...nutzen wir die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wieso wir der Situation so hilflos gegenüberstehen. Ein Grund deutet sich jedes Mal an, wenn jemand von „Putins Vernichtungskrieg“ spricht: Der bedenkenlose Griff nach gerade demjenigen Label, mit dem die Historik Hitlers Rassefeldzug gegen Russlands „Untermenschen“ meint, liegt nicht nur nahe an dem widerwärtigen Reflex, Israel „Nazi-Methoden“ nachzusagen. Sondern zeigt auch anderweitig deutlich, wie die Bundesrepublik nach 1945 aus der Geschichte ausgetreten ist.
Ideell fand sie rasch Aufnahme in die „Wertegemeinschaft“, ökonomisch wurde sie gepäppelt. Der Preis dafür war politisch: Man hatte sich als Schlachtfeld für den großen Showdown bereitzuhalten, der freilich immer unwahrscheinlicher wurde. Unter dem Strich bezahlte man für die Westbindung mit einem Abschied von aktiver Außenpolitik – abgesehen vom kurzen Jahrzehnt der Willy Brandts und Egon Bahrs, die aber eher für das deutsch-deutsche Verhältnis Akzente setzten als für die Weltpolitik. Ein Resultat dessen war eine „Erinnerungskultur“, in der „Hitler das rosa Kaninchen stahl“ und man den D-Day feierte, als sei man dabei gewesen. Stalingrad hingegen blieb eine Niederlage – und Leningrad, was war da noch? Man blickt auf Russland, als sei man Amerika.
Das andere Ergebnis des Austritts aus der Geschichte zeigt sich vom Twitter-Kommentariat über die Leitmedien bis zur deutschen Politikwissenschaft: Nach einer Umfrage zur methodischen Selbsteinordnung, die der Politologe Kai Koddenbrock jüngst veröffentlicht hat, fällt diese im internationalen Vergleich dadurch auf, in der weltpolitischen Analyse „realistische“ Modelle krass zu vernachlässigen. Es herrscht ein außenpolitisches Denken, das Macht und Machen ausklammert, aber gern ein wenig Moral verströmt. Das weniger nach realen Interessen, Spannungen und Gefahren fragt als danach, wer nun „im Recht“ sei.
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