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+++Verbotene Meinungen+++

Ich pendle hin und her. Ob es Putin ist, der andere Meinungen verbietet oder der derzeit herrschende Druck der Common Responsibility in der hiesigen Öffentlichkeit, die unerwünschte Meinungen ächtet. Beides sind unterschiedlich ausgeprägte Merkmale einer Diktatur. Über die Frage der Ausrichtung mag man vielleicht noch streiten, fest steht jedoch, es gibt mal wieder keine Grautöne.

Gerade scheinen wir die Coronagräben unserer Ansichten überwunden zu haben, da stößt uns die übrig gebliebene Unkultur unserer Diskussionen schon wieder übel auf. Nur schwarz und weiß. Putin ist Hitler 2.0, Schröder sein Rudolf Hess, und überhaupt, die Russen sind die Bösen und Solidarität mit der Ukraine ist bedingungslose Influencerpflicht.

Die Klitschkos als Hybridhelden aus Show und Politik und deutsch und ukrainisch, Selenskyj im Tarnfarbenunterhemd sind dabei die Testimonials unserer Redlichkeit und die Helden unser halbwegs gelernten- bis geahnten Überzeugungen. Ein ungleicher Kampf zwischen David und Goliath, der keine Zweifel daran lässt, auf welcher Seite wir stehen. Ein Fluidum des Widerstands gegen Tyrannei und eine Attitude von „Nie wieder Krieg“, die so glaubwürdig klingt, wie ein Milky Way, das in Milch ertrinkt. Ok. Wir engagieren uns immer für die Bedürftigen und die Schwachen. Das ist klar. Wirklich? Und das ohne Vorbehalt. Echt? Keine Fragen und keine Zweifel am jahrelangen Vorgehen der NATO und der EU gegenüber der Ukraine? Selbst jetzt noch ein Taktieren zwischen Eigeninteressen und geheuchelter Anteilnahme. Ist das jetzt euer Ernst?
Der Anteil unserer Regierungen an dieser vertrackten Lage ist nämlich sichtbar größer, als man es zugeben will. Und deshalb wird alles andere als bedingungslose Fahnentreue auch als Hochverrat und Kollaboration mit dem Feind gebrandmarkt. Der Krieg hat seine eigenen Narrative, die ewigen Tribunale zwischen Gut und Böse. Sie erinnern nicht nur längst an Science Fiction, sondern transportieren die Deutungen eins zu eins in Potemkinsche Dörfer. Die lagen übrigens in der – Ukraine.

Schon gar nicht sollte man jetzt unnötige Fragen stellen. Gibt es einen Unterschied zwischen Menschen, die in Schlauchbooten hilflos auf dem Mittelmeer treiben und Flüchtlingen aus dem ukrainischen Kriegsgebiet? Und was ist mit den insgesamt 26 Kriegen, die derzeit auf der ganzen Welt toben? Gab es damals im Syrienkrieg auch Spendenaktionen, Lippenbekenntnisse zahlreicher Z-Promis, Instagram Girlies, die mit Heizdecken an die Grenze fahren und geänderte Facebookprofilbilder, oder ist es nur die nackte und egoistische Angst vor dem eigenen Wohl, dass wir die nächsten sein könnten, die uns in die Arme des Betroffenheitskommerz’ treibt?

Ein Reflex, den wir uns seit dem Zeitalter der Socialmediakampagnen angewöhnt haben. Erst der Hashtag und dann das Reallife. Mittlerweile gleicht es einem aufgesagten Paradigma hinter jeden Satz und vor jedem Absatz ein betroffenes Leidensgesicht aufzusetzen und sein Hab und Gut anzubieten, nur damit die Schande des Wegsehens nicht an uns haftet. Dabei ist diese Krise erst durch unser Wegsehen zu dem geworden, was sie ist. Der Krieg in der Ukraine tobt seit 2014 und Menschen sterben nicht erst seit gestern. Die jetzige Eskalation ist zum großen Teil auch dem ungeschickten Vorgehen der westlichen Mächte und der perpetuierten Ignoranz ihrer Gesellschaften zu verdanken und man hätte viel früher schon auf Diplomatie, statt als auf Arroganz und falsches Machtgehabe setzen können.

Stattdessen scheint man seine Versäumnisse jetzt aufzuarbeiten, indem man sich selbst recht gibt und ausgemachten Renegaten, wie Wagenknecht, Krone Schmalz und Gysi zu Kronzeugen im Prozess gegen ihre einstigen Überzeugungen macht. Damit aber bewältigt man keine Kriege, schon gar nicht schafft man damit Frieden, sondern man führt den Krieg auf rhetorischer Ebene weiter. Man versichert einander im hohen Ton, diesen Krieg moralisch auf jeden Fall schon mal gewonnen zu haben. Der reale Krieg aber hält sich nicht daran und mordet weiter.
Wir sollten es als Aufgabe für uns alle sehen, abzurüsten auch in unseren Köpfen und wegzukommen vom ewigen Freund und Feinddenken. Wir sollten den Selbstdarstellern und Profiteuren der Krise von RTL bis BILD, von TV-Stars bis zu Twitter Sternchen den Kampf ansagen und all denen, die sich jetzt im Rampenlicht des Pazifismus sonnen, aber auch denen, die ihren späten Hang zum Militärismus entdeckt haben, die Bühne verweigern. All das kann ein erster Schritt sein zu einer Besonnenheit, die wieder einordnen lässt, wo man selbst steht und wie die eigene Meinung ihren Platz inmitten der drohenden Katastrophe behalten kann, auch, wenn sie unbequem sein sollte.
©️Serdar Somuncu 2022

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