Baden-Württemberg will Holz-Highway für Radler bauen
titelt Golem, wobei unklar bleibt, ob dieser Anklang an "Holzklasse" kritisch gemeint ist. Nach Lesen des Artikels: leider wohl eher nicht.
@Birne Helene kommentierte dies heute morgen mit Juhu! "Endlich wieder mehr Platz für Autos!". Das trifft den Sachverhalt und die Intention schon eher. Im dortigen Thread habe ich das bereits kommentiert, will hier aber in einem eigenen Posting noch ein paar ergänzende Anmerkungen zum Artikel und seiner Historie aufschreiben.
Zunächst: die Idee, Radverkehr auf separate Wege zu verdrängen ist nicht neu, nicht mal der Ansatz, dafür aufgeständerte Hochwege, weit weg vom richtigen Verkehr zu bauen, ist neu, noch ist sonderlich unklar, aus welchem Umfeld die Schnapsidee stammt. Alles schon mal dagewesen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich in Basel begeistert von der Idee. "So was genau brauchen wir", sagte der Grünen-Politiker.
schreibt Golem.
Kretschmann? Da war doch was? Richtig, der hat vor einer Weile einen Wisheu probiert. Genau solche Leute spielen sich hier als Fürsprecher von Fahrradfahrenden auf.
Bewertung
Dieses Projekt ist eine typische Schnapsidee von Verkehrsplanern, die nach lukrativen Projekten fischen, sie kommen in Präsentationen vor nicht radfahrendem Publikum (oder vor Herrn und Frau "Ich fahr ja auch Rad, aber. ..") bestens an, mehr noch aber beim autofahrerendem Publikum, dem man den Radverkehr (endlich!) aus dem Weg zu räumen verspricht.
Das Scheitern ist schon eingeplant
Sie scheitern aber an ein einer Reihe von Problemen, die sich in einem kurzen Artikel nur unvollständig auflisten lassen. Angefangen von den hohen Bau- und Wartungskosten, die man nicht so einfach mit "Stecksystem einer Spielzeug-Autorennbahn" oder "nachhaltig" wegwischen kann - eine Aufständerung ist sündteuer und die Verfügbarkeit von Modulen, die eine Windlast tragen können, dürfte kaum über mehr als wenige Jahre sichergestellt werden können, Holz als Baumaterial als verrottungsfestes Material ist entweder Tropenholz oder heftig imprägniert und teuer. Um einen Provinzpolitiker über eine Amtsperiode zu retten, mag es reichen, aber mittelfristig ist eine Ruine praktisch garantiert.
London hat so etwas 2013/2014 auf Betreiben bzw. mit einem versprochnen Geldsegen von Boris Johnson (ja, der Johnson) mal geplant, glücklicherweise aber rechtzeitig die Reißleine gezogen.
Lesestoff:
Gegenrede: Why The Skycycle Would Never Work
Dieser Text ist eine durchaus brauchbare, fundierte Kritik des Konzepts, auch wenn ich der Spiegelstrichliste "was man stattdessen tun sollte", in weiten Teilen heftig widersprechen muß: "Providing segregated cycle ways" ist derselbe, heftig kritisierte Fehler, nur herunterskaliert. "Installing speed bumps" ist, so wie ich sie in Deutschland und Europa mit dem Fahrrrad erlebe, fast immer lästiger für Radfahrer als für Autofahrer, das funktioniert in der Realität einfach zu oft zu schlecht, als dass man es propagieren sollte.
Von den restlichen Punkte sind "Lowering Speed Limits" und "Cracking down on bike theft" relevant (wobei man heftige Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht zu einer Vorbedingung für Radfahren erklären sollte). Über die Frage, was "Ramping up existing cycle promotion schemes" bedeuten soll, müsste man sich auch unterhalten. "Cycle-to-Work", so wie ich es erlebt habe, war mehr als lächerlich, aber es gäbe durchaus Fördermöglichkeiten. Aufhebung von Benutzungspflichten und Kampagnen für Fahrbahnfahren käme mir als erstes in den Sinn. Und natürlich, die Verbesserung der Qualität vorhandener Fahrbahnen, also Ersatz der sog. Schwarzdecke bei den regelmässig nötigen Deckenerneuerungen durch eine Asphaltsorte mit geprüft niedrigem Rollwiderstand, statt wie üblich durch eine Asphaltsorte, die rauher, lauter und anstrengender zu befahren ist. Auch eine Ausbesserung und ggfs. Umkonstruktion der rechten Fahrbahnseiten (konkret der rechten Fahrstreifen nebst asphaltierter Reservefläche) wäre zu erwägen. Viele Fahrbahnen wären noch besser für gemeinsamen Rad- und Kfzverkehr geeignet, wären die speziell rechten Ränder nicht üble Schlaglochpisten. Dies wäre eine Maßnahme, die allen Verkehrsteilnehmern zugute käme, die ein Fahrzeug benutzen, aber sie würde insbesondere diejenigen besser stellen, die Fahrbahnen nicht kaputtfahren, sondern von einer nicht kaputtgefahrenen Fahrbahn profitieren würden.
Zur Planungsqualität übrigens: für das bei Golem gezeigte Aufmacherbild hat jemand mit einfachsten Mitteln einen Radweg in ein Stockfoto aus New York hineingemalt, ich hab das mal überlagert
New York, NY, USA
Published on May 10, 2020
Canon, EOS 5D Mark IV
Todd Kent, https://unsplash.com/photos/SPqGsdeuwVQ Free to use under the Unsplash License, Überblendung mit dem übermalten Golem_Aufmacher von mir.
Nun also nicht nur eingezäunte Laufställchen aka PBL, sondern Laufställchen, aus denen man sich abseilen muss
#radverkehrspolitik #verkehrspolitik #Grüne #radfahren #SkyCycle #MehrPlatzFürsRad #Holzklasse #fahrrad #PBLQUADRAT