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"Wer Analogien des Historischen mit der Gegenwart für erkenntnisstiftend hält, setzt implizit ein zyklisches Geschichtsdenken voraus, wie es etwa der Philosophie des steten Auf und Nieder von Kulturen beim Rechten Oswald Spengler zugrundeliegt."
Rotlicht: Analogie
- Von Marc Püschel
Kaum war Russland in die Ukraine einmarschiert, schossen Vergleiche Putins mit Hitler wie Pilze aus dem Boden. Etablierte Historiker wie Heinrich August Winkler oder Götz Aly gaben dieser Analogie eine – wenn auch mit etlichen Differenzierungen versehene – geschichtswissenschaftliche Weihe. Ein Erkenntnisgewinn war nirgendwo zu sehen, schien aber ohnehin nicht intendiert.
Wer Analogien bildet, tut mehr, als nur zwei Dinge zu vergleichen. Er unterstellt schon von vornherein eine strukturelle Ähnlichkeit des Verglichenen, die nicht nebensächlich, sondern wesentlich ist. In der Regel ist das sogar unstrittig. In der Naturforschung etwa geht es um die funktionelle Ähnlichkeit von Gliedmaßen, Organen oder Verhaltensweisen bei verschiedenen Tiergattungen, in der Jurisprudenz meint es die Übertragung einer Rechtsnorm von einem bereits geregelten Tatbestand auf ähnliche, aber noch ungeregelte Tatbestände. Lediglich die historische Analogie ist ein Spezial- und Streitfall.
In der Regel begegnet sie einem als propagandistischer Holzhammer im öffentlichen Diskurs und dient dort der Herabsetzung des politischen Gegners, indem der mit dem denkbar Schlechtesten – mit Hitler – gleichgesetzt wird. Dabei können Analogien tatsächlich erkenntnisfördernd sein, solange man zusammen mit dem Gemeinsamen auch das Unterscheidende herausarbeitet. Selbst wer Äpfel mit Birnen vergleicht, gelangt immerhin noch zu der Erkenntnis, dass beide verschiedene Sorten Obst sind. Im Historischen ist es vor allem sinnvoll, zeitgleiche und relativ abgeschlossene Phänomene in Beziehung zu setzen. Wer etwa den deutschen, italienischen und spanischen Faschismus in Analogie setzt, kann das Wesentliche des Faschismusbegriffs herausarbeiten.
Der entscheidende Unterschied des wissenschaftlichen zum politischen Gebrauch von Analogien ist der Bezugspunkt. Wer agitieren will, bezieht etwas Historisches auf die Gegenwart. Ein Unbekanntes, eine neue geschichtliche Situation wird damit auf bereits Bekanntes heruntergebrochen. Eine Komplexitätsreduktion, die nicht zulässt, das spezifisch Neue der Gegenwart zu erkennen, aber zugleich das angebliche Wissen um das, was als nächstes passiert, bereithält, weswegen so gehandelt werden müsse, wie man ehedem, etwa angesichts der Nazis, hätte handeln sollen. Auch die Totalitarismustheorie entstand zu einer Zeit, als die sozialistischen Staaten in Europa noch gegenwärtig waren und der Kampf gegen sie zu einer Art Antifaschismus stilisiert wurde.
Wer Analogien des Historischen mit der Gegenwart für erkenntnisstiftend hält, setzt implizit ein zyklisches Geschichtsdenken voraus, wie es etwa der Philosophie des steten Auf und Nieder von Kulturen beim Rechten Oswald Spengler zugrundeliegt. Unter dieser Prämisse lässt sich der Gegenwart eine Wesensgleichheit mit vergangenen Epochen unterstellen. Auch der Marxismus kennt einen Auf- und Abstieg von Klassengesellschaften, ordnet diese Entwicklungsform aber dem Primat des konkreten ökonomischen Inhalts jeder Epoche unter. So erklärt sich, warum zum Beipiel die Rechten mit Analogien Politik machen – am augenfälligsten bei der »Identitären Bewegung«, wenn sie sich auf den Kampf der Griechen gegen die Perser, die Kreuzzüge oder die Reconquista beruft –, während den Marxisten bei aller Achtung vor Revolutionären wie Spartacus oder Thomas Müntzer ähnliche Aktualisierungen nicht einfallen würden.
Zwar gibt es auch unter Marxisten Denker, die dafürhalten, dass Geschichte sich wiederholt (oft ökonomische Deterministen), doch wird u. a. seit Gramscis Theorie des »historischen Blocks« (blocco storico) stärker auf die historisch einzigartige Basis-Überbau-Konstellation jeder Nation geachtet. Gerade als Marxist darf man daher G. W. F. Hegel zustimmen: »Jede Zeit hat so eigentümliche Umstände, ist ein so individueller Zustand, dass in ihm aus ihm selbst entschieden werden muss und allein entschieden werden kann.« Die Analogie darf man getrost der Geschichte überlassen.
- https://www.jungewelt.de/artikel/426794.rotlicht-analogie.html
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