#politricks

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Zum Begriff "Asylkompromiss":

Im jamaikanischen Englisch existiert der Begriff »Politricks«, der auf das im Oxford-Englischen gebräuchliche »Politics« referiert und Politik mit Trickreichtum assoziiert. »Asylkompromiss« ist so ein betrügerisches Spiel mit Worten in Gestalt eines Euphemismus: Denn es gibt keinen Kompromiss zwischen jenen, die um Aufnahme bitten, und denen, an die dieses Begehr adressiert ist. Eine Geflüchtetenvertretung saß nie mit am Verhandlungstisch. Statt dessen ist die jüngste Entscheidung, die Grenzen der Festung Europa mit gefängnisähnlichen »Asylzentren« auszubauen, wie schon vor 30 Jahren das Ergebnis von Zwistigkeiten zwischen Lagern ein und derselben herrschenden Klasse.

Als sich im Dezember 1992 CDU/CSU, FDP und SPD darauf einigten, das Grundrecht auf Asyl faktisch abzuschaffen, mochte damals noch klarer gewesen sein, wer sich hier auf was einigte. Für den vollumfänglichen Erhalt des Artikels 16 des Grundgesetzes protestierten am Tag der Abstimmung im Bundestag, dem 26. Mai 1993, in Bonn trotz Bannmeile immerhin 10.000 Menschen. Sie blieben ungehört. »Gehört« worden war vielmehr der rechte Mob, der landauf, landab »Fidschis« klatschte und »Türken« jagte. Allein zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 26. Mai 1993 waren diesem Terror mehr als 80 Menschen zum Opfer gefallen – das letzte Opfer, der deutsch-ägyptische Schauspieler Jeff Dominiak, noch am Tag der Bonner Abstimmung.

1993 hatten sich die Grünen, neben der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), noch gegen die Einschränkung des Rechts auf Asyl ausgesprochen. Sie hätten schließlich mit einer Fürsprache auch nirgends gepunktet. Heute, wo die Partei in Regierungsverantwortung steht und sich ein anführender Hyperrealoflügel intern mit einem anderen Realoflügel zumindest nach außen hin ein bisschen kampeln muss, bedecken grüne Krokodilstränen die dürre Erde: »Auch mich hat das zerrissen«, menschelte Außenministerin Annalena Baerbock Joseph-Fischer-like auf dem Länderrat ihrer Partei am vergangenen Wochenende im hessischen Bad Vilbel. Sie reagierte damit auf Kritik, aus den Reihen des Jugendverbands, aber auch in Form eines Briefs von 80 Landtagsabgeordneten, die beklagten, die Reformen würden »keine Menschenleben retten, keine gerechte Verteilung in der EU herbeiführen und den Kommunen keine Abhilfe bei ihren akuten Problemen schaffen«, statt dessen aber »eine weitere Verschlechterung der Rechte für Menschen, die sich auf der Flucht befinden«, bedeuten.

Denn das besagt der neue »Asylkompromiss«: Menschen, die ob ihres Passes statistisch wenig Chancen auf Anerkennung ihres Asylstatus haben, aus Ländern wie der Türkei oder Tunesien also, sollen nunmehr während des laufenden Asylverfahrens in der Nähe der EU-Außengrenze wie Häftlinge interniert werden. Die Verfahren sollen nicht länger als drei Monate dauern, bei negativem Bescheid soll die Abschiebung innerhalb von sechs Monaten geschehen. Zweifel daran, dass diese Fristen eingehalten werden, äußerte unter anderem die NGO Pro Asyl. In Anbetracht des Untergangs eines Flüchtlingsschiffs mit Hunderten Menschen an Bord vor der südgriechischen Hafenstadt Pylos vergangene Woche betonte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die Reform besiegele die »Beerdigung der Genfer Flüchtlingskonvention«.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die sogleich nach Tunis eilte, um den »Partnern« in Sachen Migrationsabwehr finanzielle Zuwendungen anzukündigen, spricht derweil lieber davon, dass man das »Sterben im Mittelmeer« beenden und »Schlepper« dingfest machen wolle. Denn die sind in der Logik derjenigen, die sich Begriffe wie »Asylkompromiss« ausdenken, nämlich die eigentlich Schuldigen an der Migration – und nicht die imperialistische Gesamtordnung, in der die globalen Habenichtse, sofern sie westeuropäisches Kapital der Ausbeutung nicht für gut befunden hat (Stichwort: Einwanderungsgesetz), bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, oder eben neuerdings »menschenrechtskonform« ins Gefängnis kommen.
- von Ken Merten
https://www.jungewelt.de/artikel/453186.rotlicht-asylkompromiss.html