Es ist mal wieder so weit. Ich bringe hier einen kleinen Text aus meinem Rotzeblögchen, ohne die Sprache zu entrotzen und erst recht, ohne die dort als Kunstform gepflegte ungute Rechtschreibung – von mir regelmäßig als »Rechte Gutschreibung« verklärt – an den Dudenstandard anzupassen. Wer allergisch auf kreative Schrei(b)weisen und teilweise derben, an die Umgangssprache angelehnten Sprachgebrauch reagiert, sollte besser genau jetzt mit dem Weiterlesen aufhören.
Die jubelfeier zum grunzgeschwätz für die BRD ist gerade erst vorbei…
…und schon mag man in der CDU diese grundgesetzlich garatierte kunstfreiheit nicht mehr, wenn es mal eine etwas verstörende kunstausstellung in osnabrück gibt (archivversjon):
Die CDU forderte die Verantwortlichen der Kunsthalle auf, die Ausstellung umgehend zu schließen. »Es ist unverständlich, wie eine solche Ausstellung überhaupt genehmigt werden konnte«, teilte die CDU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Verena Kämmerling mit. »Kunst darf provozieren, aber sie muss auch Verantwortung übernehmen. Hier wurde eine klare Grenze überschritten.«
Ich erkläre das sommerloch hiermit für eröffnet.
Siehste, scheiß-CDU, so ähnlich geht es mir immer, wenn ich irgendwo unfreiwillig deutschen schlager hören muss, der sich über lokale luftdruckschwankungen im öffentlichen hörraum ausweitet. Und das wird mir einfach so aufgebürdet. Das ist ja keine kunstausstellung, wo ich nicht einfach so reingehe, sondern mir vorher mal anschaue, was mich dort erwarten könnte. Nein, stattdessen plärrt es mich überall voll. Gegen meinen willen, versteht sich. Mit Katja, wodka im blut und augen voll glut atemlos durch die nacht, ja, lieb mich ein letztes mal, denn es war ja sommer, hossa, hossa, caramba, caracho ein whisky zigeunerjunge prost¹! Ja, musik darf zum saufen, saufen und saufen und natürlich zum verantwortungslosen, gern auch mal nicht so ganz freiwilligen geschlechtsverkehr unter völlig besoffenen auffordern, aber sie muss auch mal ein bisschen verantwortung übernehmen, und mit der allgegenwart des deutschen scheißschlagers wird eine klare grenze überschritten. Interdictum subito nessesare est!
Seht ihr, bei der scheiß-CDU, wie sich so ein bullschitt-nichtargument mit seinen appellen an den stammtisch und die redakzjonssitzung der bildzeitung beliebig ausweiten lässt? Das ist ein toller stil, den ihr so habt. Und den habt ihr nicht erst seit heute, sondern so lange ich in meinem scheißleben denken kann. Den musste sich diese AfD einfach nur von euch abschauen.
Nein, ich mag keinen deutschen schlager, und das aus ganz vielen gründen. Aber deshalb würde ich noch lange nicht für verbote plädieren. Obwohl ich nix vermisste, wenn mir diese intelligenzverachtende erfahrung nicht mehr widerführe. Aber kunst — auch solche trivial- und gebrauchskunst, die nun einmal ihren sitz im leben vieler menschen hat — zu verbieten, käme mir gar nicht in den sinn. Ganz im gegenteil, ich freue mich drüber, dass menschen von ihrer scheißmusik leben können. Und ich bin aus eurer beschissenen scheißsicht nicht einmal so ein demokrat, sondern ganz im gegenteil ein offener p’litischer extremist, einer von denen, denen ihr vom scheiß-CDU-scheißpack immer in euren rotzpolemiken nachsagt, dass sie alles verbieten und die verbote mit gewalt durchsetzen würden. Anders als ihr von der freiheitspartei voller kwalitätsdemokraten, die ihr mit birne, koffer und raute für eine sichere, soziale und freie welt steht. Wieso singe ich eigentlich gerade „schwarzbraun ist die taube nuss“ vor mir her? 😁️
Mir ist neulich, als ich ein paar tage ohne internetz war, einmal aufgefallen, dass ich fast den kompletten text von „atemlos durch die nacht“ kannte, ohne dieses deutsche industrielied voller apelle an die lebensfreude eines mittelschweren neurotikers mit lebenspraktisch fast nutzloser erekzjon ein einziges verdammtes scheißmal bewusst und absichtlich gehört zu haben. „Ich schließe meine augen, lösche jedes tabu, küsse auf der haut, wie ein liebestättuh“… alter, mit wie viel erbärmlichen scheißmüll mein gehirn vollgemüllt ist wegen des scheiß deutschen schlagers! „Bist du richtig süchtig, haut an haut, ganz berauscht, fall in meine arme und die möse… ähm… der fallschirm geht auf“. Weia! So ein an eh schon recht gebieterische biologische instinkte von alloholisierten menschen offen appellierender rotz überfällt mich jeden tag irgendwo in meinem leben, ohne dass ich in schlagerwürdigungshaltung wäre und meinen abscheu gegen C-dur, a-moll, F-dur und G-dur mal kurz beistellen könnte, um das werk in seiner ganzen seichtheit und metafernlebensfreude angemessen würdigen zu können. Das ist also VIIIIEL SCHLIMMER!!1! Wenn Goethe und Schiller nur geahnt hätten, was sich aus ihren ambizjonen einmal entwickeln würde, dann hätten sie sicher viel lieber auf französisch geschrieben. Selbst schon, als der eine den jungen Werther gelitten und der andere sich in seinem räuberteater über seinen ekel vor diesem tintenklexenden kastratensäkulum ausgelassen hat.
Das gleiche könnte ich über andere foltermusik auch schreiben. Aber bei kunstausstellungen weiß ich vorher, worauf ich mich einlasse. Weil mir die nicht mitten in meinem leben ohne ausweichmöglichkeit übern weg laufen, sondern bewusst von mir aufgesucht werden. Fast immer gut vorbereitet. Oder eben nicht…
¹Ich habe vor vierzig jahren noch mehr von dieser scheiße mitgekriegt als heute, und deshalb sind mir beim schreiben vor allem ältere titel eingefallen.