2022-08-05: Hausrunde mit dem Rennrad, 9 x 50 Höhenmeter mit 12%

Hält die Bremse, platzt der Schlauch?


2022-08-05: 02:04:59 32.9 km 646 m up, 643 m down, 15.8 km/h

Gestern waren hierzustadt die Temperaturen mit nachmittags um die 22 Grad endlich mal wieder erträglich, also habe ich etwas versucht, das ich schon eine Weile vorhatte: die Felgen meines Rennrades heiß zu bremsen. Also bin ich den kürzlich schon mal gezeigten Anstieg zum Kreuzberg (schnurgerade 50 Höhenmeter mit 12%) nicht nur einmal hochgefahren, sondern insgesamt neu Mal hoch und wieder hinunter, wobei ich beim HInunterrollen auf leicht unterschiedliche Weise gebremst habe, mal kontinuierlich, mal mit wechselndem Tempo, mal mehr mit der Vorderradbremse bzw. Hinterradbremse, mal möglichst gleichverteilt. Randbedingung war, dass ungebremst rollen lassen ausgeschlossen war, weil da reichlich Autos herumstehen und Schrebergärtner und Hundehalter herumspazieren.

Die Vorgeschichte ist folgende: jemand veröffentlichte an anderer Stelle ein Foto von einem Verkehrsschild an einer wenig befahrenen, ordentlich asphaltierten Straße in einem Naturschutzgebiet: Z108-66 kombiniert mit Z1012-32

Daraus entspann sich eine Diskussion darüber, ob ein solcherart diskriminierendes Verbot angemessen ist. IMO ist es das nicht. Jeder Verkehrsteilnehmer, auch ein Radfahrer, ist verpflichtet, Warnzeichen wie diese zu beachten und seine Fahrweise darauf einzustellen. Die schließt ein, zu beurteilen, ob Fahrzeug und Fahrer in der Lage sind, ein solches Gefälle hinunterzufahren. Anders als Autofahrer oder Motorradfahrer sind die meisten Radfahrenden in der Lage, abzusteigen und ihr Fahrzeug zu schieben. Aber nicht alle: viele Liegeräder sind schon in der Ebene nur sehr schwer zu schieben, in einem 20%-Gefälle wäre das mörderisch.

Neben der Frage diskriminierender unterschiedlicher Maßstäbe interessiert mich in einer Diskussion, die regelmäßig in Sicherheitszirkus und "think of the children!!" abgleitet, zunächst mal die technische Seite, nämlich wie groß, plausibel, wahrscheinlich, vermeidbar oder unausweichlich die unterstellten Gefahren in der Realität sind. Hier gibt es sehr unterschiedliche Szenarien. Wie mir meine Kinder mehrfach demonstriert haben, kann man nicht nur mit Scheibenbremsen, sondern auch mit einer gewöhnlichen Felgenbremse vom Mont Ventoux problemlos hinunterfahren, wie auch ich sie an meinem schon etwas älteren Rennrad verwende. Und da geht es die ersten fast 500 Meter am Stück hinunter, wenn auch nur mit 13%. Das würde eine einzelne Felge zum Schmelzen bringen, würde man versuchen, die entsprechende potentielle Energie mit einer Bremsung in Wärme umzuwandeln. Faktisch kann man es da aber so schnell rollen lassen, dass der größte Teil der Energie via Luftwiderstand direkt in der Luft landet, die Felgen durch den Fahrtwind kühl genug werden und bleiben und der Bremsvorgang an den Kehren auch nicht zu einer gefährichen Erwärmung führt.

Kniffliger sind Abfahrten, die schnelles Rollen (also z.B. 60 km/h bei diesen 12 %, bei denen je nach Haltung 80-95 km/h erreicht werden) nicht zulassen, wie etwa meine Abfahrt vom Kreuzberg, wo wg. geflicktem Asphalt schnelles Fahren mindestens unkomfortabel und schon nur 25 km/h nur an wenigen Stellen fallweise verträglich ist. Hier ist es aber einfach deswegen kein Problem, weil die 50 Höhenmeter gar nicht genügend viel potentielle Energie hergeben, um die Felgen in einen kritischen Bereich zu bringen - wenn man es nicht gerade darauf anlegt.

Es wurde in der Diskussion ein Beispiel von 120 kg Fahrzeug und Fahrer angeführt, in dem auf nur 50 Höhenmeter aufgrund von Felgenerwärmung der Schlauch geplatzt war, was zu einem Sturz führte.

Wenn ich mit meinen Daten rechne (knapp 80 kg für Rennrad, mich und den mitgeführten Krempel, 26°C initale Felgentemperatur), komme ich auf etwa 70°C, wenn sämtliche potentielle Energie als Wärme in den beiden Felgen landet. Das reicht bei weitem nicht, um ein Felgenband zum Schmelzen zu bringen oder den Schlauch zu zerstören. Mit nur der Vorder- oder Hinterradbremse bremsen ergäbe aber schon 114°C, das würde reichen, wie Rainer Mai in einem Fahrradzukunft-Artikel gezeigt hat - wenn der Reifen geflickt war, denn die Flicken lösen sich offenbar schon bei etwa 100 Grad. Näheres Nachfragen im oben angesprochenen Fall ergab dann auch, dass das betreffende Rad ein Rennliegerad war, die Felge entsprechend klein und dass nur mit einer Felge gebremst worden war. Aufrichten und für mehr Luftwiderstand sorgen mag bei so einem Rad nicht funktionieren und dessen Felgen mögen bauartbedingt kleiner und deswegen vielleicht leichter sein (weniger Wärmekapazität) und vielleicht auch schlechter im Fahrtwind liegen. Bei 120 kg Fahrzeug+Fahrer, eine 0.5 kg Felge über 50 Höhenmeter komme ich auf >160°C, das dürfte vor allem bei einem geflickten Reifen schon deutlich zu viel sein.

Fazit: wenn die Abfahrten lang und steil sind, bremst man vorne und hinten, macht gelegentlich eine Pause und befühlt dabei die Felgen. Sobald man ein Gefühl für die Erwärmung bekommen hat, ersetzt man die Pausen durch Fahren im Schneckentempo (z.B: 6 km/h). Das spart Zeit und kühlt besser.

### Soweit die Theorie, nun die Praxis

Oben an der Kreuzbergkirche

Ich bin wie gesagt den genau 50 Höhenmeter umfassenden 12%-Anstieg insgesamt neun Mal hoch und runter gefahren, hoch so schnell wie möglich (also sehr langsam), runter mit variiende Tempo weit unterhalb dessen, was durch ungebremstes Rollen erreicht würde. Dabei habe ich vorher und nachher die Felgentemperatur gemessen, mit einem IR-Thermometer GM700 der Fa. Benetech. Aufgrund des anfänglichen Sonnenscheins und warmen Asphalts war die Felgentemperatur anfänglich und zu Beginn einer Abfahrt etwa 26°C.

Bei der ersten Abfahrt hatte ich eigentlich vorgehabt, mit beiden Bremsen gleich stark zu bremsen, bei der Messung stellte sich dann aber heraus, dass die meiste Wärme vorne gelandet war. Vorne maß ich 49°C, hinten 30°C. Beim der ersten Abfahrt konnte ich noch relativ zügig fahren, weil weniger Leute und Autos unterwegs waren, im Schnitt 22 km/h Die 49 Grad waren dann auch die maximale Erwärmung, die ich in den verbleibenden acht Fahrten gemessen habe. Alle weiteren gemessenen Temperaturen am Ende der Abfahrt lagen zwischen 30 und 40 Grad. Statt wie beim ersten Mal wie gewohnt nur die Vorderradbemse zu betätigen und dann die Hinterradbremse zusätzlich, habe ich bei der zweiten Abfahrt erst mit der HInterradbremse gebremst (hier stellt das Blockieren des HInterrades das natürliche LImit dar) und dann zusätzlich die Vorderradbremse leicht betätigt. Zur Vorsicht hatte ich diesmal auf halber Höhe kurz angehalten und gemessen, im Ergebnis lag der Schnitt nur noch bei 10 km/h. Die restlichen Fahrten bin ich dann mit Variationen (mal mehr vorne, mal mehr hinten bremsen oder mehr Tempovarianz, insg. eher langsamer) gefahren, habe aber nichts mehr notiert, da die Temperaturen der Felgen bei um die 35° blieben. Ich frage mich, ob es ein Gadget gibt, dass einem die Felgentemperatur via ANT+ mitteilt. Einer meiner Söhne hat eines, welches den Reifendruck kontinuierlich übermittelt. Die Felgentemperatur würde mich mehr interessieren. Fallenden Reifendruck kann ich beim Fahren bemerken, die Felgentemperatur nicht.

Fazit

Lange und heftige Abfahrten sind kein Grund, Radfahrer auszusperren, das setzt voraus, dass manche Leute ungeeignete Fahrzeuge verwenden oder geeignete nicht beherrschen. Wo die Leute aus eigener Kraft hochfahren können, beherrschen sie in der Regel auch das Hinunterfahren. Würde man mit dem Kfzverkehr ähnlich verfahren, müsste man sämtliche Straßen für den Kfzverkehr sperren, denn dort finden sich überall immer wieder solche Fälle, wo Kfzführer sich oder andere Leute aufgrund von Unfähigkeit totfahren. Wer mit dem Rad unterwegs ist, gefährdet im Wesentlichen nur sich selber, das ist ein mächtiges Korrektiv.

Bilder

HIer geht's runter

Nach dem Kreuzberg bin ich mal kurz über Ippendorf durchs Tal zum Kreisel oben vor Röttgen hochgefahren und habe dann abschließend eine kurze Rund im Kottenforst gefahren.

Sonstiges

Fun Fact: die in Dekaden der Fahrt zur Arbeit erworbene Eichung auf (Ampel-)Sprints mit Erholungspausen (quer durch die Stadt zur Stoßzeit) wirkt offenbar immer noch ein wenig nach, obwohl ich die letzten gut vier Jahre damit verbracht habe, Ausdauer mit und für lange Radtouren aufzubauen und kaum noch sprinte. Wechselbelastungen wie die hier kommen kaum noch vor. Garmin lobte mich nach dieser Fahrt bzgl. einer Leistungssteigerung und notierte einen wieder etwas gestiegenen VO2max-Wert.

Natürlich ist der Vergleich etwas geschönt, die Vergleichsbasis werden gewiss nicht Leute sein, die über Jahrzehnte hinweg Rad gefahren sind. Auch ist es kein gemessener Wert, sondern aufgrund der aufgezeichneten Daten (Puls, Atemfrequenz, Leistungsentwicklung) auf eine eher obskure Weise geschätzt. Auffällig ist aber, wie schnell solche Messwerte abfallen, schon wenn man nur ein paar Wochen aussetzt.

Das Wetter

Wetterdaten Endenich

#hausrunde #bicycling #radfahren #radtour #cycling #fahrrad #muskelmotor #radverkehrspolitik #verkehrspolitik #kreuzberg #richtigbremsen

There are no comments yet.