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Vor 120 Jahren erhoben sich die Herero in Namibia gegen die deutsche Kolonialherrschaft (Von Christian Selz, Kapstadt)
**»Jeder, mit oder ohne Gewehr, wird erschossen«*
Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1.000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5.000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen.
Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros.
Der große General des mächtigen deutschen Kaisers.*
- Vernichtungsbefehl des Schutztruppekommandanten Lothar von Trotha. In: Michael Behnen (Hrsg.): Quellen zur deutschen Außenpolitik im Zeitalter der Imperialismus 1890–1911. Darmstadt 1977, S. 291 f.
Als der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck im Dezember 2022 auf Energieträgersuche nach Namibia reiste, glaubte Spiegel online, das »Wasserstoffwunderland« entdeckt zu haben. Auch tagesschau.de sah »ideale Bedingungen«: »kräftiger Wind, fast immer Sonne, viel freies Land«. Mit weniger als drei Millionen Einwohnern auf einer mehr als doppelt so großen Fläche wie Deutschland ist der Staat im Südwesten Afrikas tatsächlich dünn besiedelt. Dass dort so viel Land »frei« ist, hat allerdings nicht nur mit den geographischen Voraussetzungen – viel Wüste und Halbwüste –, sondern auch mit deutscher Geschichte zu tun. Von 1884 bis 1915 war Namibia deutsche Kolonie, von 1904 bis 1908 verübte das Kaiserreich dort den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Zum Anlass ihres Vernichtungsfeldzugs nahmen die deutschen Kolonialherren einen Aufstand der Herero, die sich am 12. Januar 1904 gegen ihre fortschreitende Unterdrückung und Marginalisierung erhoben hatten.
Den Grundstein der Kolonisierung legten auch in Namibia die Missionare, denen alsbald die Händler folgten. Der bekannteste unter ihnen, Adolf Lüderitz, Sohn eines Bremer Tabakmagnaten, kaufte dem Anführer eines Stammes der Nama 1883 ein Stück Land ab, auf dem er Kupfervorkommen vermutete. Sein Vorgehen dabei war charakteristisch für das Geschäftsgebaren der Kolonialisten: Vermessen ließ Lüderitz die Fläche in den damals gebräuchlichen englischen Meilen, im Vertrag war dann lediglich von »Meilen« die Rede, beansprucht hat er schließlich die viermal längeren deutschen Meilen, also eine 16mal größere Fläche. Die Proteste der Nama verhallten in Berlin erwartungsgemäß ungehört, brachten aber zumindest die britische Kolonialverwaltung in Kapstadt auf den Gedanken, das bisher von keiner Kolonialmacht beanspruchte Südwestafrika vielleicht doch noch unter den Einfluss Londons zu bringen. Das wiederum rief Reichskanzler Otto von Bismarck auf den Plan, der Lüderitz’ Ansinnen einer deutschen Kolonie in dem Wüstenareal zuvor kaum unterstützt hatte. Eilig wurde Deutsch-Südwestafrika proklamiert. Dessen Keimzelle, eine Kleinstadt an der vier Jahrhunderte zuvor von portugiesischen Seefahrern so benannten Angra Pequena (Kleine Bucht), trägt bis heute Lüderitz’ Namen. Bald soll hier im großen Stil Wasserstoff produziert, in Ammoniak umgewandelt und nach Deutschland verschifft werden. Der Essener Energiekonzern RWE hat bereits eine Absichtserklärung unterzeichnet.
Verarmt und benachteiligt
In den ersten Jahren der Kolonie ging es freilich noch nicht um »grüne« Energieträger. Nicht einmal Bodenschätze fanden die Deutschen in nennenswertem Umfang. Statt dessen ließen sie den Wüstenstreifen an der Küste hinter sich und errichteten auf dem Hochland im Landesinneren, dem angestammten Gebiet der Herero, eine Siedlerkolonie. Ungleiche Handelsverhältnisse unter einer Verwaltung, die die Deutschen klar besserstellte, führten zu fortschreitendem Landverlust für die Herero, die mehr und mehr marginalisiert wurden. Im Jahr 1897 brachte eine verheerende Rinderpestepidemie – Viehherden dienten den Herero nicht nur als Nahrungsquelle, sondern auch als Kapitalanlage – das ökonomische Gleichgewicht schließlich vollends aus den Fugen. Verarmt, benachteiligt und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen beraubt, griffen bewaffnete Herero an jenem 12. Januar 1904 schließlich die deutsche Festung in der Kleinstadt Okahandja an, die zugleich auch Sitz der Herero-Führung unter Oberhäuptling Samuel Maharero war. 123 Menschen, überwiegend Deutsche, kamen zu Tode. Gebäude wurden in Brand gesteckt. In einem auf den 11. Januar datierten Schreiben soll Maharero die Auslöschung der Weißen im Land angeordnet haben, einige Historiker gehen jedoch davon aus, dass das Schreiben erst nach Beginn der Revolte verfasst wurde. In den folgenden Tagen griffen Herero-Kämpfer Farmen deutscher Siedler in Zentralnamibia an, zudem besetzten sie den deutschen Armeeposten am Waterberg, wo sie sämtliche Militärs töteten. Maharero versuchte der Lage Herr zu werden, indem er versuchte, Regeln für den Kampf festzulegen, darunter etwa, keine Frauen und Kinder umzubringen.
Auf deutscher Seite setzte der damalige Gouverneur Theodor Leutwein auf eine Verhandlungslösung, wenn auch nicht aus humanistischen, sondern aus taktischen und ökonomischen Erwägungen. So war das Heer der Herero gut bewaffnet und der anfangs relativ kleinen deutschen »Schutztruppe« zahlenmäßig überlegen. Zudem erkannte Leutwein, dass zur Ausbeutung der Kolonie billige Lohnarbeiter gebraucht wurden. In seinen Memoiren hielt er fest: »Das ›gute Geschäft‹, das wir in den Kolonien für uns erstreben, verlangt einerseits, dass wir die Eingeborenen, soweit sie noch vorhanden sind, erhalten, andererseits, dass wir sie zufriedenstellen. Denn ohne die Arbeitskräfte der Eingeborenen können wir weder Bergbau noch Viehzucht betreiben.«
Völkermord
Die kaiserliche Regierung in Berlin jedoch wollte den Aufstand militärisch niederschlagen. Im Mai 1904 wurde Leutwein als Kommandant der Schutztruppe abgesetzt. An seine Stelle trat Lothar von Trotha, der sich bereits in Ostafrika und in China einen Namen als brutaler Schlächter bei der Unterdrückung von Aufständen gemacht hatte. Als von Trotha im Juni 1904 in Deutsch-Südwestafrika ankam, hatten die Kampfhandlungen seit bereits zwei Monaten geruht. Die Herero hatten sich zum Waterberg am Rande der Halbwüste Kalahari zurückgezogen, um weiteren Konflikten mit den Deutschen aus dem Weg zu gehen und eine Verhandlungslösung abzuwarten. Der neue Truppenchef nutzte dies, um die Herero einzukreisen und vernichtend zu schlagen. Am 11. August begannen deutsche Truppen, das Lager der Herero mit schwerer Artillerie zu beschießen. Als deren Soldaten gegen die deutschen Positionen vorrückten, trafen sie auf heftiges Maschinengewehrfeuer. Innerhalb eines Tages war das Herero-Heer geschlagen, ein Großteil der etwa 40.000 eingekreisten Herero konnte jedoch in Richtung der Halbwüste ausbrechen. Von Trotha ließ ihnen nachsetzen, Wasserstellen vergiften und die Halbwüste abriegeln. Tausende Herero, Männer, Frauen und Kinder, verdursteten. Am 2. Oktober 1904 erließ er seinen berüchtigten Vernichtungsbefehl.
In den folgenden Jahren wurden Angehörige der Herero und Nama, die sich ebenfalls gegen die deutsche Kolonialherrschaft erhoben hatten, in Konzentrationslager deportiert, wo die meisten von ihnen starben. Etwa 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama überlebten den Völkermord, der bis 1908 andauerte, nicht. Die beiden Volksgruppen sind in Namibia bis heute ökonomisch marginalisiert sowie überwiegend land- und perspektivlos. Von den Entschädigungsverhandlungen mit der deutschen Bundesregierung waren ihre traditionellen Vertreter ausgeschlossen worden. Ein 2021 zwischen der namibischen Zentralregierung und Berlin ausgehandeltes »Aussöhnungsabkommen« wurde aufgrund heftiger Proteste von Nama und Herero bis heute nicht umgesetzt.
- https://www.jungewelt.de/artikel/466619.deutscher-kolonialismus-aufstand-der-verzweifelten.html
Anmerkung: Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie erinnert mich das an derzeitige Geschehnisse. Unterdrückung, Apartheid, Massaker von Kolonialisierten, Rache der Kolonisatoren, die Sprache, der Massenmord.....