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Der Siedlerstaat tanzt
Gazakrieg: Israels regierende Rechte und Ultrarechte feiern Vertreibung der Palästinenser und »Wiederbesiedlung« (Von Knut Mellenthin)
Mehrere tausend Israelis, überwiegend aus der Schnittmenge zwischen strenger religiöser Observanz, araberfeindlichem Chauvinismus und aggressivem Siedlertum, hatten am Sonntag abend ihren Spaß. Man freute sich auf die mehr oder weniger »freiwillige« Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen und dessen »Wiederbesiedlung«. Ausgelassen getanzt wurde auch. Viele Jugendliche waren gekommen, auch junge Familien mit zahlreichen kleinen Kindern. Von einer »karnevalsartigen Atmosphäre« sprach das Nachrichtenportal Times of Israel am Montag. »Kritiker nahmen Anstoß daran, dass die Minister der Regierung und der Koalition fröhlich tanzen, während ein Krieg tobt, Zehntausende Israelis vertrieben wurden, Soldaten fast täglich getötet werden und 136 Geiseln immer noch von Terroristen im Gazastreifen festgehalten werden«, so die Zeitung.
Schauplatz war das International Convention Center in Jerusalem, nach eigener Darstellung Israels größtes Kongress- und Konzertgebäude. Eingeladen hatte die Nachala-Bewegung, die vor allem die Schaffung neuer jüdischer Gemeinden in den besetzten Gebieten durch Ansiedlung junger Paare fördern will, und der auch international sehr aktive sogenannte Samaria-Regionalrat aus dem Westjordanland unter seinem Führer Jossi Dagan, einem Politiker der Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu. Anwesend waren zwölf Minister und 15 weitere Abgeordnete der Regierungskoalition. Neben fünf Ministern der beiden extrem rechten Regierungsparteien Otzma Jehudit und Tkuma, darunter Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich, nahmen auch sechs Kabinettsmitglieder mit Likud-Parteibuch und der Wohnungs- und Bauminister Jitzchak Goldknopf von der orthodoxen Partei Vereinigtes Thora-Judentum teil.
Eingefunden hatten sich außerdem die gesamte Knesset-Fraktion von Otzma Jehudit, zahlreiche Führer der Siedlerbewegung und prominente Vertreter der religiösen Ultrarechten wie der Rabbiner Dov Lior. Er erklärte den damaligen Premierminister Jitzchak Rabin mit den Bezeichnungen »Rodef« und »Moser« (das meint: für das Judentum existenziell gefährlicher Verräter) praktisch als vogelfrei, hatte Kontakt zu Rabins Mörder und fand für Baruch Goldstein, der 1994 in Hebron 29 Palästinenser beim Gottesdienst ermordete, die warmen Worte, er sei »so heilig wie die Märtyrer des Holocaust«.
Ausdrückliches Ziel des volksfestartigen Events am Sonntag abend war, ein deutliches Signal an die Öffentlichkeit und die Regierung auszusenden, dass man die »Chance« des gegenwärtigen Krieges und der Kontrolle der Streitkräfte über große Teile des Gazastreifens nutzen solle, um dort wieder mit dem Bau von Siedlungen zu beginnen.
Eine ähnliche Veranstaltung hatte in etwas ernsterem und kleinerem Rahmen – und mit geringer öffentlicher Beachtung – schon am 11. Januar mit rund 1.000 Teilnehmern im Jerusalemer Bibelland-Museum stattgefunden. Eingeladen hatte damals die »Souveränitätsbewegung« in Zusammenarbeit mit dem Jescha-Rat, einem Zusammenschluss der Verwaltungsorgane der jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Hauptrednerin war die für die Geheimdienste zuständige Ministerin Gila Gamliel von Likud, die zum Thema der »freiwilligen Emigration« der palästinensischen Bevölkerung sprach. Eine Studie ihres Ministeriums sah schon im Oktober vorigen Jahres die »Umsiedlung« der mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens in den Nordteil der ägyptischen Sinaihalbinsel vor.
Von »Umsiedlung« war auch am Sonntag im Jerusalemer Kongresszentrum viel die Rede. Kommunikationsminister Schlomo Karhi von Likud behauptete in seiner Ansprache, Israel habe eine »Verpflichtung zum Handeln«, sogar im Interesse der vom Krieg schwer betroffenen palästinensischen Zivilisten, um die »freiwillige Auswanderung« voranzutreiben. Die Vorsitzende von Nachala, Daniella Weiss, setzte nach: Weltweit gebe es Millionen Kriegsflüchtlinge. Warum sollten da ausgerechnet »die Ungeheuer, die in Gaza aufwuchsen«, von der Vertreibung verschont bleiben?
- https://www.jungewelt.de/artikel/468254.nahostkonflikt-der-siedlerstaat-tanzt.html
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