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Energieexporte: Auf Öl- und Gasjagd

Studie legt offen, wie Konzerne verstärkt in Förderung fossiler Brennstoffe in Afrika investieren (Von Christian Selz, Kapstadt)

In 48 von 55 afrikanischen Ländern erkunden oder erschließen Öl-, Gas- und Kohleunternehmen derzeit neue Abbaugebiete. Auf dem Kontinent findet nicht etwa eine Energiewende, sondern eine Intensivierung der Förderung fossiler Energieträger statt. Das Netzwerk der beteiligten Firmen und Konzerne sowie der Finanziers hinter den Unternehmungen wurde nun durch eine Studie offengelegt, die insgesamt 37 Nichtregierungsorganisationen – die weitaus meisten davon mit Sitz auf dem afrikanischen Kontinent – am 15. November anlässlich des UN-Klimagipfels in Ägypten veröffentlichten.

Identifiziert werden in dem Bericht 200 Unternehmen, die in Afrika an der Suche nach fossilen Brennstoffen und an deren Förderung beteiligt sind. Demnach sind die Gesamtausgaben für Öl- und Gasexplorationen in afrikanischen Ländern zwischen 2020 und 2022 von 3,4 Milliarden US-Dollar auf 5,1 Milliarden US-Dollar gestiegen – was einem Zuwachs von 50 Prozent entspricht. Ein Aufschwung afrikanischer Volkswirtschaften ist daran allerdings kaum auszumachen: Hinter weniger als einem Drittel der in diesem Jahr aufgewendeten Investitionen stehen afrikanische Firmen. Mit dabei statt dessen: die französische Total Energies, die italienische ENI und die deutsche Wintershall DEA. Unter den 23 größten institutionellen Investoren der Förderung fossiler Brennstoffe in Afrika haben 14 ihren Hauptsitz in den USA und sechs in Europa. Aus Deutschland mischen Deutsche Bank und Allianz mit Tochtergesellschaften mit. Die Projekte sind meist auf mehrere Jahrzehnte festgelegt, binden die betroffenen Staaten also auch aufgrund der enormen Investitionssummen langfristig an fossile Energieträger.

Dabei versuchen Rohstoffkonzerne häufig, sich als Entwicklungshelfer darzustellen, die wirtschaftlichen Aufschwung und wachsenden Wohlstand in rückständige Regionen bringen wollen. So ist etwa auf der südafrikanischen Internetseite des Ölriesen Shell zu lesen, dass man sich selbst als »Corporate Citizen« – zu deutsch: Unternehmensbürger – sehe, der sich als »wichtiger Mitwirkender an Südafrikas gerechter Energietransition« für »den Aufbau der Nation« engagiere. In dieser Rolle wollte Shell zuletzt vor der Wild Coast, einem der artenreichsten und schützenswertesten Küstenabschnitte Südafrikas mit mehreren Meeresreservaten, nach Öl- und Gasvorkommen suchen.

Jedoch simulierte der Konzern die Information und Beteiligung der lokalen Bevölkerung eher, als sie wirklich durchzuführen. Überdies konnte er nicht überzeugend darlegen, wie die sozioökonomische Situation der Menschen vor Ort durch seine Operationen verbessert werden sollte. Daher stoppte der High Court in der Stadt Makhanda die Operation Anfang September, indem er die Explorationslizenz außer Kraft setzte. Dem Urteil waren landesweite Proteste und Boykottaufrufe gegen Shell vorausgegangen.

Doch nicht nur die mangelnde Beteiligung und die drohenden Umweltschäden sprechen gegen die Mär vom Entwicklungsexport durch Rohstoffsuche. So werden derzeit im großen Stil neue LNG-Terminals gebaut und die Kapazitäten in Afrika der nun vorgestellten Studie zufolge mehr als verdoppelt. 89 Prozent dieser neuen Infrastruktur entstehe jedoch für den Export – hauptsächlich nach Europa und Asien, heißt es in der Mitteilung zur Vorstellung des Berichts. »Die Abhängigkeit Europas von fossilen Brennstoffen ist ein wichtiger Treiber für neue LNG-Projekte in Afrika«, wird darin die Direktorin der Organisation Justiça Ambiental (Friends of the Earth Mozambique), Anabela Lemos, zitiert. Im Norden Mosambiks schießen ruandische Soldaten im Auftrag Frankreichs für Total gar den Weg zur Erschließung eines Offshoregasfelds frei. Die örtliche Bevölkerung wurde teils zwangsumgesiedelt oder musste vor islamistischen Milizen fliehen. Mit der »Verbesserung des Energiezugangs« für die Menschen vor Ort habe der »Ansturm auf Afrikas Öl und Gas« dagegen »nichts zu tun«, spricht Lemos das Offensichtliche aus.

Mit der aktuellen Energiekrise in Europa, so mag man hinzufügen, haben die Projekte ebenfalls wenig zu tun. Denn auch wenn beispielsweise der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Erschließung von Erdgasvorkommen vor der Küste Senegals damit begründet, Alternativen zu russischem Gas suchen zu wollen: Der Explorationszeitraum für solche Projekte beträgt etliche Jahre. Ehe wirklich Gas flösse, dauert es also viel zu lange, als dass diese Unternehmungen eine Sofortlösung sein könnten. Eines sind die fossilen Projekte in Afrika aber sehr wohl: ein weiterer Sargnagel für die Pariser Klimaziele und das 1,5-Grad-Limit, letztlich also ein Schritt weiter in die Klimakatastrophe.
- https://www.jungewelt.de/artikel/439253.energieexporte-auf-%C3%B6l-und-gasjagd.html

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