Schon etwas älter (2011). Am liebsten würde ich gleich alles zitieren, so gut gefällt mir diese sehr differenzierte Diskussion. Um den hiesigen Rahmen nicht zu sprengen, nur jeweils ein Ausschnitt von Aussagen der jeweils Beteiligten und wieder einmal der Hinweis, dass der ganze Text lesenswert ist, siehe https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/323_islamophobie_islamismus/fab
Kritik ja! Aber woran?
Eine Debatte über #Rassismus, #Ressentiment und #Islamkritik Von Birgit Rommelspacher, Lothar Galow-Bergemann, Markus Mersault und Ismail Küpeli
Iz3w: Gibt es in der gegenwärtigen Debatte über den Islam(ismus) einen antimuslimischen Rassismus? Wenn ja, worin besteht er und was ist das Spezifische an ihm?
Birgit Rommelspacher:
... viel an der so genannten „Islamkritik“ ist als ein Rassismus zu werten, da es sich hier um überwiegend pauschalisierende und abwertende Äußerungen handelt, die die Betroffenen als Kollektiv diskreditieren. Dabei werden viele Menschen einfach als Muslime apostrophiert, unabhängig davon, ob sie sich selbst so verstehen. Es wird in der Regel nicht zwischen unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Islam differenziert, und es kommen so gut wie nie die Betroffenen selbst zu Wort. So werden etwa im Zusammenhang mit der Frauenfrage die muslimischen feministischen Bewegungen so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. [...] Nun finden wir Pauschalisierung und Stereotypisierung allenthalben, ob es - um ein klassisches Beispiel zu nennen – etwa um Ressentiments der Bayern gegen die Preußen geht und umgekehrt, oder heutzutage bei der Diskussion um die so genannte Deutschenfeindlichkeit. Der Unterschied zum Rassismus ist der, dass dieser auf ein gesellschaftliches Verhältnis abzielt: das heißt, dass durch die Diskreditierung auch real die Chancen der Betreffenden in der Gesellschaft beeinträchtigt werden. So wurde beispielsweise das islamische Kopftuch als ein Zeichen von Frauenunterdrückung gedeutet und in der Hälfte der Bundesländer im Öffentlichen Dienst verboten, was, wie kürzlich eine Berliner Untersuchung zeigte, dazu führte, dass muslimische Frauen generell deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Lothar Galow-Bergemann / Markus Mersault:
Damit Kritik nicht hilflos ihrem Gegenstand gegenübersteht, bedarf es der Arbeit an und mit Begriffen, die jenem Gegenstand gerecht werden und seine wesentlichen Elemente auch tatsächlich benennen. Wir sprechen daher vom antimuslimischen Ressentiment statt von Rassismus, weil wir glauben dass spezifische Ressentiments gegen Menschen existieren, die als Muslime identifiziert werden. [...] Es lassen sich auch traditionell rassistische Elemente ausmachen, etwa die imaginierte Minderwertigkeit von Moslems, die sich auf ein vormaliges oder gegenwärtiges Produktivitätsgefälle beruft.
Aber zugleich weisen antimuslimische Ressentiments über rassistische Elemente hinaus, wenn sie - um nur zwei Spezifika zu nennen - in verschwörungsphantasierendem Duktus sich vor der „Gebärmutter als Waffe des Islam“ fürchten und die westliche Gesellschaft vor islamischer Überflutung und Unterjochung retten wollen. [...] Zum anderen manifestiert sich im antimuslimischen Ressentiment, wie es in Deutschland kursiert, die gescheiterte Vergangenheitsbewältigung. Es bietet Entlastung, indem es Deutschen eine moralische Sanierung ermöglicht: Die Benennung des auch in der islamischen Welt virulenten Antisemitismus dient dem Zweck, das absolut Böse woanders auszumachen und so die deutsche Identität zu rehabilitieren. Auch erscheinen die Deutschen nunmehr als moderne Opfer an der Seite der wahren Opfer, nämlich der Juden. Beide Elemente finden sich im Rassismus typischerweise nicht.
Ismail Küpeli:
Grundsätzlich kann die Feindschaft gegenüber Muslimen in Deutschland durchaus als Rassismus bezeichnet werden, wenn man von „Rassismus ohne Rassen“ (in Anschluss an Balibar/ Hall) ausgeht. Hier sind zwei Kriterien zentral: Erstens die Kategorisierung von Menschen aufgrund kultureller Eigenschaften, die als fest und relativ unveränderlich definiert werden. Zweitens die Ausgrenzung von Menschen aufgrund dieser Kategorisierung. Diese beiden Aspekte finden sich bei der Feindschaft gegen Muslime in Deutschland wieder. Dabei ist es recht unerheblich, dass statt „Rasse“ von „Kultur“ gesprochen wird, wenn „Kultur“ als etwas Essentielles und Unveränderliches verstanden wird.
Zu den erwähnten Islamkritikerinnen: Sie und viele andere, wie etwa Necla Kelek oder Mina Ahadi, sollten als politisch Handelnde ernst genommen werden, unabhängig von Lebensgeschichten. Wenn sie den Islam mit Faschismus gleichsetzen (Ahadi) oder den Muslimen in Europa eine „geheime Agenda“ zur Durchsetzung der Scharia unterstellen (Kelek, Hirsi Ali), dann gibt es keine Basis für eine gemeinsame emanzipatorische Praxis mit solchen „KritikerInnen“. Eine solche „Kritik“ dient nur dazu, die weitere Ausgrenzung der Muslime zu legitimieren. Und spätestens wenn „IslamkritikerInnen“ mit rechten Akteuren kooperieren, wie etwa mit Geert Wilders (Hirsi Ali), Udo Ulfkotte (Ahadi) und Thilo Sarrazin (Kelek), dann gibt es allen Anlass, sich deutlich abzusetzen.
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