#### Aus der Abteilung Radwege, Stichwirt "Fundsachen"
Folgenden mit "Pflichtweg" überschriebenen Zeitungsartikel will ich
Euch nicht vorenthalten:
Die Pflicht des Radlers, einen vorhandenen Radweg zu benutzen, wird
von Radlerlobby, Versicherern und Verkehrsrechtlern wie unlängst in
Münster heftig diskutiert. Vielfach sind die Sonderwege in einem
baulichen Zustand, daß sie zumindest die Gruppe der sportlichen Radler
gefährden --- sofern die darauf bestehen, auch dort schneller als ein
Mofa zu fahren, wo Geschwindigkeitsreduzierung angezeigt wäre. Ein
Radweg macht aber auch im besten Erhaltungszustand eine unglückliche
Figur, wenn er vom motorisierten Verkehrsgeschehen unübersichtilich
weit "`abgesetzt"' geführt ist, wie es jahrzehntelang herrschende
Lehre war. An den Kreuzungspunkten ist das Unfallrisiko des
"Schonraums Radweg" besonders hoch, und das gilt wieder mehr in der
Stadt als auf freier Strecke. An der Bundesstraße hätten auch die
Radweg-Gegner gern ihren Sonderweg etwas abseits vom Fahrbahnrand.
Nun sind die Kassen aber leer , und ein Topf Farbe ist allemal
billiger als ein abgesetzter Radstreifen. Es ist eben ein komplexes
Thema, das allenfalls für Verkehrsjuristen einfach erscheint, solange
die Benutzungspflicht besteht: Wenn er nicht den Radweg benutzt, hat
der Radler im Konfliktfall eine Mitschuld, egal, wie schnell seine
Waden oder wie edel sein Rad und wie kraterübersät der Radweg gewesen
sein mögen. Bringt die Benutzung zur Ermessensentscheidung nicht
weniger Rechtssicherheit? --- Erinnnern wir uns: Der Radweg wurde
nicht erfunden, um Radfahren zu erleichtern, sondern um die langsamen
Radler dem motorisierten Verkehr aus der Bahn zu schaffen.
FAZ, 12.10.1993, "`Technik und Motor"'
Das Zitat stammt nicht von mir und ich stimme auch nicht in allen Punkten diesem Text zu, insb. bei
"An der Bundesstraße hätten auch die Radweg-Gegner gern ihren Sonderweg etwas abseits vom Fahrbahnrand."
widerspreche ich heftig.
Das Zitat eines Kommentars in der FAZ lieferte Karl Brodowsky, der immer noch die Web-Version meiner "50 Gründe, einen Radweg nicht zu benutzen" im Web bereitstellt, 1993 in einem Usenet-Posting in der deutschsprachigen Usenetgrupppe de.rec.fahrrad. Der Kommentar stammte nicht von ihm, wie er später schrieb.
Ich finde die Darstellung insofern bemerkenswert, als sich zwar damals ein gewisser Konsens unter den erfahrenen Radfahrenden dieser Usenet-Gruppe bildete, dass Ghettobau in Form von Radwegen ein radverkehrsfeindliches Konzept sei, die Fronten und der öffentliche Diskurs aber nicht so einheitlich und eisern auf Verdrängung nach holländischem Strickmuster ausgerichtet war wie heutzutage, über das gesamte etablierte politische Spektrum hinweg, von ganz links bis ganz rechts und von grün bis hin zu ordoliberal. Damals wurde noch über reale Risiken und realen Nutzen des Radfahrens diskutiert, nicht nur über gefühlte Sicherheit.
Und das Fähnlein hatte sich auch noch nicht nach dem Prinzip Insanity Is Doing the Same Thing Over and Over Again and Expecting Different Results wieder den da angesprochenen benutzungspflichtigen "weit abgesetzten" Sonderwegen zugewandt.
Erwähnenswert ist auch, dass dieser Kommentar zu einem Artikel in der Abteilung "Motor und Technik" einer nicht gerade für Kritik an einer autoorientierten Verkehrspolitik bekannten konservativen Zeitung veröffentlicht wurde. Karl schrieb drei Jahre später (1996) dazu
Du hast recht, dieser interessante Artikel ist ohne die Kenntnis des
Kontextes, der insbesondere an gleicher Stelle typischerweise
erscheinende Artikel umfaßt, durchaus anders interpretierbar als ich
es getan habe.Das führt uns aber von der wesentlichen Frage weg. Tatsache ist, daß
dieser Kontext sehr MIV-freundlich gehalten ist und daß der von mir
zitierte Artikel so einem an MIV-freundlichem Geschreibsel
interessierten Publikum die Tatsache bekannt macht, daß die Benutzung
von Radwegen vor allem dem MIV dient, auf Kosten von Sicherheit,
Bequemlichkeit und Geschwindigkeit von Radfahrern. Die Gefährlichkeit
von Radwegen ist also kein ADFC-Club-Geheimnis, sondern etwas, was
durchaus Kennern der Materie bekannt sein müßte. Die Verantwortlichen
für den Radwegebau sind also leider keine Kenner der Materie, wie wir
aus Gründen der Höflichkeit einmal annehmen sollten.
Erwähnenswert ist dass der als Touristikverein entstandene ADFC, als solcher eher den touristischen Radwegen zugeneigt, seine damals und zeitweilig durchaus radwegkritische Haltung bis zur Jahrtausendwende wieder weitgehend verloren hatte, vornehmlich indem entsprechende Aktive unabhängig von ihren Meriten aus dem Verein rausgeekelt wurden. Warum? Nun, es wurde damals vor allem von Bundesvorstand massiv Mitgliederzuwachs um jeden Preis forciert - die Parole damals lautete: "wir sitzen mit am Tisch, wenn verhandelt wird, wo andere noch vor den Türen protestieren". Der einfachste Weg für Mitgliederzuwachs bestand darin, nicht auf Kompetenz im Verein zu bauen und auf das mühsame Geschäft der Aufklärung und Kompetenzvermittlung, sondern darin, sich bei unerfahrenen, ängstlichen Radfahrenden anzubiedern und sie in ihren Ängsten - und Fehlern! - sogar noch zu bestärken. Ich habe damals im Kreisverband des ADFC die Mängelberichte von Mitgliedern ausgewertet und habe aus erster Hand erlebt, wie damit umgegangen wurde. 1999 bin ich dann auch ausgetreten, nach langer Familienmitgliedschaft mit einer vierstelligen Mitgliedsnummer. Inzwischen hat der Verein über 200.000 Mitglieder. Das ist zwar immer noch lächerlich wenig verglichen mit den ca 21 Mio Mitgliedern das ADAC, an dessen Namen und - weniger bekannt - tradierter Vereinsstruktur man sich orientiert hat, aber es reicht offenbar, sich wie eine Volkspartei vorzukommen und entsprechend populistisches Agieren für geboten zu halten.
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