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Die Heimatfront und „Putins Krieg“

Die gepflegte moralische Aufrüstung der Berichterstattung erschlägt jede sachliche Beurteilung mit dem Zwang zur Parteinahme.

Dass Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist Fakt. Außergewöhnlich ist Derartiges nicht. Wenn in den letzten 30 Jahren die USA, die einzig verbliebene Supermacht, im Bunde mit willigen NATO-Kumpanen Kriege starteten, wurde darum nicht viel Aufhebens gemacht – selbst wenn die rechtfertigenden Lügen (Saddams Atombomben, Bin Ladens Versteck am Hindukusch etc.) mit Händen zu greifen waren. Jetzt aber soll ein solcher Sachverhalt für sich selber sprechen: Ein Irrer führt Krieg als sadistisches Privatvergnügen, wie es sich nur Diktatoren leisten können.

Die Frage danach, warum Russland die Ukraine angegriffen hat – welche politischen Kalkulationen hier im Spiel waren und auf welchen Gegner sie trafen –, ist verpönt. Wer sie sich dennoch stellt oder versucht, eine Erklärung zu finden, wird gleich als Putin-Versteher, also als fünfte Kolonne des Feindes, diffamiert. Denn: Wer einen Krieg beginnt oder ein Land angreift, ist schuld und damit zu verdammen, so die – neuerdings – allseits verbreitete Auffassung. Deshalb gehört es zum guten Ton für Politiker wie Journalisten, bei jeder einschlägigen Äußerung das Mantra vom völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg zu bemühen, um so die zwingende moralische Verurteilung mit zu liefern. Wer diese Floskel weglässt, hat sich schon von vornherein mit seiner Wortmeldung unmöglich gemacht.

Was daherkommt, wie ein Kantscher Imperativ, ist dabei so selbstverständlich gar nicht. Als Aserbeidschan kürzlich Armenien angriff, war von einer Verurteilung des dortigen Regimes weit und breit nichts zu vernehmen. Nachfragen beim werteorientierten Außenministerium ergaben, dass ein Aggressor einfach nicht feststellbar sei. Das galt nicht als eine Kritik an den eigenen Geheimdiensten oder der Unfähigkeit des ministeriellen Ladens. Und ein Schelm ist, der Böses dabei denkt und meint, es hätte etwas damit zu tun, dass die Europäische Union gerade ein Abkommen mit dem dortigen Potentaten über Gaslieferungen geschlossen hat....

Pervertierung des Solidaritätsbegriffs

...Einigkeit herrscht in weiten Kreisen der deutschen Gesellschaft bis hin zu den Linken, dass Solidarität mit der Ukraine zu üben ist. Gemeint ist damit, dass die Menschen hierzulande sich zumindest ideell auf die Seite der angegriffenen Nation stellen sollen. Das gilt, obwohl von dieser Einstellung für den Verlauf des Krieges gar nichts abhängt. Denn die hiesigen Bürger sind ja nicht die Akteure dieser gewalttätigen Auseinandersetzung. Praktisch werden sie ja auch nicht gefragt, wie sie in diesen Konflikt eingebunden sein wollen. Sie werden vielmehr mit den Folgen des Wirtschaftskriegs konfrontiert und haben mit den daraus resultierenden Preissteigerungen zurechtzukommen. Die Bürger hier – wie die Bürger in der Ukraine oder Russland – sind eben die Manövriermasse ihrer Regierungen, die sie nicht nur praktisch einspannen, sondern auch verlangen, dass sie ideell Partei ergreifen.
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Solidarität ist dabei ein eigenartiger Imperativ: Sie war einmal ein Kampfbegriff der Arbeiterbewegung, die Aufforderung, die Konkurrenz untereinander einzustellen und sich gemeinsam gegen Kapital und Staat zur Wehr zu setzen. Jetzt wird der Begriff gerade im Gegenteil für eine Ansage „von oben“ benutzt, um die Gemeinsamkeit von Bürgerschaft und Staat über alle Klassengrenzen hinweg verbindlich zu machen. Dabei lohnt sich dieses Zusammenhalten nur für die einen, die wie immer ihre Gewinne, neuerdings sogar „Übergewinne“, machen, während er für die anderen das Sich-Abfinden mit den Preissteigerungen und den daraus resultierenden Einschränkungen bedeutet.

Ein viel gescholtener Autor des neunzehnten Jahrhunderts hat einmal geschrieben, dass Proletarier, die heute Arbeitnehmer heißen, kein Vaterland besitzen, und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihren Regierungen nichts Positives zu erwarten haben – außer der Hilfe, weiter die Lasten zu tragen, die andere reich und den Staat mächtig machen. Für ihn hat sich daraus die Forderung ergeben, dass sich die Proletarier aller Länder vereinigen sollten, um die Herrschaft ihrer nationalen Herren abzuschütteln, statt aufeinander zu schießen. Unterschätzt hat dieser Autor die moralische Macht des Nationalismus der Arbeiter, die als Bürger ihrer Länder – letztendlich, wenn die finale Opferbereitschaft eingefordert wurde – noch immer brav als Soldaten in jeden Krieg gezogen sind. So, wie sich heute auch Linke in die nationale Einheitsfront einreihen, standen Sozialdemokraten schon mit Beginn des Ersten Weltkriegs auf Seiten ihres Kaisers, bewilligten Kriegskredite fürs Schlachtfeld und verkündeten den Burgfrieden an der Heimatfront...

Die Macht der Moral

Die Regierenden aller Länder sind auf die Loyalität ihrer Bürger angewiesen und auch ein Putin kann nicht hinter jeden Volksgenossen einen Büttel seines Sicherheitsapparats stellen. Natürlich berufen sich alle Regierungen darauf, dass ihre Herrschaft ganz dem Wohl des Volkes verpflichtet ist, doch spürt der Einzelne, wenn er zum gewöhnlichen Fußvolk gehört, in der Regel wenig davon. Denn das Wohl des Volkes ist eben etwas anderes ist als das Wohl des einzelnen Bürgers. Mit dem Wohl des Volkes bzw. der Nation ist der Erfolg des eigenen Staates gemeint, dessen Macht in der Welt gestärkt werden soll, um die Konkurrenz mit anderen Staaten zu bestehen; dafür haben die Bürger ihren Dienst zu leisten.

Also können Politiker nicht einfach auf die positiven Seiten ihres Handelns verweisen, das den Bürgern selbstverständlich Nutzen bringt. Denn auch ein Entlastungspaket für den kleinen Mann, das eine hilfreiche Leistung für „sozial Schwache“ darstellen soll, ist ja ein Schadensmilderungspaket, macht das Leben nicht leichter, sondern allenfalls die Schädigung erträglicher. Die politische Klasse führt daher ständig höhere Werte – in leicht abgewandelten Varianten – an, denen sie in ihrem Handeln verpflichtet ist.

In schweren Zeiten gilt es in besonderem Maße die Moral zu bemühen: Da wird die Gemeinschaftlichkeit beschworen, obwohl die einen mit dem Lebensunterhalt der Leute – nicht nur in der Krise – ihre Geschäfte machen und die anderen sich einzuschränken haben. Auch sollen die neuen Einschränkungen nicht das Resultat des Wirtschaftskrieges gegen Russland sein, der noch nicht einmal so heißen darf, sondern die Folge der Boshaftigkeit Putins oder eben wirtschaftlicher Prozesse, die nicht aus der Gestaltung der Wirtschaft durch die Politik erfolgen, sondern sich irgendwie sachzwangmäßig ergeben.

Es braucht eben moralisch gefestigte Bürger mit der entsprechenden Sicht auf die Dinge, damit sie nicht nur die Kriegsfolgen an der Heimatfront hinnehmen, sondern gegebenenfalls auch auf wildfremde Bürger anderer Staaten schießen, wenn das Kommando von oben kommt....
- vollständiger Artikel: https://overton-magazin.de/allgemein/die-berichterstattung-ueber-putins-krieg-ist-irre/

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