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Nicht nur in der Ukraine: "Es gibt durchaus die Sorge, dass anstelle der sowjetischen Denkmäler bald welche für die lettischen Angehörigen der Waffen-SS aufgestellt werden könnten."

Rechtsruck im Baltikum: »Unterricht auf Russisch ist nicht mehr erlaubt«

Lettland: Repression gegen Linke und russischsprachige Bevölkerung nimmt zu, Denkmäler werden beseitigt. Ein Gespräch mit Ernests Zarins

Am 1. Oktober werden Parlamentswahlen in Lettland stattfinden. Wie steht Ihre Partei da?

Unsere Partei heißt Sozialistische Partei Lettlands, da in Lettland Parteien, deren Name das Wort »kommunistisch« enthalten, nicht vom Justizministerium registriert werden. Wir sind die einzigen, die als Marxisten-Leninisten die linke Richtung in der Politik vertreten. Unsere Partei befindet sich in einem Wahlbündnis mit der Soglasie-Partei, einer sozialdemokratischen Partei. In diesem Jahr finden Parlamentswahlen statt, bei denen einer unserer Kandidaten in der Hauptstadt kandidiert. Wir fordern eine Steuersenkung auf Grundnahrungsmittel und einen Preisstopp und eine Vereinfachung der Bedingungen für Volksabstimmungen.

Wie ist die Situation der russischsprachigen Bevölkerung in Lettland derzeit?

Der Unterricht in russischer Sprache ist in öffentlichen Schulen und Universitäten nicht mehr erlaubt. Sollen wir jedes Mal die Kultur und Sprache des Landes verbieten, das militärische Operationen auf fremdem Territorium durchführt? Lettland führt jetzt die Wehrpflicht ein. Wo wird dieses Kontingent kämpfen?

Welche Art von Repressionen gibt es von seiten des Staates?

Die Repressionen gegen einzelne Vertreter der sogenannten russischsprachigen Parteien und ihre Aktivisten begannen lange vor den uns allen bekannten Ereignissen in der Ukraine. Zunächst gerieten linke Aktivisten unter juristischen Druck, weil sie gegen den damaligen US-Präsidenten Georg W. Bush demonstrierten, dann wurden Journalisten wegen bestimmter Kommentare auf ihren Portalen strafrechtlich verfolgt. Rote Fahnen und Versammlungen um sowjetische Denkmäler waren nicht mehr erlaubt. In den vergangenen Jahren wurden die Gedenkveranstaltungen dann mit Verweis auf das Coronavirus verboten. In diesem Jahr wurde in der Nähe des Mahnmals in Riga eine Ausstellung über den Krieg in der Ukraine eingerichtet, und der Bürgermeister von Riga legte einen Trauerkranz nieder. Ein Mann kam mit einer russischen Fahne zum Denkmal für die Befreier Rigas von den Nazis, jetzt wird gegen ihn ermittelt. Neulich wurde ein Genosse der Lettischen Arbeiterfront verhaftet, weil er mit einem Album, das ein dem sowjetischen Wappen ähnliches Motiv zeigt, vor dem Denkmal spazierenging. Im Internet kursierte auch ein Entwurf für eine Verordnung, Straßen mit Namen russischer Dichter umzubenennen. Es wurde bereits eine Verordnung in Kraft gesetzt, die die Kommunikation am Arbeitsplatz in einer anderen Sprache als Lettisch verbietet, und es soll Pläne geben, die Partei Russische Union Lettlands zu verbieten.

In Lettland müssen laut eines parlamentarischen Beschlusses alle Denkmale, die »totalitäre Regime verherrlichen«, bis zum 15. November entfernt werden. Vor vierzehn Tagen wurde das sowjetische Denkmal in Riga gesprengt. Wie reagiert die Bevölkerung?

Den jungen Menschen wird beigebracht, dass die sowjetischen Soldaten das Land nicht von Hitlers Joch befreit haben, sondern Europa mit den Nazis geteilt haben. Zwischen Sozialismus und Faschismus wird ein Gleichheitszeichen gesetzt. Das Leugnen oder Verschweigen der faschistischen Diktatur in Deutschland bei gleichzeitiger Betonung der Unterdrückung in der UdSSR, ohne die Gründe für diese Erscheinungen zu nennen, ermöglicht es in Schulbüchern, Hitlers Regime in einem günstigeren Licht zu interpretieren. Umso wichtiger ist, dass wir über die Taten von Genossen aus dem Widerstand gegen die Nazis berichten. Unsere Bevölkerung hat noch nicht verstanden, dass die Regierung eine gezielte Politik gegen sie betreibt, und das ist traurig. Viele lassen sich von der demagogischen Rhetorik der nationalistischen Parteien einfangen.

Wird die Regierung weiter gegen Gedenkstätten mit antifaschistischem oder sowjetischem Bezug vorgehen?

Ja, davon gehen wir aus. Unsere Genossen waren zusammen mit der Russischen Union Lettlands am Denkmal der Befreier von Riga im Einsatz und schützten es vor Vandalen. Sympathisanten schrieben einen Brief an die zuständige UN-Kommission, um zu erreichen, dass der Abrissbeschluss rückgängig gemacht wird. Aber es war zu spät. Es gibt durchaus die Sorge, dass anstelle der sowjetischen Denkmäler bald welche für die lettischen Angehörigen der Waffen-SS aufgestellt werden könnten.
- Ernests Zarins ist Mitglied der Sozialistischen Partei Lettlands (Interview: Annuschka Eckhardt)
https://www.jungewelt.de/artikel/434604.rechtsruck-im-baltikum-unterricht-auf-russisch-ist-nicht-mehr-erlaubt.html

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