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Ungesühnte Kriegsverbrechen: 20 Jahre straffrei
Völkerrechtswidriger US-Angriff auf Irak basierte auf Lügen und zerstörte das Land nachhaltig (Von Wiebke Diehl)
Er wolle »den Irak entwaffnen, sein Volk befreien und die Welt vor ernsten Gefahren schützen« – das erklärte George W. Bush am 19. März 2003, dem Vorabend der US-geführten, nicht vom UN-Sicherheitsrat autorisierten Invasion des Irak, durch die der LangzeitpräsidentSaddam Hussein gestürzt wurde. Der Krieg würde weniger als 200 Milliarden US-Dollar kosten, versprach Bush den US-Bürgern, die den Krieg zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich unterstützten. Sie schenkten den Beteuerungen, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen und unterhalte zudem umfassende Programme zur Entwicklung biologischer und chemischer Kampfstoffe sowie von Atomwaffen, die die gesamte Welt bedrohten, Glauben.
Knapp drei Wochen später, am 9. April, brachten US-Soldaten – verfolgt von Millionen von Zuschauern vor den Bildschirmen weltweit – eine Statue Saddam Husseins zu Fall. Wie dann auch mit den bewusst produzierten demütigenden Fotos, die von seiner Festnahme nach acht Monaten auf der Flucht in einem Erdloch produziert und der Presse zugespielt wurden, wollte man Erfolge präsentieren. Nebenbei verdeutlichten die Bilder: Es war nicht die irakische Bevölkerung, die sich von einem zweifellos äußerst repressiven Herrscher befreite, der im Land selbst mindestens 300.000 Menschen – darunter Mitglieder der schiitischen Mehrheit, Kurden und Oppositionelle – auf dem Gewissen hatte. Der für grausamste Verbrechen und Massaker, Folter und Überfälle auf die Nachbarländer Iran und Kuwait verantwortlich war. Vielmehr hatte Washington aus eigenem geopolitischem Interesse der Welt falsche »Beweise« aufgetischt und dabei sämtliche, aus den ehrgeizigen irakischen Sozial- und Wirtschaftsprogrammen der 70er Jahre erwachsene Errungenschaften wie etwa den Anstieg der Alphabetisierungsrate von 30 auf 70 Prozent genauso verschwiegen wie die bis heute nachwirkenden negativen Folgen des in den 90er Jahren verhängten brutalen Sanktionsregimes. Diesem waren mindestens 1,5 Millionen Menschenleben, darunter eine halbe Million Kinder, zum Opfer gefallen.
Sechs Wochen nach Kriegsbeginn verkündete Bush in seiner berühmten »Mission accomplished«-Rede an Bord des Flugzeugträgers »Abraham Lincoln« das Ende der Hauptkampfhandlungen. Als Ziel gab er die Wiederherstellung der Ordnung und den Aufbau von Demokratie aus. Er rühmte sich des »Siegs in einem Krieg gegen den Terror«, obgleich Terrorgruppen wie der »Islamische Staat« (IS) unter US-Besatzung erst entstehen und im Jahr 2014 sogar das Fortbestehen des irakischen Staates gefährden sollten. Anders als behauptet, war Saddam Hussein zwar ein Verbrecher – aber kein Verbündeter der Al-Qaida. Auch Massenvernichtungswaffen konnten nie gefunden werden.
Der Irak und seine Bevölkerung haben für die Lügen einen hohen Preis bezahlt: Etwa eine Million Menschenleben hat der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gekostet – je nachdem, ob die infolge der zerbombten Infrastruktur und des zerstörten Gesundheitssystems Verstorbenen mitgerechnet werden, gehen Schätzungen sogar von noch höheren Zahlen aus. So berechnete schon 2006 das angesehene Medizinfachblatt Lancet 650.000 »zusätzliche Todesfälle«. Hunderte Tonnen Uranmunition haben US-Amerikaner und Briten im Irak verschossen. Noch zehn Jahre später betrug die Strahlenbelastung das 20fache des Normalwertes. Insbesondere die Kleinsten sind von Fehlbildungen betroffen – Kinder mit vier Händen oder zwei Köpfen werden teils nach wenigen Lebensmonaten begraben, die Quote von Gehirntumoren, Knochen- und insbesondere Blutkrebs liegt weit über der Norm.
Unzählige Iraker starben durch Folter, die ihnen auch Soldaten der »Koalition der Willigen« antaten. Der Folterknast Abu Ghraib war nur die Spitze des Eisbergs. »Die einzigen Grenzen, die es gab, waren die Grenzen der Vorstellungskraft«, zitiert Wikileaks, das fast 400 schwer belastende geheime US-Dokumente zum Irak veröffentlichte, einen Augenzeugen. »Zivilverwalter« Paul Bremer zerschlug nicht nur die irakische Armee, sondern auch politische und gesellschaftliche Strukturen nachhaltig – mit bis heute andauernden Folgen. Das von Washington implementierte politische System, in dem Posten streng nach konfessioneller Zugehörigkeit vergeben werden, fördert sowohl Korruption als auch Gewalt zwischen den Religionsgemeinschaften. Aus der Armee entfernte und ohne jede Zukunftsperspektive verbliebene (ehemalige) Mitglieder der Baath-Partei Husseins sollten später zur Basis für den IS und andere Al-Qaida-Gruppen werden. Und die Belagerungen von Falludscha, Nadschaf und anderen irakischen Städten sowie der Beschuss des einzigen betriebsfähigen Krankenhauses in Falludscha während der Blockade stellen zweifellos schwerste Kriegsverbrechen dar. Gekostet haben Krieg und Besatzung keinesfalls die angekündigten 200 Milliarden US-Dollar, sondern mehr als zwei Billionen.
»Der Krieg mit seinen Kosten an Menschenleben, Schätzen und Sicherheit« könne »nur als ein Fehler beurteilt werden, ein sehr schwerwiegender, und ich muss meine Mitschuld daran tragen«, so der US-Senator und spätere Präsidentschaftskandidat John McCain, einer der ehemals lautesten Unterstützer der Irak-Invasion, nach 15 Jahren – offenbar einsichtig – in seinen 2018, dem Jahr seines Todes, veröffentlichten Memoiren. Zur Rechenschaft für den Völkerrechtsbruch und brutalste Kriegsverbrechen gezogen wurde indes bis heute niemand.