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Solange man sich in der Zerstörung von Kunstwerken übt, bleibt das Gerede von der Verteidigung »westlicher Werte« an der russisch-ukrainischen Front ein Treppenwitz der postsowjetischen Geschichte.

Kabale der Scheinheiligen

Krieg gegen die Kultur: Die Ukraine will Schluss machen mit russischer Kunst. Auch mit dem widerständigen Geist Michail Bulgakow

....Nicht erst seit Beginn des russischen Angriffs, aber seitdem besonders lautstark, wird über Bulgakow in der Ukraine mit ausgestrecktem Zeigefinger gesprochen. Man hat genug von dem Schmuddelkind. Zunächst wurde nur die Ehrenplakette an der Fassade seines Geburtshauses entfernt. Offizielles Ziel des Manövers: die Ent-Russifizierung der Ukraine. Man könnte aber ebenso gut behaupten: die intellektuelle Selbstkastration einer Nation.

Aber die Zukunft von Statue und Museum ist ebenfalls gefährdet. Die Museumsdirektorin ist unter Rechtfertigungsdruck. Im Parlament wird geraunt, die russische Kultur sei eine Waffe im Kampf gegen die Ukraine. Anwohner beschweren sich über das Monument des »Russen« in ihrer Straße. Und die auch in Deutschland gefeierte ukrainische Autorin Oksana Sabuschko fordert, des »Fremden«, ihres Schriftstellerkollegen, in Kiew nicht mehr zu gedenken.

All das entbehrt nicht einer gewissen traurigen Ironie, da Michail Bulgakow das Leben in der Sowjetunion durchaus kritisch in seinen Werken verarbeitete. Sein bekanntester Roman, »Der Meister und Margarita«, konnte erst Jahrzehnte nach seiner Entstehung erscheinen und ist zum Erweckungsbuch des östlichen 68 geworden.

Immer wieder wird gegen den Autor ins Feld geführt, er sei von Stalin geschätzt worden. Ein denkbar schwaches Argument. Zumal Bulgakow auf die ihm gemäße Art, nämlich schriftstellerisch, auf das stets schwierige Verhältnis von Kunst und Machtapparat reagiert hat, etwa in seinem Theaterstück »Die Kabale der Scheinheiligen«. Ein Titel, der auch bezeichnend ist für das Agieren derjenigen, die von einer kulturell gesäuberten ukrainischen Nation fantasieren.

»Die weiße Garde«, jener Roman, der im heute noch als Museum dienenden Haus spielt, dient einigen Kritikern als Beweis für die »Ukrainophobie« des Autors. Es handelt sich um einen literarischen Stoff, der im Kiew des nachrevolutionären Bürgerkriegs spielt und aus der Perspektive einer zarentreuen Familie erzählt wird, die die Roten ebenso verachtet wie das bäuerlich-ukrainische Provinzlertum. Schon zu Beginn wird gewitzelt über die ukrainische Sprache, die den Protagonisten ein primitives Russisch ist. Aber wer macht schon den Oberschülerfehler und verwechselt die Figuren mit ihrem Schöpfer? Da scheint es weitaus plausibler, die Ursache für die Antipathie woanders zu suchen. Vielleicht stört man sich daran, dass Bulgakow in dem Buch wie kein Zweiter den vorherrschenden Antisemitismus in der Ukraine dokumentiert.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wäre aber Grundlage für die Herausbildung einer kulturellen Identität. Solange das ausbleibt und man sich stattdessen in der Zerstörung von Kunstwerken übt, bleibt das Gerede von der Verteidigung »westlicher Werte« an der russisch-ukrainischen Front ein Treppenwitz der postsowjetischen Geschichte.

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