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Teil II zum Botschafter, Talkshow-Star und Holocaust-Relativierer Andrij Melnyk:

Verdienter Henker

In der Bundesrepublik stößt die Verehrung, die Melnyk für Bandera hegt, zum Glück auf größeres Verständnis als bei seinen Vorgesetzten.

Am Freitag vormittag berichtete dpa: »Das ukrainische Außenministerium hat sich von Äußerungen des Botschafters in Berlin, Andrij Melnyk, über den früheren Nationalistenführer Stepan Bandera (1909–1959) distanziert.« In einer englisch verfassten Erklärung behauptete das Ministerium, Melnyks Meinung sei »seine persönliche« und gebe nicht die Position der Behörde wieder.

Solch Dolchstoß in den Rücken des Untergebenen ist unfair. Wofür wurden in der Ukraine an die 40 Bandera-Denkmäler errichtet, Hunderte Straßen und Plätze nach ihm benannt? Was ist mit den Aufmärschen fackeltragender Faschisten am 1. Januar, Banderas Geburtstag, auf Geheiß des Parlaments? Alles vermutlich Ausdruck persönlicher Meinungen.

In der Bundesrepublik stößt die Verehrung, die Melnyk für Bandera hegt, zum Glück auf größeres Verständnis als bei seinen Vorgesetzten. Ein Beispiel war das »Interview« mit ihm, das Redakteur Daniel Brössler am 14. April in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte: Brössler erwähnte selbstverständlich nicht Banderas Massenmordaktionen. Im Land der Henker wird nicht nach Stricken gefragt.

Das tat als erster deutscher Journalist, der bei Melnyk vorgelassen wurde, Tilo Jung für seine in der Nacht zum Donnerstag ausgestrahlte Internetsendung »Jung & naiv – Politik für Desinteressierte«. Jung zitierte aus historischen und aktuellen Dokumenten zu Bandera, was Melnyk nicht gefiel. Der Journalist fragte z. B. den sogenannten Botschafter, der hierzulande als eine Art Gauleiter fungiert, ob Israel sich ausgedacht habe, dass Banderas Aufstandsarmee 800.000 Juden ermordet habe. Massaker an Polen mit Zehntausenden Toten? Melnyk: »Es gab in gleicher Weise polnische Massaker an Ukrainern.« Im übrigen sei das alles eine Erzählung, die Russland in Deutschland, Israel und Polen durchgesetzt habe. Kollaborateur der Nazis sei Bandera auch nicht gewesen, denn der »Freiheitskämpfer« sei knapp eine Woche nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion 1941 von den Deutschen verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht worden.

Die »Verhaftung« schloss allerdings ein, dass Bandera zwischen seinen Gesprächen mit der Gestapo in Berlin spazierenging und in Sachsenhausen in komfortabler »Ehrenhaft« saß. Er hatte schließlich Verdienste: Vor dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 bereitete er zusammen mit der deutschen Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris im besetzten Polen den »Fall Barbarossa« vor und stellte zusammen mit dem späteren Bundesminister Theodor Oberländer das ukrainische Nazibataillon »Nachtigall« auf. Mindestens eine BRD-Ehrenpension war ihm sicher.

Jung liest aus einem Flugblatt vor, das beim Einmarsch der Wehrmacht in der Ukraine verteilt wurde: »Volk, das musst du wissen: Moskowiten, Polen, Ungarn und Juden sind deine Feinde. Vernichte sie! Das musst du wissen, deine Führung, dein Führer Stepan Bandera.« Melnyk: »Ich werde dir heute nicht sagen, dass ich mich davon distanziere.« Jung: »Ich verstehe nicht, wie man jemand als Helden verehren kann, der gleichzeitig Massenmörder von Juden und Polen war.« Melnyk: »Bandera war kein Massenmörder von Polen und Juden.«

Hinzuzufügen wäre: Vor und nach 1945 war Bandera vor allem Massenmörder von Rotarmisten, sowjetischen Amtsträgern und russischsprachigen Zivilisten. Das wird seit acht Jahren mit dem Mord an Russen in der Ostukraine von Kiew fortgesetzt, genannt »Antiterroristische Operation«.
In seiner Distanzierung von Melnyk am Freitag dankte das Kiewer Außenministerium Warschau für die »beispiellose Hilfe« im Kampf gegen die »russische Aggression«. Denn in Polen war man über Melnyk verstimmt. In der Bundesrepublik nicht. Der Mann hat nichts gesagt, was hier Aufsehen erregen könnte.

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