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Heute vor 100 Jahren

Jürgen Scheller

* 21. August 1922 † 31. März 1996

Kam ein Gast ins Kabarett

Text: Klaus Peter Schreiner

Kam ein Gast ins Kabarett,
fand die Räumlichkeiten nett,
zahlte seinen Obolus
ohne jeglichen Verdruß,
legte Mantel ab und Hut,
fand sogar den Sitzplatz gut,
winkte sich den Kellner her
zwecks Bestellung von Verzehr,
wählte eine Extra dry,
fand dieselbe einwandfrei,
trank die ersten Gläser ex,
sah sich um, nach etwas Sex,
lächelte verführerisch
dreimal kurz zum Nebentisch,
brachte einen Flirt in Gang,
freute sich, weil’s ihm gelang,
streifte, als das Licht ausging,
heimlich ab den Ehering,
drehte dann mit frohem Sinn
seinen Stuhl zur Bühne hin,
lachte mehrmals ungeniert
über das, was dort passiert,
brach schon bei dem Namen Strauß
ohne Grund in Beifall aus,
schlug sich auf die Schenkel dann
oder seinem Nebenmann,
flirtete mit einer Frau,
einer andern, wurde blau,
ließ sich in der Pause nun,
statt das Gegenteil zu tun,
eine zweite Extra dry
kommen, denn er blieb dabei,
sprach: Na, ist das nicht grandios?
Hier ist endlich mal was los!
Nie mehr schau ich mir so’n Mist an,
wie den Hamlet oder Tristan!
Klatschte, als das Licht ausging
und der zweite Teil anfing,
war erst geistig noch ganz fit,
sang dann aber manchmal mit,
lachte sich so gut wie tot,
kam dann plötzlich sehr in Not,
spürte einen bösen Drang,
wünschte sich den Abgesang
und das Ende des Programms,
zog die Uhr aus seinem Wams,
prüfend, ob’s nicht bald vorbei,
trank den letzten Extra dry,
brannte sich ein Loch ins Hemd,
saß am Ende ganz verklemmt,
spendete gequält Applaus,
als dann feststand, es ist aus,
lachte über ein Bonmot
seinerseits - und ging aufs Klo,
sah dann schließlich an der Bar,
daß kein Flirt mehr möglich war,
zog sich Mantel an und Hut,
fand die frische Luft nicht gut,
kam zu spät zur letzten Tram,
sprach zu sich: ein scheiß Programm!

#JürgenScheller #Kabarett #Satire #KlausPeterSchreiner #MünchnerLachundSchießgesellschaft #Geburtstag #birthday

nebukadnezar@sechat.org

Dieter Hildebrandt - Überleben Sie mal

aus:
Was bleibt mir übrig | Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett. | Texte 1961 -1964

Knaur | 1989 | ISBN: 9783426023846
94 / ~2000 :)) #neverendingbookcoverchallenge

Überkleben Sie Plakate, Transparente,
wo geschrieben steht, es ist nun alles aus.
Überlassen Sie das bitte dem Talente,
der Voraussicht unsrer Herrn im Bundeshaus.
Übergeben Sie suspekte Elemente,
die das sagen, der Verfassungspolizei.
Auch der Untergang der Welt war eine Ente.
Pazifismus ist nur leere Rederei.
Weil alles halb so wild ist,
wenn man nur recht im Bild ist.
Weil man nur an geschmiert ist,
wenn man nicht informiert ist.
Weil alles halb so schwer ist,
weil alles kein Malheur ist,
weil jeder Amateur ist,
der sich dabei empört.

Überheben Sie sich sämtlicher Bedenken,
eine Bombe kostet nicht gleich jeden Kopp,
und die Kirche sagt, der Herr wird sie schon lenken,
und der lenkt sie in den Osten. Na und ob...
sie aber über Oberammergau
oder aber über Unterammergau,
oder aber überhaupt nicht fällt,
ist nicht gewiß.

MLuS

BÜRGERIN:
Der Mensch von heute soll nicht höher als höchstens im Hochparterre wohnen.
1. BÜRGER:
Warum denn das?
BÜRGERIN:
Je höher der Stand der Technik, um so tiefer muß der Mensch wohnen.
1. BÜRGER:
Weswegen?
BÜRGERIN:
Damit er’s nicht so weit in den Keller hat.
2. BÜRGER:
(Zieht ein Buch heraus.)
»Eine moderne Fernrakete hat eine Geschwindigkeit Von 28 000 Stundenkilometern. Die Flugzeit von Bratislawa bis München würde also fünf Sekunden betragen.«
3. BÜRGER:
Sagen Sie!
2. BÜRGER:
Nein, sagt der Fachmann.
1. BÜRGER:
Sie vergessen unser hochentwickeltes Warnsystem; es kann uns nichts passieren.
3. BÜRGER:
Unser was?
1. BÜRGER:
Warnsystem.
(Zieht eine Broschüre heraus und liest.)
»Bei einem drohenden Angriff wird die Bevölkerung durch den Rundfunk über die allgemeine Lage laufend unterrichtet.«
3. BÜRGER:
Sagen Sie?
1. BÜRGER:
Nein, sagt diese amtliche Broschüre.
3. BÜRGER:
Moment, das möchte ich wissen. Ich gehe jetzt hinaus und bin die Rakete. Einer von Ihnen spielt den Bayerischen Rundfunk, und einer zählt von 21-25, und dann schlage ich ein.
(Geht ab.)
2. BÜRGER:
Ich bin der Bayerische Rundfunk.
BÜRGERIN:
Und ich zähle bis 25. Alles fertig?
3. BÜRGER: (Von ganz weit hinten.)
Fertig! Ich liege bereits auf der Abschußrampe!
BÜRGERIN:
Einundzwanzig — zweiund...
2. BÜRGER:
Hier ist der Bayerische...
BÜRGERIN:
zwanzig — dreiund...
2. Bürger:
Rundfunk.
BÜRGERIN:
zwanzig — vierund...
2. BÜRGER:
Vor fünf Sek...
(Alle stürzen mit einem Schrei von der Bühne. Die »Bombe« tritt auf.)
3. BÜRGER:
Wo sind Sie denn?
2. BÜRGER:
Im Keller!!
3. BÜRGER:
Sie waren doch der Rundfunk. Sie müssen doch das Volk warnen?
2. BÜRGER:
Und wer warnt mich?
(Alle kommen langsam wieder auf die Bühne.)
3. BÜRGER:
Das Frühwarnsystem funktioniert ganz toll, was? Und was sollte denn der Quatsch mit der Aktentasche? Warum haben Sie die über den Kopf gehalten, als ich einschlug?
BÜRGERIN:
Das habe ich in der amtlichen Broschüre des Bundesinnenministeriums gelesen.
1. BÜRGER:
Jawohl, Aktentaschen schützen gegen Strahlung und herabfallende Trümmer.
2. BÜRGER: (Schlägt sein Buch auf.)
»Bei einer Oberflächenexplosion berührt der Feuerball die Erdoberfläche. Dabei werden Gestein, Erde und andere Materialien verdampft und in den Feuerball aufgesogen.«
BÜRGERIN:
Und was sagt Ihre Broschüre?
1. BÜRGER:
»Die Hitzestrahlung breitet sich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus. Sie wirkt aber wegen ihrer kurzen Dauer nur auf die jeweils getroffene Oberfläche. In der Nähe schützen davor bereits Mauervorsprünge und größere Gegenstände.«
2. BÜRGER:
Aktentaschen.
1. BÜRGER:
Jawohl!
BÜRGERIN:
Vielleicht sollte man noch was rein tun in die Aktentasche, dann schützt sie noch mehr.
2. BÜRGER:
Ja, die Broschüre vom Innenministerium.
(Er liest aus seinem Buch.)
»Eine Wasserstoffbombe bewirkt nach den Erfahrungen von Bikini eine Verseuchung von 20 000 Quadratkilometern.«
1. BÜRGER:
Unsinn! Da lese ich doch lieber die Broschüre! »Die sogenannte Anfangsstrahlung dauert etwa 60 Sekunden und reicht nie weiter als 3-5 Kilometer vom Explosionspunkt.«
BÜRGERIN:
Wir wollten sowieso aufs Land ziehen.
1. BÜRGER:
Tun Sie es nicht, denn in meiner Broschüre steht:** »Flucht bringt keine Rettung.«
ALLE:
Ach soo?
1. BÜRGER:
Ja. »Wer sich auf die Flucht begibt, kann nicht rechtzeitig gewarnt werden.«
2. BÜRGER:
Vom Bayerischen Rundfunk!
Überleben werden wir’s auf alle Fälle, weil die Seele immer noch unsterblich ist.
Keinen Fußbreit rückt der Deutsche von der Stelle, wie ihr alle noch vom letzten Krieg her wißt.

Überheben Sie sich sämtlicher Bedenken,
eine Bombe kostet nicht gleich jeden Kopp.
Und die Kirche sagt: Der Herr wird sie schon lenken,
und der lenkt sie in den Osten, na und ob...
sie aber über Unterpfaffenhofen
oder aber über Oberpfaffenhofen
oder aber ganz genau ins Altmühltal,
ist fast egal.

peace
#peace #nowar #nohate

#DieterHildebrandt #MünchnerLachundSchießgesellschaft #Kabarett #Satire #Bücher #HarrysRegal