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Polnisch-Ukrainische Republik: Flucht in Warschaus Arme
Bei seinem Polen-Besuch beschwor Wolodimir Selenskij eine »Gemeinschaft ohne politische und wirtschaftliche Grenzen«. Was bahnt sich da an? (Von Reinhard Lauterbach)
... Er hoffe, »dass es zwischen Polen und der Ukraine keine politischen, wirtschaftlichen und vor allem historischen Grenzen« mehr geben werde, so Selenskij. Ein Meinungsbeitrag in der Rzeczpospolita vom Donnerstag sekundierte: »Bauen wir die REPUBLIK wieder auf«, forderte der Warschauer Politologe Tomasz Grzegorz Grosse auf einer ganzen Zeitungsseite. Was ist damit gemeint? Wenn Polen die »Republik« mit großen Buchstaben schreiben, meinen sie den frühneuzeitlichen Adelsstaat, der große Teile der heutigen Ukraine umfasste. Allerdings in einem minderen Status quasikolonialer Abhängigkeit: oben katholische Magnaten, unten Massen orthodoxer ausgebeuteter Bauern, Vorläufer der heutigen Ukrainer. Die (von der katholischen Kirche heftig herbeigepredigte) Unfähigkeit der polnischen Eliten, seinerzeit die Bewohner der orthodoxen Ostgebiete als »drittes Staatsvolk« zu akzeptieren, gilt heute als einer der Gründe dafür, dass sich die Adelsrepublik im 17. Jahrhundert in endlosen Aufstandsbekämpfungskriegen im Osten ruinierte, und damit auch als Hauptauslöser des Niedergangs des polnischen Staates im 18. Jahrhundert.
Sind die polnischen Eliten also »vor Erfolgen vom Schwindel befallen«, dass sie ausgerechnet an dieses historisch gescheiterte Experiment wieder anknüpfen wollen? Auszuschließen ist das nicht. Nostalgische Sehnsucht nach der mit der »Republik beider Nationen« verlorengegangenen Großmachtrolle Polens in Europa ist in großen Teilen der politischen Klasse Polens nach wie vor virulent – auch wenn es nur selten explizit eingestanden wird. Als Staatsgründer Jozef Pilsudski in der Zwischenkriegszeit schon einmal versuchte, Polen um die Ukraine zu erweitern, lief es auf die Aufteilung des Landes zwischen Polen und der Sowjetunion im Frieden von Riga 1921 hinaus. Und auf Dauerkonflikte mit der damals etwa zehn Prozent der polnischen Bevölkerung ausmachenden ukrainischen Minderheit. Inzwischen sind nach Zählungen des Bundes der Ukrainer in Polen einschließlich der Kriegsflüchtlinge schon wieder drei Millionen Ukrainer im Land ansässig – acht Prozent der Bevölkerung. Und der Verband hat sich eine große Aufgabe gestellt: Weil die meisten Geflohenen in Polen aus dem russischsprachigen Osten des Landes kämen und durch das russische Internet beeinflusst seien, müssten sie zunächst durch entsprechende Indoktrinierung zu Ukrainern im politischen Sinne gemacht werden. Sonst, so Verbandspräsident Miroslaw Skorka am Donnerstag gegenüber der Rzeczpospolita, drohe Polen eine »fünfte Kolonne der ›russischen Welt‹«.
Hintergrund: Karte neu zeichnen
Die Rede von der polnisch-ukrainischen Union, Konföderation oder was auch immer ist etwas mehr als Spinnerei. Im US-amerikanischen Fachjournal Foreign Policy hat am 26. März Dalibor Rohac vom neokonservativen »American Enterprise Institute« dazu aufgerufen, die 500 Jahre alte Idee wiederzubeleben. Aus naheliegenden und auch überhaupt nicht verschwiegenen geopolitischen Interessen der USA heraus. Eine solche polnisch-ukrainische Union würde erstens das nach der Bevölkerungszahl zweitgrößte Land der EU werden, zweitens ein willkommenes Gegengewicht zur BRD und zu Frankreich bilden, wie es den USA in der EU seit dem »Brexit« fehle, und es würde drittens erlauben, das langwierige Beitrittsverfahren der Ukraine zu EU und NATO nach dem Vorbild dessen zu beschleunigen, wie 1990 die DDR infolge des Anschlusses an die BRD automatisch in EG und NATO gekommen sei. Was Rohac nicht hinzufügte, weil er es wohl nicht für wesentlich hielt: um den Preis eines »Beitritts nach Artikel 23«. In diesem Falle also eines Verlusts der ukrainischen Eigenstaatlichkeit. Aber, vierter Vorteil laut Rohac: Die Kosten des Wiederaufbaus würden damit hauptsächlich der EU und nicht den USA zur Last fallen.
Stimmen wie diese zeigen vor allem, dass die transatlantischen Eliten intern inzwischen nicht mehr ganz so siegessicher für Kiew sind, wie sie nach außen hin tun. Wie es der Warschauer Professor Tomasz Grzegorz Grosse sagte: Sollte der Krieg damit enden, dass Russland doch die ganze Ukraine östlich des Dnipro besetze, dann würden sowieso entlang dieses Flusses polnische und andere NATO-Truppen stationiert werden müssen. Am Dnipro? Damit hätte Russland sein strategisches Ziel des Krieges genau verfehlt: Die NATO von der Ukraine fernzuhalten.
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