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Mich fröstelt diese Solidarität total

Für den 22. Oktober rufen zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft mitten im Krieg zu mehreren Demonstrationen auf. Während Karl Lauterbach von einem Deutschland sprach, das sich im »Krieg mit Putin« befindet (um wenig später zurückzurudern), hat der Aufruf für diese epochalen Zeiten gerade einmal zwei Worte übrig. Woran liegt das? (von Wolf Wetzel)

Jetzt wird die »Zivilgesellschaft« aktiv, also all die halb- und viertelstaatlichen Institutionen wie ver.di, Compact, GEW, Greenpeace, der Paritätische usw.

Sie rufen für den 22. Oktober 2022 zu mehreren Demonstrationen auf, die einen »solidarischen Herbst« bescheren sollen. Nebenbei soll »solidarische Sicherheit« geschaffen und die »Energiewende« beschleunigt werden (siehe unten)

Wer hätte etwas gegen Solidarität – nicht nur für den Herbst? Wer hätte etwas gegen »solidarische Sicherheit«, wenn man wüsste, wer damit alles gemeint und wer dabei als Gefahr gilt.

Und natürlich ist eine »Energiewende« auch nicht zu verachten.

Aber warum jetzt – für den Herbst?

Alle ahnen es: Es geht um den Krieg in der Ukraine ab Februar 2022, der, ab da, also bitte nur ab da, als »Angriffskrieg« bezeichnet werden darf. Dabei ist sich die »Zivilgesellschaft« nicht zu dumm für Personalisierung, die diese ansonsten als rechtsoffene bis antisemitische Theoreme verpönt. Es ist »Putins Angriffskrieg«, der sie unheimlich empört und aus dem »Sommermärchen« eines Franz Beckenbauer reißt, das vor Korruption und Heuchelei nur so strotzte.

Ach ne, Putin. Und was war vor dem Februar 2022?

Okay, Putin war‘s. Das wäre aber alles nicht so schlimm, also so schlimm wie immer, wenn der Krieg in der Ukraine ab Februar 2022 nicht doch auch Deutschland erreicht.

Eigentlich hat man sich an Krieg und Hunger, woanders, längst gewöhnt. Neben dem Umstand, wie man dagegen kämpfen kann, steht auch außer Frage, dass diese Kriege dort, dieser Hunger dort, eben auch unseren Wohlstand garantiert.

Aber dieser Krieg in der Ukraine ist eben doch anders … als gedacht. Man wollte ihn dort führen, mit Geld und Waffen und blauweißen Fähnchen und Sticker, aber hier davon verschont werden. Dann wäre es ein Luxus und eine Belanglosigkeit zugleich gewesen, dafür oder dagegen zu sein.

Aber jetzt erreicht der Krieg auch uns, hier in Deutschland. Das ist nicht fair! Wir liefern doch nur Waffen und ganz viel Solidarität?

Okay, jetzt sollen wir »frieren«, für die Ukraine, für die Politik der Bundesregierung.

Wer ist daran schuld? Natürlich: Putin!

Wer hat die Nord Stream II, die Gas, sehr günstiges Gas nach Deutschland liefern sollte, torpediert? Wer hat gedroht, ihr ein »Ende zu bereiten«? Was das Putin oder … der US-Präsident Joe Biden? Okay, Schwamm drüber.

Wer hat dafür gesorgt, dass Nord Stream I und II mit einem Sabotageakt, der nur von staatlichen Akteure ausführen werden konnte, in absehbare Zeit, für Gas- und Öllieferungen nicht mehr zur Verfügung steht? Natürlich Putin, weil der einfach so irre ist, sein eigenes Projekt in die Luft zu sprengen.

Und wer glaubt all diesen Bullshit neben der Bundesregierung? Auch die »Zivilgesellschaft«, die nun im Oktober auf die Straße gehen will:

»In diesem Herbst treffen uns die Folgen von Putins Angriffskrieg mit voller Wucht: Viele von uns wissen nicht, wie sie Gas- und Stromrechnung bezahlen sollen. Etliche haben sogar Angst, ihre Wohnung zu verlieren und vom gesellschaftlichen Leben weiter ausgeschlossen zu werden – weil alles teurer wird, Löhne und Transferleistungen reichen nicht mehr aus.« (Aufrufstext)

Wie dreist muss man sein, um den Wirtschaftskrieg, der lange vor dem Februar 2022 begann, ins Gegenteil umzukehren. Es war nicht »Putin«, der diesen Wirtschaftskrieg begann! Es war ganz vorne die US-Regierung, die alles dafür tat, dass es kein »günstiges« Gas aus Russland geben sollte. Sie hat dafür gesorgt, dass Firmen sabotiert wurden, die sich an diesem Projekt beteiligt hatten. Und sie war es, die vom Ende dieser Pipeline profitieren wollte – mit LPG-Gas aus den USA, das um ein zigfaches teurer ist.
Wir frieren schon lange nicht – zusammen.

Es frieren nur jene (noch mehr), die schon immer vom »Wohlstand« ausgeschlossen waren – ganz ohne »Putin«.

Wer plötzlich ein »wir« konstruiert, das es in Deutschland nie gab, der betreibt keine oppositionelle Politik, sondern eine staatstreue Politik, die uns erzählen möchte, dass es »Putin« ist, dem wir eine kalte Wohnung, hohe Energierechnungen und explodierende Lebenshaltungskosten zu verdanken haben.

Wer nur halbwegs bei Trost ist, weiß, dass der Energiemarkt nicht von »Putin« kontrolliert wird, sondern von internationalen Konzernen, die in der Mehrheit nicht in Russland ansässig sind. Sie bestimmen die Preise, sie spekulieren mit den »Rohstoffen«, wie eh und je. Das finden doch alle staatstragende Parteien in Deutschland vollkommen in Ordnung! Denn so ist das Prinzip mit und ohne Krieg: Man profitiert nicht vom Überfluss, sondern vom Mangel. Man profitiert von Krisenstimmungen. »Kaufen, wenn in den Straßen Blut fließt«. Das sagte nicht Putin, sondern einer, der im »freien« Westen zum Milliardär wurde.

Was hat das also alles mit »Putin« zu tun? Verdammt wenig.

Der Mangel an Gas und Öl (in Deutschland) ist ein Ergebnis des Wirtschaftskrieges, den die US-Regierung massiv und die EU-Staaten (einschließlich Deutschland) hingenommen haben. Man kann es auch chronologisch fassen: Dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 ging der US-geführte Wirtschaftskrieg gegen Russland und ein US-lizensierter Putsch in der Ukraine 2014 voraus.

Heute sind die rot-gelb-grün-schwarzen Politiker sogar für die weitsichtige US-Wirtschafts-Kriegs-Politik dankbar und geißeln sich brav und übermäßig für ihre »Naivität«, mit Russland gute Geschäfte gemacht zu machen. Unentwegt entschuldigen sie sich wie Schuljungen dafür, dass sie das nicht auch so gesehen haben und kaufen jetzt für das Vielfache LPG-Gas aus den USA. Wer jetzt nicht mitinfantilisiert kann sich ausrechnen, wer an diesem Krieg in jeden Fall verdient – ohne die Toten auf dem Schlachtfeld zu zählen.

Der Krieg in der Ukraine ab Februar 2022 wird in besagten Aufruf mit gerade einmal zwei Worten »Putins Angriffskrieg« erwähnt. Das deckt sich mit der Bundesregierung. Das sagen auch die versammelten Politik-Soldaten im und außerhalb des Parlaments. Aber wollen/sollen sich die Demonstrationen vielleicht doch vom Bundesregierungskurs unterscheiden – wenigsten ein bisschen?

Oder verstehen sie sich vielmehr als stand by Regierung, demonstrieren gar nicht wirklich gegen diese Regierung, sondern vor allem gegen jene, die »falsch« demonstrieren:

Damit aus der Krise ein Aufbruch erwächst

»Wir überlassen in diesem Herbst nicht den Spaltern und Hetzern die Straße, sondern geben den vielen Menschen eine Stimme, die solidarisch die Krise stemmen wollen. Damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet, muss die Ampel die Kosten der Krise endlich fair verteilen. Wir wollen uns dafür stark machen, dass aus der Krise ein Aufbruch erwächst“, so Christoph Bautz, Geschäftsführender Vorstand von Campact und ebenfalls Bündnispartner.« (Aufruf)

Der »erste Schuss« fiel nicht in der Ukraine

Es ist kein großes Geheimnis, dass jedes Wort mehr, jede Erklärung, wie es zu diesem Krieg kommen konnte, wer alles auf diesen Krieg in der Ukraine hingearbeitet, wer die »regelbasierte Weltordnung« gebrochen hat, das Bündnis zum Platzen bringen würde.

Und erst recht würde sich das Bündnis in Staub auflösen, wenn man die Frage stellen und beantworten würde, wer politische und diplomatische Lösungen torpediert, wer Vereinbarungen bewusst und zielstrebig gebrochen hat.

Es geht hier nicht darum, zu sagen, wer den ersten Schuss abgegeben hat, zumal man ja dann auch den Zeitraum festlegen müsste, ab dem man einen Schuss gehört hat.

Es geht darum, welche Rolle gerade die deutschen Bundesregierungen seit 1990 spielen. Dazu könnten doch die Bündnispartner ausreichend und genügend sagen! Warum schweigen sie?

Wenn man also erwähnt, dass alle Zusagen im Rahmen der 2 plus 4-Gespräche im Zuge der »Wiedervereinigung« gebrochen wurden, dass dieser Bruch den Weg in Richtung Russland geöffnet hat, um Zug um Zug vorzurücken (was man dann »NATO-Osterweiterung« nannte), dann wäre doch ein wesentliches Instrument benannt, um hier einiges in die Waagschale zu werfen, um den Mitverursachern dieses Krieges hier den Frieden aufzukündigen.

Der größte gemeinsame Nenner, auf denen sich das Bündnis geeinigt hat, ist doch deutlich herauszulesen: »Putins Angriffskrieg« ist schlimm bis epochal und man darf ihn nicht gewinnen lassen. Über die Mittel schweigt man, dann muss man den eklatanten Bruch der Zusage, keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu schicken, nicht erwähnen bzw. bewerten.

Ich will den Bündnispartner*innen nicht auf die Füße treten – oder doch:

Kann es sein, dass der Krieg gegen Russland (also ganz im Sinne von Karl Lauterbach) eigentlich irgendwie doch in Ordnung ist, wenn man ein paar störende postfaschistische Figuren und Strukturen in der Ukraine wegradieren könnte und wenn man hier vom Krieg nichts spürt, also ins Kino gehen und sich den Film »Im Westen nichts Neues« anschauen kann? Und wenn dann noch dem Krieg on top eine ökologische, nicht-fossile »Zeitenwende« hinzufügt werden könnte, dann ist es doch alles latte (macchiato).

Quellen und Hinweise:
- Solidarischer Herbst – Aufruf: https://www.solidarischer-herbst.de/

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