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Froinde der Emanzipation¹:

Wie die Ukraine die Krim von der Besatzung befreien oder säubern will

Ausgearbeitet worden sei der Plan vom Sicherheits- und Verteidigungsrat (NSDC) mit der Hilfe von zahlreichen „Spezialisten und Experten“, wo man sich schon mal fragen kann, woher diese ihr Wissen beziehen. Die Ausführungen betreffen nicht die Eroberung der Krim, sondern die Vorstellung, wie die ukrainischen Reconquista nach Erfolg mit der Bevölkerung verfahren soll, die nicht in die Ukraine abgewandert, sondern auf der Krim verblieben ist.

Beeindruckend ist schon die humanitäre Einstellung, dass die prorussischen Krimbewohner als „Moskauer Müll“ bezeichnet werden, die entsprechend entsorgt werden müssen. So soll jeder, was zur Freude über die „Befreier“ beitragen wird, davon abgehalten werden, „auch nur in die Richtung Moskaus zu blicken oder den Mund aufzumachen, ohne sorgfältig nachzudenken, wenn er sich zu irgendetwas äußert, das mit der Ukraine zu tun hat“. Nach dem Anspruch der Ukraine, dass die Krim zu ihr gehöre, ist dies eine Bedrohung der ukrainischen Bevölkerung der Krim, sofern sie den „Befreiern“ nicht gehorcht und sich diesen unterwirft.

Seltsam erscheint der erste Schritt. Da geht es um reine Symbolpolitik, nämlich um ein Denkmal „Russisches Kriegsschiff fährt zur Hölle“. Punkt 2 ist nicht eine Überlegung, wie man die Bürger der Krim für sich gewinnen kann, sondern die Lustration, also die Säuberung nicht nur des öffentlichen Dienstes, sondern der ganzen Bevölkerung. Neben der Verfolgung und Bestrafung wegen Kollaboration und Hochverrat, soll eine Maßnahme der „persönlichen Beurteilung“ entwickelt werden. Damit wollen die neuen Herrscher „den Grad der Verantwortung und der Beteiligung bestimmter Personen, Bürger der Ukraine, Bewohner der Krim, an der Unterstützung der Aktivitäten der Besatzungsverwaltung feststellen“. Es geht darum, künftige Wahlen auf pro-ukrainische Bürger zu beschränken, also das „Recht auf Teilnahme an Wahlen – zu wählen und gewählt zu werden –„ einzuschränken.

Alle, die im öffentlichen Dienst seit 2014 gearbeitet haben, also der russischen Verwaltung angehört haben, werden geprüft, ob sie strafrechtlich verfolgt werden. Auch wer kein Vergehen begangen hat, wird bestraft: Die Rente wird gestrichen und es wird ein Verbot verhängt, im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Wer verpfeift, soll mit Strafmilderung belohnt werden. Russland müsse alle Russen und Ukrainer ausliefern, die Kriegsverbrechen in der Ukraine oder auf der Krim begangen haben.

Journalisten und andere Propagandisten sind den ukrainischen Befreiern ein besonderer Dorn im Auge. Sie verdienen „besondere Aufmerksamkeit“ und werden wegen ihrer Verbrechen „rechtlich ihrer Freiheit, ihrer Titel, ihrer Renten, ihres Eigentums, ihrer Ehre und ihres Respekts beraubt“. Russische Bürger müssen die Krim „unverzüglich“ verlassen, sonst müsse mit dem in Bulgakows „Die Flucht“ beschriebenem Schicksal rechnen. Gemeint ist vermutlich, dass sie an Laternenmasten aufgehängt werden sollen. Alle Käufe, die nach 2014 nach russischem Recht gemacht wurden, werden als ungültig erklärt.

Entgiftungsprogramm

Interessant für die Fantasie der Befreier ist Schritt 9, dabei geht es um die mentale „Entgiftung“, also um die Säuberung der Köpfe oder um Gehirnwäsche: „Es wird ein umfassendes Programm mit der Bezeichnung ‚Entgiftung‘ durchgeführt, um die Auswirkungen der jahrelangen russischen Propaganda auf das öffentliche Bewusstsein der Bevölkerung der Halbinsel zu neutralisieren.“ Vorbild dafür seien die „Entnazifizierungsmethoden in Deutschland in den 1940er Jahren“. Die waren zwar nicht besonders streng, man denkt aber offenbar vor allem daran, die Unterstützer Russland zu „öffentlichen Arbeiten zum Wiederaufbau zerstörter ukrainischer Städte sowie der Exhumierung und Umbettung von Opfern der russischen Aggression“ heranzuziehen.

Dass russische Verbrechen gegen ukrainische Bürger, die sich der Besatzung widersetzt haben, gesammelt und die Rechte von ukrainischen und krimtatarischen Aktivisten wiederhergestellt werden sollen, ist aus Sicht der Rückeroberer verständlich. Albern wird es, wenn Sewastopol in „Objekt 6“ umbenannt werden soll und später vielleicht Achtiar heißen soll. Damit soll die russische Umschreibung der Geschichte umgeschrieben werden.

Nach den Ausführungen muss man sich aber über den Schluss des „Programms“ die Augen reiben: „Die Krim ist die Ukraine! Auf der Krim leben unsere Bürger, Bürger der Ukraine, die darauf warten, nach Hause zurückzukehren! Wir haben sie nie vergessen und werden nie die Millionen von Augen vergessen, die hoffnungsvoll und gläubig auf die Landenge von Perekop blicken.“ Die verbindet die Krim mit der Ukraine. Hier verläuft auch der Nord-Krim-Kanal, der die Krim mit Wasser versorgte und der nach 2014 blockiert wurde, um die Krim und ihre Bewohner buchstäblich auszutrocknen. Das ist auch ein Verbrechen, weil es sich gegen Zivilisten richtet, und war einer der Gründe für den Krieg.

Man muss sich fragen, ob die westlichen Unterstützerstaaten der Ukraine nicht zur Kenntnis nehmen wollen, was die ukrainische Führung ausbrütet. Das Programm des NSDC würde, sollte die Ukraine tatsächlich die Krim zurückerobern können, die Grundlage dafür bilden, dass die Krim Unruhe- und Kriegsgebiet bleiben würde. Es würde sich die Position von Kiew 2014 wiederholen, nicht mit den revoltierenden ukrainischen Bürgern des Anti-Maidan zu verhandeln und ihnen eine gewisse Autonomie zuzugestehen, wie das in den Minsker Abkommen vorgesehen war, sondern sie als Terroristen oder jetzt Kollaborateure zu bekämpfen, einzusperren und auszurotten. Das „Programm“ fördert keine Verständigung, sondern die Eskalation.
- https://overton-magazin.de/top-story/wie-die-ukraine-die-krim-von-der-besatzung-befreien-oder-saeubern-will/

¹ Für diejenigen, die sich über die Überschrift wundern: Ein, sich selbst als Linksradikaler sehender, hat mir die Tage in einem Kommentar zu erklären versucht, dass er und seine linksradikalen Mitstreiter:innen auf der Seite der Emanzipation stehen und als Solche jetzt mal kurzzeitig auf dem Mainstream surfen. Das nehme ich gerne auf und präsentiere unter dem Label “Froinde der Emanzipation” die Protagonist:innen derselben.