Erfreulicherem widmen: der AfD und dem Oktoberfest - mit „positiver Bilanz“. (Von Sven Bensmann)
Es ist wieder heißer Krieg in Palästina – und ich habe eine Kolumne zu schreiben. Irgendetwas sagt mir, dass der ein oder andere zumindest von mir erwartet, Stellung zu beziehen. Nun, das könnt ihr haben. Haltet doch einfach mal das Maul. Mehr braucht es eigentlich gar nicht. Ich wollte dem zunächst noch eine Kondition nachstellen, aber: mehr braucht es wirklich nicht.
Dann findet sich am Ende nämlich auch niemand in der kompromittierenden Situation wieder, die Kriegsverbrechen der einen gegenüber der anderen Seite verharmlost, unterschlagen oder gar gutgeheißen zu haben. Wenn ein ranghoher Israeli pauschal sämtliche Palästinenser, Frauen und Kinder inklusive, zu Tieren degradiert, die es auszurotten gelte, weshalb man Millionen von Menschen nun Strom, Nahrung, Wasser und jede humanitäre Hilfe verwehrt, dann ist auch das nämlich die Sprache der Nazis – und jeder, der noch einen Funken Anstand für sich reklamiert, sollte heftigst widersprechen. Dabei ist das ja nicht einmal seine Einzelmeinung.
„Gleichzeitig ist es natürlich nicht überraschend, wenn diejenigen, die Terror ausüben, auch so reden.“
Gleichzeitig ist es natürlich nicht überraschend, wenn diejenigen, die Terror ausüben, auch so reden. Und andersherum: Wer in Deutschland auf die Straße geht, um zu bejubeln, dass Terroristen hunderte Menschen entführten und/oder abschlachteten, weil man es für sich als Akt des Widerstands gegen eine Besatzungsmacht rationalisiert, macht sich nicht nur mit Widerstand, sondern auch dem Terror gemein.
Was den Nahostkonflikt so schwierig zu diskutieren macht, ist, dass eine Bevölkerung auf deren Seite wir uns – in Deutschland schon aus einer historischen Verantwortung heraus – stellen, aus einem tausende Jahre alten Märchenbuch einen Besitzanspruch auf ein Land ableitet, dass ihr als die einzige sichere Zuflucht vor den Verbrechen des Antisemitismus gilt und das andererseits aber seit diesen Jahrtausenden von anderen Menschen bewohnt wird, weshalb die dortige Bevölkerung mit einigem Recht schließt, dass dies eben ihr Land sei.
„Neben der Bibel ist aber dieser konstante Konflikt eben doch die zweite große Quelle des Antisemitismus in dieser Welt.“
Und solange die eine Bevölkerung tagtäglich Gewalt gegen die andere ausübt, solange beide Bevölkerungen diejenigen unterstützen oder wählen, die einer Aussöhnung im Wege stehen, wird dieser Krieg auch weitergehen, ob nun so heiß wie derzeit oder wieder als kalter Krieg.
Daher hat ein Yannis Varoufakis natürlich in einem gewissen Maße Recht, wenn er sagt, dass der israelische Staat Gegengewalt provoziert und auch, wenn er sagt, dass die Schuld an diesem Konflikt insbesondere bei uns im Westen liegt, weil er uns egal ist, solange dieser Krieg kalt ist und wir den Konflikt damit stets weiterköcheln lassen, bis wieder einmal der Druck im Topf so weit angestiegen ist, dass der Deckel abplatzt und wir ganz betroffen tun können. Nur: Was bedeutet das? Dass es Unrecht ist, die Gewalt der Hamas zu verurteilen, wie es Varoufakis andeutet? Dann wäre jede Kritik am israelischen Staat tatsächlich nur ein allzu dünn verschleierter (vulgo: durchschaubarer) Antisemitismus.
Neben der Bibel – beziehungsweise den christlichen Bibelapologeten – ist aber dieser konstante Konflikt eben doch die zweite große Quelle des Antisemitismus in dieser Welt. Diesen Konflikt zum Wohle beider Seiten zu beenden, statt einer Seite in Nibelungentreue die Stange zu halten, wäre sicherlich ein Schritt in Richtung einer wirklichen Lösung, auch für die Sicherheit von Millionen Juden außerhalb Israels. Die andere ist diejenige Endlösung der Palästinenserfrage nach deutschem Vorbild, die einige in der israelischen Regierung derzeit anzustreben scheinen, welche nicht zu Unrecht mit Begriffen wie „ultranationalistisch“, „rechtsextrem“, „fundamentalistisch“ und „gojimfeindlich“ (also feindlich gegenüber allem Nichtjüdischen) beschrieben werden.
Wenn dann aber doch nur wieder das Argument des Whataboutism herausgekramt wird, muss ich sagen: Für die einen ist es Whataboutism, die anderen nennen es Kontext. Keine Tat ohne Kontext, und diesen herauszuarbeiten, statt pauschal zu desavourieren, wäre Aufgabe einer seriösen Presse. Aber ich habe an ebendieser Stelle ja bereits einmal herausgearbeitet, dass der Vorwurf des Whataboutism eigentlich nur Ausweis einer eigenen Heuchelei ist, der man sich nicht stellen will.
„Die deutsche Gesellschaft rückt überhaupt nicht nach rechts – nur der politische Diskurs verschiebt sich dahin, wo die Mehrheit der Bürger immer schon war.“
Womit ich aber bereits viel zu viel gesagt habe – wollte ich mich doch eigentlich an meine eigenen Worte und somit das Maul halten. Immerhin führt mich die politische Ausrichtung des aktuellen Kabinetts Netanjahu direkt zu dessen gemäßtigeren Brüdern im Geiste – und damit kommen wir zu erfreulicheren Themen: Der Machtergreifung der AfD. Erfreulicher – Komparativ. Vergleichsform. Sie müssen schon genau lesen: Ich schrieb nichts von erfreulich.
Der Arbeitstitel: „Etwas Erfreulicheres als den Nahostkonflikt findest du überall.“ (altes Bremer Sprichwort)
Der Aufstieg der AfD zur größten Oppositionspartei in Hessen und Bayern dank der Flugblatt-Wähler und Friedrich Merz kam für einige wie ein Schock und viele fragen nun, woher das eigentlich alles kommt.
Nun, ich habe da eine These: Die deutsche Gesellschaft rückt überhaupt nicht nach rechts – nur der politische Diskurs verschiebt sich dahin, wo die Mehrheit der Bürger immer schon war. Es entsteht derzeit ein politisches Klima, in dem sich die früher so postulierte schweigende Mehrheit endlich traut, auszusprechen, was sie immer schon dachte aber sich nie zu sagen traute, weil sie dafür geächtet worden wäre was es wirklich ist: rassistischer, antisemitischer, homophober oder sonstwelcher Scheißdreck.
„Die Entnazifizierung ist an großen Teilen der Bevölkerung spurlos vorbeigegangen.“
Die Entnazifizierung ist an großen Teilen der Bevölkerung spurlos vorbeigegangen, das zeigt nicht nur die kürzlich vorgestellte Studie des Bundespräsidenten zu seinen Amtsvorgängern – und so ist es auch kein Problem, wenn ein Vize-Ministerpräsident davon träumt, dass die einzige Art von Migration in diesem Lande die seiner jüdischen Mitbürger durch einen Schornstein in Dachau oder Auschwitz sein soll. Oder die seines Bruders? Es war zwar ein einschneidendes Ereignis in seiner Jugend, aber daran erinnert sich der Hubsi ja leider nicht mehr. Oder war es doch etwas anderes, an das er sich nicht mehr erinnerte? Ich hab’s schon wieder vergessen.
„Wer heute von faulen Ausländern schwafelt, die ihm beim Zahnarzt den Termin wegnehmen, wird morgen halt einfach wieder jaulen, dass ihm die Ausländer die Arbeit wegnehmen.“
Dass den angeblich demokratischen Parteien darauf nicht mehr einfällt, als die Grenzen dichtzumachen, von Sozialtouristen zu schwafeln oder eine Arbeitspflicht ins Spiel zu bringen, vulgo: Härte gegen Schwächere zu zeigen, verrät deren Hilflosigkeit: Wer heute von faulen Ausländern schwafelt, die ihm beim Zahnarzt den Termin wegnehmen, wird morgen halt einfach wieder jaulen, dass ihm die Ausländer die Arbeit wegnehmen, wenn ihnen erst einmal das Arbeiten erlaubt oder gar aufgezwungen ist. Fast ist man geneigt zu sagen, dass es den Rassisten halt gar nicht um die Sache geht, sondern um die Ausländer.
Und würde nicht eine Mehrheit der Deutschen schon jetzt so denken, dann fielen diese Parolen eben nicht auf denjenigen fruchtbaren Boden, der immer neue Rekordumfragen und -ergebnisse ermöglicht, dann würden diese Aussagen nämlich genau den gesellschaftlichen Widerspruch erhalten, der die sie Tätigenden auf den Müllhaufen der Geschichte zurück verfrachtet. Stattdessen erreicht man im heutigen Deutschland mit Märchen davon, die Grünen wollten irgendwelchen dahergelaufenen schweizer Lesben mit Aufmerksamkeitsdefizit das Schnitzel wegnehmen, offenbar runde zwei Drittel der Leute, besonders wurstige Ministerpräsidenten sehen sich sogar gezwungen, tagtäglich auf Steuerzahlerkosten zu dokumentieren, dass keine ihrer Mahlzeiten ohne ein Tier auskommt, das getötet, zu einer undefinierbaren Pampe zermahlen und dann in den Darm eines anderen Tieres gestopft wurde.
„Wer von den rassistischen Standpunkten der AfD nicht überzeugt ist, wird doch kaum Parteien wählen, die aus Angst vor ihr genau deren rassistische Politik übernehmen.“
Überhaupt: Wer von den rassistischen Standpunkten der AfD nicht überzeugt ist, wird doch kaum Parteien wählen, die aus Angst vor ihr genau deren rassistische Politik übernehmen. Wer andererseits deren Rassismus teilt, merkt schon jetzt, dass eine Stimme für die AfD ihr Ziel erreicht, selbst wenn formell noch die Ampel regiert – warum dann also etwas anderes als das Original wählen? Die Rechnung, die die Parteien von rechts nach links gerade aufmachen, geht schlicht nicht auf, sie bereitet nur noch mehr fruchtbaren Boden für die AfD.
Und wo wir gerade schon zum zweiten Male von fruchtbarem Boden reden: Auf dem Oktoberfest kam es dieses Jahr wohl zu (unter anderem) 268 Körperverletzungen, 73 Fällen von sexueller Belästigung und Beleidigung, 32 Polizeibeamte wurden demnach im Dienst verletzt und es kam wohl auch zu 6 Vergewaltigungen. Die Polizei nennt das eine „positive Bilanz“. Dann darf ich doch sicherlich auch die Vornamen der Täter erfahren, oder?
- https://www.migazin.de/2023/10/16/nebenan-rechts-vor-links/
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