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Ukraine-Krieg: Triumph des Wehrwillens
Zur Strategie, Psychoanalyse und Wirkung von Kriegspropaganda in der politischen Kultur und Kulturindustrie (Von Susann Witt-Stahl)
....Wie Reklame wirkt Propaganda vorwiegend in der Sphäre des Unbewussten und bedient sich der Ängste des Menschen. In den Gesellschaften der Länder, die die blutigsten Akzente in der Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus gesetzt haben, herrsche ein »Gefühl der Verfolgung«, unter dem Motto »Irgendwer wird schon hinter uns her sein«, sagte Noam Chomsky in einem Interview über die USA. Deren herrschenden Eliten bedienen sich bevorzugt der von der Historikerin Anne Morelli in Anlehnung an den britischen Schriftsteller und Pazifisten Arthur Ponsonby apostrophierten »Prinzipien der Kriegspropaganda«, die auf Selbstviktimisierung zielen und sich als ideologische Basis für die Fabrikation von Opfermythen eignen: »Allein das gegnerische Lager ist für den Krieg verantwortlich«; sein »Führer hat das Gesicht des Teufels« etc.
»Deutschland spielt immer noch die Nibelungen.« (Heiner Müller)
Das funktioniert vorzüglich in Deutschland, das unter Hitler zu allem Übel einen bisher singulären bürokratisch verwalteten Völkermord organisiert hatte. 1989 brach es aus Sehnsucht nach »Normalisierung« die Aufarbeitung seiner Vergangenheit ab, die es in seinem Westteil gar nicht erst zugelassen hatte, was die Naziverbrechen an der Bevölkerung der Sowjetunion anbelangt. So wird bis heute nicht nur den Juden Auschwitz nicht verziehen (Zvi Rex) – erst recht kann man den Russen Leningrad nicht vergeben. »Die Geschichte wiederholt sich nicht, und doch verwirklicht sich in ihr ein Wiederholungszwang«, solange eine Auseinandersetzung mit traumatischen historischen Ereignissen nicht zu einer Bewusstseinsveränderung führe, so ein Befund von Alexander und Margarete Mitscherlich in ihrer Abhandlung »Die Unfähigkeit zu trauern« von 1967. Verdrängte Schuld zeitige immer wieder Rachegefühle. Wenn es für die deutsche Reaktion wegen der Westbindung nicht opportun ist, über einen »Bombenholocaust« in Dresden zu reden, dann will man wenigstens über die große deutsche Katastrophe nicht schweigen: »Wie einst in Stalingrad«, ideologisierte das Magazin Stern im April die Kämpfe um Asowstal und fieberte mit den belagerten Ukrainern, darunter Hunderte von fanatischen Nazikämpfern. »Die Opferbereitschaft hatte ihren Sinn«, verkündete der Nachrichtensender NTV bei der Kapitulation unter dem Titel »Gefallenes Stahlwerk in Mariupol«, nachdem die deutschen Qualitätsmedien bereits von dunkler Mystik und Feuerschein umhüllte Nekrologe angestimmt hatten: »Die letzten Tage« der Ukrainer im Bunker wurden als prachtvolles und zutiefst sinnliches Schauspiel voller faschistoider Obsession für den Opfergang »der Helden« inszeniert – bis dieser schließlich von der Kiewer Regierung abgesagt wurde.
»Wir sind immerzu von Kitsch umgeben, wir stecken darin bis zum Hals« (Saul Friedländer)
Der Historiker Saul Friedländer bescheinigte Reizen, die Kitsch (eine verwahrloste Erscheinungsform des Mythos) und Tod, Harmonie und Entsetzen miteinander kurzschließen, eine enorme »emotionale Durchschlagskraft« und verwies auf die Feststellung von Heiner Müller aus den 1980ern: »Deutschland spielt immer noch die Nibelungen.« Dass »Weltuntergangsfantasien« und anderer »Widerschein des Nazismus« nicht nur von einem breiten Publikum voller Lust an der Regression rezipiert werden, sondern auch eine »extreme politische Mobilisierungskraft« entfalten, liegt aber auch in einem Wesenszug der kapitalistischen Gesellschaft begründet: Da sie in schweren Krisensituationen jederzeit droht wieder das ihr eingelagerte faschistische Potential zu entfalten, ist Hitler wie eine pathostriefende Kriegsromantik bis heute nicht aus ihrer Kulturindustrie wegzudenken. »Wir sind immerzu von Kitsch umgeben, wir stecken darin bis zum Hals«, so Friedländer, »und eben darum wirken diese Bilder und Emotionen so faszinierend.« Dass »Weltuntergangsfantasien« und anderer »Widerschein des Nazismus« nicht nur von einem breiten Publikum voller Lust an der Regression rezipiert werden, sondern auch eine »extreme politische Mobilisierungskraft« entfalten, liegt aber auch in einem Wesenszug der kapitalistischen Gesellschaft begründet: Da sie in schweren Krisensituationen jederzeit droht wieder das ihr eingelagerte faschistische Potential zu entfalten, ist Hitler wie eine pathostriefende Kriegsromantik bis heute nicht aus ihrer Kulturindustrie wegzudenken. »Wir sind immerzu von Kitsch umgeben, wir stecken darin bis zum Hals«, so Friedländer, »und eben darum wirken diese Bilder und Emotionen so faszinierend.«....
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